Alltag der Entfremdung: "Verwandlung eines Wohnzimmers".

Foto: Nurithe Wagner Strauss

Die Musiker sitzen an diesem Abend im Vordergrund: Schwarz gekleidet und mit ernsten Mienen begleitet der siebenköpfige Klangkörper das Spiel, das hinter ihm auf der Bühne stattfindet. Oder ist es vielleicht andersrum? So genau kann man es auch nach der eineinhalbstündigen Eröffnungspremiere der diesjährigen Wiener Festwochen nicht sagen.

Der japanische Regisseur Toshiki Okada, der mit seinen verrätselten Bühnenarbeiten zu einem Liebkind des deutschsprachigen Theaters avancierte, hat sich nämlich mit seinem Landsmann, dem Komponisten Dai Fujikura, zusammengetan, um die Hierarchien zwischen Theater und Musik auszuhebeln. Parallel zueinander arbeitete man in Tokio an der szenischen (Okada) und in London an der musikalischen Einrichtung (Fujikura) von Verwandlung eines Wohnzimmers.

So nennt sich der Abend, der in der Halle G des Wiener Museumsquartier uraufgeführt wurde – und das ist erst einmal durchaus wörtlich zu verstehen. Die aus wenigen Holzrahmen zusammengezimmerte Wohnecke (Dot Architects) wird im Laufe mehrerer Akte nicht nur ihre Gestalt verändern, auch das Verhältnis zwischen Bewohnern und Einrichtungsgegenständen wird gehörig durcheinandergewirbelt.

Im Vordergrund Musiker des Klangforum Wien, im Hintergrund Okadas Ensemble chelfitsch
Foto: Nurith Wagner Strauss

Versuchte man beim letzten Wiener Okada-Gastspiel vor eineinhalb Jahren noch Ordnung in eine chaotische Dingwelt zu bringen (Eraser Mountain), scheint diesmal genau das Gegenteil der Fall zu sein: Der Sessel, in dem einer der Bewohner gerade noch in Hauspatschen saß, kippt nach vorn, ein Leichensack pumpt sich wie von Geisterhand zum Sofa auf, eine steingraue Kugel entwickelt ein Eigenleben. Bis es so weit ist, schnurrt aber eine jener für diesen Regisseur so typischen Alltagsszenen ab, in der durch ihre Langeweile und gleichzeitige Verrücktheit die Aufmerksamkeit auf jedes kleinste Detail gelenkt wird.

Sprache und Bewegungsrepertoire sind nämlich voneinander entkoppelt. Während die Güte neuer Bettdecken gepriesen wird, verrenken sich die Körper der sechs Schauspielerinnen und Schauspieler. Ein Verfremdungseffekt, der eine allgemeine Entfremdung anzeigt, von Sprache und körperlichem Akt, von Raum und Zeit. Mit der Räumungsaufforderung durch die Hausverwaltung beginnen sich die Grenzen schließlich ganz aufzulösen. Ein vor Teer triefender Fremder steht plötzlich da, halb Puppe, halb Zombie, schwarze Löcher, konstatieren die Spieler, breiten sich im Raum aus. Dazu sirrt und flirrt die Musik des Klangforums Wien, geht draußen ein Regen nieder, greifen die Musiker beherzt in die Seiten ihrer Streichinstrumente.

Raum für Dystopie

An vielen Stellen hält sich die Komposition von Dai Fujikura aber zurück und lässt dem kargen Spiel Raum – mitunter sogar so viel, dass die musikalischen Einsprengsel kaum ein Eigenleben entfalten und man sich die Frage stellt, warum justament die Musiker im Vordergrund sitzen, wenn sie in Wahrheit dann doch den Soundtrack für dieses dystopische Spiel liefern.

Vermieter und Hausverwalter erscheinen am Ende als biomorphe Wesen mit verzerrten Stimmen, die Stimmung verdunkelt sich, die Dingwelt übernimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist das spröde, aber fesselnde Wohnzimmerspiel längst in eine raunende Unbestimmtheit rund um mehrere "Totengeister" abgedriftet. Der Horror des Alltags hat sich in einen Alltag mit Horror entwickelt, ohne allerdings, dass man wüsste, was es damit auf sich habe. Anders gesprochen: Die Geschichte einer Delogierung löst sich in einer Klangwelt auf, in der der Mensch nur noch die Begleitmusik spielt. Zumindest am Ende werden die Hierarchien auf einer Theaterbühne also doch noch umgedreht.

Fazit: ein etwas zwiespältiger Festwochen-Auftakt. (Stephan Hilpold, 15.5.2023)