Optisch ist der Avenger eindeutig als Jeep erkennbar – aber ob er auch die Geländegene in die neue Ära bringen wird? 2024 kommt jedenfalls eine Allradversion.
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Fährt sich unerwartet komfortabel. Das ist gleich einmal der grundlegende Eindruck, den unsereins auf der Rückbank sitzend registriert. Erste Ausfahrt im Avenger, hat ja einen schönen Wirbel gegeben um diesen ersten Elektro-Jeep, reichlich Vorschusslorbeeren, das Adelsprädikat Auto des Jahres 2023 in Europa und den Titel "bester Familien-SUV" von Women’s World Car of the Year. Ein geschlechterübergreifender Sympathieträger, wie es scheint.

Weiters aufgefallen, kleines Minus: Was ich hinten vermisse, bei einem Jeep aber selbstverständlich sein sollte: Haltegriffe über den Türen. Auch verfügt die Rückbank über keine herausklappbare Armauflage, mit deren Hilfe man sich auf dem Sitz verkeilen könnte, wenn es einmal schaukelig oder bockig wird. Außerdem befindet sich da, obwohl Elektroauto, ein Mitteltunnel und kein durchgehend flacher Boden. Kopffreiheit hingegen: schwer in Ordnung, Kniefreiheit: für die kompakten Abmessungen durchaus passabel.

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Antrieb an die Front

Nach vorne umgestiegen, fällt mir weiters auf, dass es bei Leistungsabfrage mitunter zerrt in der Lenkung, und das ist nicht die Spurhalteassistentin, die wurde gleich bei Fahrbeginn in den temporären Ruhestand versetzt. Nein, und richtig: Der Avenger ist ein Fronttriebler. Wird aber auch: ein Allradler. Allerdings erst im Lauf des nächsten Jahres. Für eingefleischte Jeep-Fans, die gerne die Mobilitätswende mitgehen möchten, heißt es also noch ein bisschen warten – obwohl: Die Veranstalter der internationalen Pressepräsentation hatten schon jetzt ein paar "Gelände"-Etappen in die Testroute integriert, mehr oder weniger holprige Schotterwege in der andalusischen Gstättn, um zu zeigen, dass auch der Fronttriebler ein bisserl was kann, und auf so einem Untergrund wirkt die Federung dann nicht mehr durchgehend kommod, sondern ein wenig stößig, positiv ausgedrückt: Da kommt viel Rückmeldung durch.

In den Avenger passt einiges rein – auch der Hund kann es sich im Kofferaum bequem machen. Mit untergelegter Decke, selbstverständlich.
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Für den Avenger sprechen 2008 plausible Argumente, wenn man so will. Nimmt man hinten den Achter weg, ist man bei einem aus Jeep-Sicht nicht unwesentlichen: 200 mm Bodenfreiheit, das ist doch spürbar mehr als üblich, da kratzt nicht gleich jedes Steinchen am Unterboden, wie der Ausritt bestätigte. Auch die Böschungswinkel vorne und hinten sind dazu angetan, möglichst wenig oder spät mit der Natur in T(o)uchfühlung zu kommen.

Mit 2008 ist aber vor allem dies gemeint: Der Avenger basiert auf jener technischen Architektur, derer sich auch besagter Peugeot und etwa Opels Mokka bedienen und die bei aller evolutionären Auslegung als ausgereift bezeichnet werden darf: Die aus der EMP1-Plattform hervorgegangene e-CMP2. Die kürzeren Überhänge dienen dazu, den Jeep als Jeep und von den Karosserievoraussetzungen grundsätzlich geländepotent erscheinen zu lassen, und weil es sich nach wie vor um eine Mischplattform handelt, gibt es den Avenger, wie 2008 und Mokka, auch in verbrennungsmotorischen Ausformungen (deshalb auch, siehe oben, Mitteltunnel) – prinzipiell. In Österreich nicht, da setzt der Neuling ausschließlich auf die batterieelektrische Karte.

Drinnen wirkt alles sauber, aufgeräumt und praktisch – aber: viel Hartplastik.
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Die inneren Werte

Kurz zu den Abmessungen und technischen Ingredienzien. Mit 4,08 m Länge und 1,78 m Breite verbraucht der Avenger ähnlich wenig öffentlichen Raum wie ein Kleinwagen, beispielsweise ein VW Polo (4,05/1,75 m), seit dem Willys Jeep von 1941 (3,33 m lang) ist das der kleinste Jeep bisher. Das Kofferraumvolumen liegt mit 355 Liter im vernünftigen, akzeptablen Bereich. Und zum Verstauen kleinerer Gegenstände im Fahrgastraum haben sich die Innenausstatter ein paar originelle Lösungen einfallen lassen, darunter diese magnetische Abdeckung fürs große Mitteltunnelfach.

Elektromotor und Batterie sind jüngster Generation, das Paket ist auch bei Peugeot und Opel bereits eingeführt oder in Einführung begriffen. Dank des neuen, 115 kW starken Elektromotors und der ebenfalls neuen – unter den Vorder- und Rücksitzen und im Mitteltunnel verbauten – Batterie mit 51 kWh Nettokapazität ergibt sich ein Reichweitenspektrum zwischen 390 und 400 Kilometern, mal sehen, was davon real übrig bleibt. Die Maschine ist übrigens die erste von Emotors, einem Joint Venture von Stellantis mit der Nihon Densan-Tochter Nidec Leroy-Somer. Und falls das wen interessiert: Wärmepumpe ist Serie. Ladekapitel? Mit dem On-Board-Charger (3-phasig, 11 kW) wäre der Akku in knapp über fünfeinhalb Stunden voll, bei Gleichstrom (maximal 100 kW) in 34 Minuten.

Der Avenger symbolisiert einen Meilenstein in Europa: bis 2030 sollen nur mehr Elektro-Jeeps für die Region gebaut werden.
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Teures Teil

Der Jeep ist nicht cheap: Mit 37.500 bis 43.500 Euro bestätigt sich erneut, dass die Elektroautos beim Preis noch einen deutlichen Rutsch nach unten vollführen müssen, um auf ein vergleichbares Niveau wie die auch immer teurer werdenden verbrennungsmotorischen Fahrzeuge zu gelangen.

Gebaut wird der ökokorrekte Stadtabenteurer im oberschlesischen Tichau, wo auch der Fiat 500 vom Band läuft – zumindest dessen konventionell angetriebenen Versionen, denn der Elektro-Cinquecento wird im Mirafiori-Werk in Turin fabriziert. In (EU-)Europa ist der Avenger auch insofern ein Meilenstein, als er den Auftakt zu einer Entwicklung macht, die 2030 abgeschlossen sein soll: Dann gibt es nur mehr Elektro-Jeeps für die Region. (Andreas Stockinger, 22.5.2023)