In der Ruhe liegt die Kraft: Fürst Metternich, wie ihn die Illustratorin Anna Frohmann für das Büchlein „der kleine metternich“ zeichnete.

Anna Frohmann, Molden-Verlag

Wer heute an Fürst Klemens Wenzel Nepomuk Lothar von Metternich denkt, dem schlafen entweder gleich die Füße ein, oder er bekommt Schaum vor dem Mund: Als Antidemokrat und Bewahrer der repressiven monarchischen Ordnung mit Mitteln des Überwachungsstaats scheint das historische Urteil über ihn längst gefällt.

Der Diplomat und Staatskanzler in Diensten Habsburgs hat als Architekt der Restauration einer „gottgewollten“ Ordnung nach dem napoleonischen Intermezzo nicht den besten Ruf: War er wirklich jener Biedermeier, Unterdrücker und Starrkopf par excellence, zu dem die Nachwelt ihn lange stilisierte?

Mitnichten, wird in einer neuen Biografie zu Metternichs 250. Geburtstag festgestellt. Das Büchlein der kleinen metternich des Journalisten und Historikers Stefan Müller, erschienen im Molden-Verlag, beäugt das Bild des 1773 im deutschen Koblenz Geboren von allen Seiten, gleicht Anekdoten und Mythen mit Erkenntnissen der Forschung ab und braucht dafür nicht mehr als vergnügliche 150 Seiten.

Große Männer, klein geschrieben

Gut 30 Biografien sind seit Metternichs Tagen über ihn erschienen, erst diese aber schafft es, das an sich schillernde Porträts dieses Zwischen-den-Zeiten-Menschen derart poppig zu entstauben. der kleine metternich ist der Auftakt der von Stefan Schlögl initiierten Reihe „große Männer, klein geschrieben“ und lebt auch stark von den Illustrationen Anna Frohmanns sowie Fun-Fact-Einschüben etwa über die Garderobe und Kuriositätensammlung des Fürsten oder von einem Interview, in dem der Staatskanzler Fragen von heute mit Antworten von damals pariert.

Wer war er nun, dieser Metternich, der als Napoleon-Gegenspieler zunächst bejubelt, schließlich aber 1848 in der bürgerlichen Revolution aus Wien fortgejagt und Stellvertreter für das Kaiserhaus zum Synonym für alles Gestrige wurde? Bestenfalls ein Unverstandener, eine tragische Gestalt, derer das Haus Habsburg, siehe Rudolf, so einige hatte.

Metternich, aus deutschem Bildungsadel stammend, unterhielt Korrespondenzen mit Wilhelm von Humboldt und Goethe, hortete tausende Bücher, die er auch las (darunter die seiner Gegner), sammelte Kuriositäten, Kunst und förderte die Wissenschaften. Er unterhielt als Katholik enge Beziehungen zu Juden, was ihn schon einmal in die Synagoge führte – freilich nie ganz uneigennützig: Seine vom Bankhaus Rothschild finanzierten Unternehmungen (Riesling-Weingut, Stahl- und Holzwerke, Brauerei, Viehzucht, Kuranstalt) liefen gut, seinen Angestellten galt er als großzügiger Wohltäter mit sozialer Ader.

Playboy, Schwärmer und Taktierer

Als Schönling und Playboy ließ er keine Liebschaft aus, meist gebildete, selbstbewusste Adelige. Er war dreimal verheiratet, hatte sechs Kinder, die ihn sogar mit „du, Papa“ ansprechen durften. Er war ein Gegner der Jagd, zählte als begnadeter Netzwerker und Einwickler Spinnen zu seinen Lieblingstieren und tauschte bei ihm zu Hause im Palais schon einmal die Mausefallen gegen Zuckerstückchen aus, weil ihm die Tierchen so leidtaten. Unzählige schwülstige Liebesbriefe an seine Angebeteten charakterisieren ihn als Schwärmer, mehr Romantiker als Lüstling.

Der politische Metternich? Der „Kutscher Europas“, der als Gastgeber beim legendären Wiener Kongress von 1814 nach der Bezwingung Napoleons eine neue Sicherheitsarchitektur schuf, die im Wesentlichen bis zum Ersten Weltkrieg hielt? War ein Mensch, dem Ruhe und Ordnung über alles gingen, Kriegsgegner, Europäer, Weltbürger und doch auch ein Mensch der krassen Widersprüche.

Kriegsgegner und Brieföffner

Metternich erkannte zwar den Reformstau im Vielvölkerstaat, und doch gab er klein bei, wenn es beim Kaiser kein Durchkommen gab. Er erfand weder Zensur noch Spitzelapparat (das taten andere vor ihm), und doch ließ er so viele Briefe öffnen wie nie zuvor – konsequenterweise auch die seinigen. Er, der Kulturmensch, rüttelte nicht am verordneten „Happy End“ auf Wiener Bühnen und parlierte doch mit allen Geistesgrößen seiner Zeit in Salons über die aufwühlendsten Dinge.

„Die Bühne, auf der Metternich ins Rampenlicht tritt, ist hinten schon brüchig und vorne noch nicht fertig“, schreibt Stefan Müller. Metternich selbst bemerkte über sich: „Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen (...) später hätte ich dazu gedient, wieder aufzubauen; heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen.“

Dass Metternich bei seiner Flucht aus Wien über London auch in Brüssel Asyl bezog, ist vielleicht sinnbildlich. Allen EU-Eliten müsste seine Vita heute Warnung sein: dafür, wohin ein auch heute oft bemängeltes Demokratiedefizit führt. Oder auch dafür, dass erstarkendem Nationalismus nicht mit blindem Weiterverwalten beizukommen ist. (Stefan Weiss, 15.5.2023)