Reinhart Sellner, pensionierter Lehrer und Wiedereinsteiger.

Foto: Robert Newald

Der schwarze Rucksack hängt locker auf einer seiner Schultern, als Reinhart Sellner vor dem Schulgebäude wartet. Immer wieder schwingt die Flügeltür kurz auf, durch die Schülerinnen und Schüler in den Nachmittag entlassen werden. Die jungen Menschen, die an diesem Nachmittag das Gymnasium in der Schopenhauerstraße im 18. Wiener Bezirk verlassen, verabschieden sich kurz und flüchtig. Reinhart Sellner aber bleibt.

Fast 49 Jahre hat der Wiener hier insgesamt schon verbracht: als Schüler in den 1950er-Jahren, als Junglehrer Anfang der 70er und als Dienstältester bis 2012, bis zum "12er-Jahr", wie er sagt. Seit Mitte März dieses Jahres steht er nun wieder in den Klassenzimmern. Bis Ende Juni unterrichtet er das Fach Deutsch in einer ersten und in einer vierten Klasse – nach mehr als elf Jahren im Ruhestand, mit 76 Jahren.

Die Gründe für seine Rückkehr sind durchaus simpel. "Es hat schon sehr viel damit zu tun, dass ich Kinder mag und dass ich finde, dass es eine Frechheit ist, dass Kinder keinen Unterricht bekommen", sagt er. Seine Empörung ist nicht in seiner Stimme erkennbar, sie dringt aber in seiner Erzählung durch. Nach zwei Dauervertretungen habe eine dritte "überraschende Langkrankenstandsmeldung" das Gymnasium überfordert. Mit supplierten Stunden hätte die Bildungsdirektion das Problem lösen wollen. Das bedeutet: in jeder Deutschstunde eine andere Lehrkraft, unabhängig von ihrer fachlichen Ausbildung.

Natürlich habe er sich aber auch geschmeichelt gefühlt, "dass die auf die Idee kommen, dass ich da noch einmal einsteige", fügt er hinzu. Sellner lächelt beim Gedanken daran – bescheiden und kurz.

Bundesweite Kampagne

Die Entscheidung seiner Schule ist nicht ganz ungewöhnlich. Lehrkräfte im Ruhestand oder kurz vor Pensionsantritt sollen neben Quereinsteigern und Studierenden den Lehrkräftemangel in Österreich dämpfen. Die bundesweite Kampagne "Klasse Job" versucht seit Herbst 2022 Personal zu rekrutieren. Zumindest in Pflichtschulen soll die Schulleitung seit Februar auch prüfen, ob Lehrkräfte kurz vor Pensionsantritt doch noch weiterunterrichten wollen – 20 Pädagoginnen und Pädagogen haben laut der Wiener Bildungsdirektion bisher zugesagt.

In Bundesschulen arbeiteten dem Bildungsministerium zufolge Mitte März österreichweit etwa 30 pensionierte Lehrkräfte. Das war nicht immer so: Schon vor mehr als elf Jahren habe Sellner um ein Jahr verlängern wollen. Damals sei der Antrag abgelehnt worden, erzählt er.

Wenn "ein wichtiges dienstliches Interesse" besteht, dürfen pragmatisierte Lehrer bis zum 70. Lebensjahr unterrichten, so sieht es das Gesetz. Bei vertraglichen Lehrpersonen schreibt die Bildungsdirektion Wien eigenen Angaben zufolge keine gesetzliche Höchstgrenze vor.

Erneut Junglehrer

Der 76-jährige Reinhart Sellner ist in seinem neuen Vertrag als Junglehrer eingestuft – und nicht als pragmatischer Beamter im 42. Dienstjahr. Weder sein Sondervertrag noch seine Gehaltseinstufung kümmern ihn jedoch wirklich. Er lächelt über den Stehsatz, mit dem sein Vertrag abschließt: "Wir wünschen Ihnen für Ihre berufliche Zukunft viel Erfolg."

Sellner hat eine besonnene, fast stoische Ausstrahlung – und einen Hang zur Wiener Nonchalance. Seinen tatsächlichen Lohn bei einer halben Lehrverpflichtung kann er zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht nennen. Er schätzt, dass ihm netto wohl rund 600 Euro bleiben werden. Seine Pension sei gut, beschwichtigt er. Während er in seinen Anekdoten die Jahre Revue passieren lässt, spricht er leise und gewählt. Manche der Formulierungen des Vaters und Großvaters sind aus der Zeit gefallen. Kann er überhaupt noch das Durchsetzungsvermögen haben, das eine Lehrkraft braucht?

Kritischer Geist

Was er sagt, zeugt jedenfalls von einem kritischen Geist. Er sei sicher kein Lehrer, "den sich die Obrigkeit als Aushilfe gewünscht hätte", sagt er etwa. Die starre Bildungspolitik, die sich weder in Budget noch Organisation weiterentwickelt habe, mache ihn zornig. "Und ich bin ja wirklich lang genug da." Sellner fordert eine Föderalismusreform, eine Gewerkschaft ohne standespolitisches Denken und gemeinsame Bildung für alle. Dabei weiß er, wovon er redet: Mehr als 30 Jahre hat er für seinen Berufsstand landes- und bundesweit verhandelt, unter anderem als Vertreter der parteiunabhängigen ÖGB-Fraktion in der GÖD, der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst.

Als Schüler war er im Verband sozialistischer Mittelschüler, kurz VSM, aktiv, einer ehemaligen österreichischen Schülerorganisation. Als junger Lehrer arbeitete er neben der Schule in der Schopenhauerstraße auch zehn Jahre in einer Gesamtschule, die als Versuch angelegt war. Anfang der 1970er-Jahre trat er der Kommunistischen Partei bei.

Aktivist in Aktion

Sein berufliches Leben hat er vertont. Mit seinen Schülerinnen und Schülern hat er immer wieder musiziert. Als Liedermacher und Aktivist ist er weiterhin aktiv, etwa bei der Initiative Gemeinsame Bildung 2.0.

Ob er sich vorstellen könne, über den Juni hinaus weiterzuunterrichten? In Sellners Erzählungen klingt Tatendrang durch. Der Ruhestand sei für ihn nicht das Ziel des Lebens, er schweigt allerdings länger bei dieser Frage. Schließlich sagt er: Er spüre "die Jahresringe, die man ansammelt". Von sich aus plane er keine Verlängerung. Aber ganz würde er sich ohnehin nicht verabschieden. Als Bildungsaktivist bleibt er wohl noch länger für das System Schule im Einsatz. (Anna Wiesinger, 15.5.2023)