In einem ÖBB-Zug kam es am Sonntagabend zu verstörenden Durchsagen.

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Nach verstörenden Durchsagen mit "Heil Hitler"- und mehreren "Sieg Heil"-Rufen in allen Waggons eines ÖBB-Railjets, der am Sonntag von Bregenz nach Wien unterwegs war, sind laut ÖBB zwei Personen angezeigt worden. Sie seien mittels Videoauswertung ausgeforscht worden. Die Einspielungen der beiden Tatverdächtigen erfolgten der ÖBB zufolge direkt im Zug über die Sprechstellen.

Ein ÖBB-Sprecher sagte dem STANDARD am Montag, man könne einen Hackerangriff von außen ausschließen, vielmehr hätten sich die Tatverdächtigen in "Old School"-Manier Zutritt zu den Sprechstellen im Zug verschafft. "Die dürften ganz klassisch die Sprechstellen benutzt haben, mit Schlüssel, und dann ganz simpel ein Handy dazugelegt haben", sagte der Konzernsprecher. Wie die Personen zu dem Schlüssel gekommen seien, wisse man nicht, es sei aber auszuschließen, dass es sich um ÖBB-Mitarbeiter gehandelt habe. Die Personen hätten zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle über den Zug gehabt, betont der Sprecher.

Ermittlungen nach Verbotsgesetz

Zu einem Vorfall wie diesem kam es in österreichischen Zügen bereits dreimal, inklusive der Durchsage von Sonntag. Der Vorfall am Sonntag war der erste nach dem Verbotsgesetz, der dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Niederösterreich zur Kenntnis gebracht worden sei, erklärte LVT-Leiter Roland Scherscher.

Scherscher sagte am Montag auf APA-Anfrage, dass die Verdächtigen noch nicht befragt worden seien. Es handle sich um Fahrgäste, nicht um ÖBB-Personal. Ermittelt werde nach dem Verbotsgesetz, so Scherscher. Videomaterial, auf dem man die Verdächtigen sieht, die am Bahnhof in Wien-Meidling ausgestiegen sein dürften, hat die ÖBB eigenen Angaben nach der Polizei übermittelt.

"Sieg Heil"-Rufe

Die Durchsagen wurden am Sonntag in dem ÖBB-Railjet über Lautsprecher eingespielt. Kurz vor St. Pölten wurde nicht der nächste Halt angesagt, sondern es wurden etwa zehn Minuten lang über Lautsprecher in allen Waggons lautstark Hoppalas der Schauspielerin Chris Lohner eingespielt, mit der seit Jahren die Durchsagen für die ÖBB aufgenommen werden.

Zwischen St. Pölten und Meidling sei es eine Zeitlang für die ÖBB nicht möglich gewesen, gewöhnliche Durchsagen zu tätigen. Stattdessen wurden, wie die in diesem Zug reisende STANDARD-Redakteurin Colette Schmidt hören konnte, sogar Feueralarmdurchsagen mit der Stimme Chris Lohners durchgeschaltet, die durchaus Panik hätten auslösen können. Auch wurde nach St. Pölten durchgegeben, dass der nächste Halt Wien-Hauptbahnhof sei, wodurch einige Fahrgäste glaubten, der Zug würde nicht in Meidling halten.

Die zunächst unterhaltsamen Einspielungen waren ungewöhnlich laut, was bei einigen Passagierinnen und Passagieren bereits für Irritationen sorgte. Doch dann war plötzlich über alle Lautsprecher im Zug ein Ausschnitt aus einer historischen Aufnahme einer Hitler-Rede zu hören. Danach folgten einmal ein "Heil Hitler"- und mehrere "Sieg Heil"-Rufe. Colette Schmidt twitterte unmittelbar über den Vorfall.

Wiener Gemeinderabbiner unter den Passagieren

In einem anderen Waggon fuhr der Grünen-Abgeordnete David Stögmüller mit, der die letzten Sekunden der Durchsage auf einem Video festhalten konnte. Er wird Anzeige gegen unbekannt erstatten. Stögmüller berichtete darüber, dass die Zugbegleiterin verzweifelt versucht habe, das Ganze zu stoppen, jedoch nichts habe unternehmen können.

Im Zug befand sich auch der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. "Irgendwelche Nazi-'Lausbuben' haben sich scheinbar in das Lautsprechersystem des Zuges reingehackt", schrieb Hofmeister auf Twitter. Er sagte, dass die Störungen etwa 20 Minuten gedauert hätten.

"Obwohl ich bei der Ankunft in Wien doch erleichtert war, dass niemand den Zug, sondern nur die Lautsprecheranlage übernommen hatte, ist das Ganze ein sehr ernstzunehmender Vorfall. Ganz abgesehen von den abgespielten Inhalten, die den Straftatbestand der Wiederbetätigung erfüllen, wurde hier offensichtlich mit sehr viel krimineller Energie vorgegangen", sagt Hofmeister.

Strafrechtliche Relevanz

Laut ÖBB ist dem Unternehmen bewusst, dass der Vorfall am Sonntag "auf zwei Ebenen" zu untersuchen sei. Erstens, weil es einen "Eingriff in die sicherheitsrelevante Infrastruktur der Bahn" darstelle. Zweitens hätten "die Ansagen von gestern natürlich auch strafrechtliche Relevanz".

Auf die Frage des STANDARD, ob man einen Zug unter solchen Umständen überhaupt weiterfahren lassen dürfe, meinte der ÖBB-Sprecher: "Es gibt genug andere Möglichkeiten, mit den Passagieren zu kommunizieren." Man müsse nach dem Vorfall am Sonntag aber noch intern darüber reden, wie man in einem solchen Fall vorgehe. Die Passagiere des RJX661 wurden am Sonntag jedenfalls nicht darüber informiert, was in ihrem Zug los war.

Notsprechstellen blockiert

Die ÖBB schrieb auf Twitter: "Leider kommt es derzeit in einzelnen Zügen zu irritierenden Durchsagen, von denen wir uns inhaltlich klar distanzieren." Auf die Frage, was nach den vergleichbaren früheren Vorfällen – etwa vor sechs Tagen – unternommen worden sei, heißt es, man habe schon damals begonnen, "Videomaterial und Datenträger auszuwerten".

Die ersten beiden Vorfälle gab es in der Vorwoche, immer auf der Strecke zwischen St. Pölten und Wien, sagte ein ÖBB-Sprecher der APA. Das Duo dürfte die Sprechstellen, die es in jedem Waggon gibt, mit einem eigenen Schlüssel, den jeder Bahnmitarbeiter hat, geöffnet und dann die Aufnahmen abgespielt haben. Dadurch werden die Notsprechstellen blockiert. "Selbst Kinderlieder abzuspielen ist kein Kavaliersdelikt", bekräftigte der ÖBB-Sprecher. (hel, cms, red, 15.5.2023)