DNA aus Umweltproben kann immer günstiger sequenziert werden. Gibt es Vergleichsmaterial, könnte man das Erbmaterial künftig vielleicht schon eindeutig einem Individuum zuordnen.
Foto: Andrew Brookes / Imago / Westend61

Ethan Hawke war sich in der Film-Dystopie "Gattaca" bewusst, wie aufwendig es ist, keine genetischen Spuren zu hinterlassen. Jeden Morgen unterzieht sich der Protagonist Vincent, den Hawke verkörpert, einer gründlichen Prozedur: Abgestorbene Zellen werden von der Haut geschrubbt, lose Haare entfernt. Durch diese Anhängsel, aber auch durch Körperflüssigkeiten verteilen wir permanent unsere DNA in der Umwelt.

Woran wir nur selten denken: Durch technologische Fortschritte wird es einfacher, mittels winziger Proben aus der Umwelt Rückschlüsse auf Personen zu ziehen. Darauf macht nun ein Forschungsteam mit seiner Studie im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" aufmerksam.

Genetischer Beifang

Eigentlich erforscht die Gruppe Meeresschildkröten und ihre Krankheiten. Dabei nutzt sie Umwelt-DNA (kurz eDNA, von "environmental DNA"). Sie kann durch Proben aus Boden, Luft und Wasser gewonnen werden. Doch die jüngsten Analysen überraschten das Team um David Duffy von der Universität Florida. Der "Beifang" an menschlicher DNA in den Umweltproben war von beeindruckender Qualität, beinahe vergleichbar mit einer direkten Probenentnahme. Es ließen sich sogar Mutationen ausmachen, die auf gewisse Erkrankungen und die Abstammung der unfreiwilligen DNA-Spenderinnen und -Spender schließen lassen. Zudem konnte das Team das Geschlecht bestimmen.

Der Fokus des Forschungsteams liegt eigentlich auf Schildkröten.
Foto: Resha Juhari / NurPhoto / Imago

Daher rückten die Biologen und Biologinnen die ethische – und im Zuge des Datenschutzes rechtliche – Problematik der Ergebnisse in den Fokus. Es sei sogar teilweise möglich, Einzelpersonen zu identifizieren, deren DNA zum Vergleich vorliegt. Passende DNA-Fragmente wiesen die Forschenden in einem Teilexperiment mit freiwilligen Probanden anhand von Proben aus Raumluft und Fußabdrücken am Strand nach.

Gentechnische Schwierigkeiten

Ein Hindernis bei der exakten Identifizierung von Individuen skizziert eDNA-Forscherin Tamara Schenekar von der Uni Graz, die nicht an der Studie beteiligt war, im STANDARD-Gespräch: "Das Erbmaterial in einer eDNA-Probe stammt meist von mehreren Individuen derselben Art und man weiß nicht, wie viele dies sind." Außerdem sei das Erbmaterial in der Regel stark fragmentiert und muss im Vergleich zu einem Referenzgenom "zusammengebastelt" werden. Deshalb ist es schwierig, bestimmte Fragmente eindeutig einer Person oder einer anderen zuzuordnen.

Dass Individuen eindeutig identifizierbar werden, "ist jedoch eines der nächsten Ziele, an denen die eDNA-Forschung arbeitet, da dies für Wildlife-Monitoring-Programme sehr wichtig ist", sagt die Biologin. Das Feld entwickle sich rasant weiter, immer häufiger werden komplette DNA-Sequenzierungen durchgeführt, weil sie immer erschwinglicher werden.

Sensible Daten schützen

Menschliche genetische Daten liegen in diversen Datenbanken vor, etwa bei Genomanalyseanbietern. Sie sind nicht öffentlich zugänglich, doch Hackerangriffe zeigen, dass man sich auch zu diesen Daten illegal Zugang verschaffen könnte. Zudem ist es in der Wissenschaft üblich, die analysierten Informationen frei verfügbar zu machen, betont Duffy. "Das bedeutet, dass jeder kommen und diese Daten sammeln kann, wenn menschliche Erbinformation nicht herausgefiltert wird."

Sammeln von Wasserproben in Florida: Jessica Farrell und Sean Goggin gehören zum Forschungsteam, das überraschend gut analysierbare menschliche DNA in den Umweltproben nachwies.
Foto: Todd Osbourne

Die österreichische Politikwissenschafterin Barbara Prainsack, die Mitglied der Bioethikkommission ist und ebenfalls nicht an der Studie mitwirkte, unterstreicht: Menschen müssen "vor missbräuchlicher Verwendung dieser Technologie geschützt werden". Das betreffe neben Einzelpersonen insbesondere etwa Minderheitengruppen, deren Genomdaten ohne deren Wissen gesammelt werden könnten.

Indizien am Tatort

Umwelt-DNA ließe sich tatsächlich verwenden, um an einem Tatort Indizien für Verdächtige wortwörtlich aus der Luft zu greifen. Wichtig sei aber ein ethisch reflektierter Umgang damit, sagt Duffy.

Eindeutig sei der Fall rechtlich übrigens laut Datenschutz-Grundverordnung der EU nicht, schreibt die US-amerikanische Rechtsexpertin Natalie Ram von der Universität Maryland in einem Begleitartikel: Anonymisierte genetische Daten fallen nicht unter die Verordnung, aber codierte genetische Daten dürften als identifizierbare persönliche Daten gelten. Bei der US-amerikanischen Polizei sei jedenfalls das Interesse an der Nutzung von Genomdaten aus medizinischen Datenbanken, um etwa Kriminalfälle zu lösen, groß.

Auf einer unbewohnten Insel konnten die DNA-Fragmente, die aus einer Sandprobe im Fußabdruck eines Forschers gewonnen wurden, mit dieser Person in Einklang gebracht werden.
Foto: Hydromet / Getty / iStock

Doch die DSGVO könnte sich schon in ein paar Jahren ändern, sagt Schenekar. Daraus dürfte sich außerdem für Forschende eine Zwickmühle ergeben: "Wir als Wissenschafter:innen sind zunehmend verpflichtet, Rohdaten – wie auch die DNA-Sequenzen – auf öffentlichen Plattformen verfügbar zu machen, wenn wir Artikel basierend auf diesen Daten in einer renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift publizieren wollen." Diese Daten dürfen jedoch nicht bearbeitet oder gefiltert werden, um keinen Verdacht der Manipulation zu wecken und die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen. Müsste man sie der DSGVO zufolge ändern, "würden diese beiden Vorschriften im Konflikt stehen", stellt die Biologin in Aussicht.

Nutzen für Medizin und Co

"Das Ziel kann hierbei allerdings nicht sein, jegliche Umweltforschung, bei der es denkbar ist, dass menschliche DNA zufällig mit analysiert wird, als Forschung am Menschen zu qualifizieren und genau denselben forschungsethischen Vorgaben zu unterwerfen", gibt Bioethikerin Prainsack zu bedenken.

In der Wissenschaft profitieren viele Bereiche von den verbesserten genetischen Methoden. Neben Covid-Virusvarianten lassen sich im Abwasser etwa Krebsmutationen analysieren. In der Archäologie kann menschliche DNA nicht nur aus aufgebohrten Knochen gewonnen werden, sondern auch von der Oberfläche eines Schmuckanhängers, wie eine revolutionäre Studie kürzlich zeigte. Anders als für Menschen, die vor 10.000 Jahren lebten, ist die Dokumentation von DNA-Spuren während ihres Lebens besonders brisant für jene, die heute oder in Zukunft auf der Welt sind. (Julia Sica, 15.5.2023)