Klack-klack. So klingt es, wenn tonnenschwere Lkws über die Brückenabschnitte der Luegbrücke donnern. Wenn Martin Reiter das Wohnzimmerfenster öffnet, durchdringt ein Rauschen und Pfeifen die Stille. Klack-klack.

Lärm, Stau und die Angst, dass der Rettungswagen nicht durchkommt, wenn man ihn braucht: Die Sorgen eines Anrainers in Gries am Brenner.
Florian Scheible

Es ist die Geräuschkulisse hier in Gries am Brenner, einem 1300-Einwohner-Ort an der A13 Brennerautobahn. Reiter lebt schon seit über zwanzig Jahren hier, in unmittelbarer Nähe der rund zwei Kilometer langen Brücke, die in den 1960ern erbaut wurde. Die Lärmbelastung sei das eine, sagt Reiter. Er sorge sich aber auch darum, was passiert, wenn es an verkehrsreichen Tagen zu einem Notfall kommt. Denn auf der Luegbrücke staut sich der Verkehr, vor allem am Wochenende. "Da bleiben wir zu Hause."

Die Luegbrücke wurde in den 1960ern erbaut. Sie ist knapp zwei Kilometer lang.
Florian Scheible

Auch die Brücke ächzt unter der Verkehrslast

Gries liegt im Wipptal, einem engen Seitental in Tirol. Seit Jahrtausenden zählt es aufgrund der niedrigen Passhöhe zu den bedeutendsten Nord-Süd-Achsen durch die Alpen. Heute ist sie vor allem eines: billig. Einer im Auftrag der Landesregierung erstellten Studie zufolge haben 33 Prozent der Transit-Lkws über den Brenner im Jahr 2019 einen Umweg in Kauf genommen. Knapp 2,5 Millionen Lkws donnerten laut Autobahnbetreiber Asfinag im Jahr 2022 durch das Bundesland.

Knapp 2,5 Millionen Lkws donnerten im Vorjahr durch Tirol.
Florian Scheible

Unter der Transitlawine ächzt nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Brücke. Seit dem Vorjahr stützen Stahl-Fachwerksträger den Bau an vier neuralgischen Stellen – ein Sicherheitstragwerk. Die Brücke ist derart desolat, dass sie für den laufenden Betrieb abgesichert werden muss, damit sie nicht einstürzt. Eine Sensorik überwacht die Brücke, Anfang März wurde eine Ampelanlage aktiviert. Schaltet die Ampel auf Rot – wenn die Sensoren etwa einen Bruch oder größere Bewegungen registrieren –, so würde sie sofort gesperrt. 18 Millionen Euro Steuergeld flossen bis dato in die Sicherheitsmaßnahmen.

Einspurigkeit ab 2025

Stefan Siegele, der Asfinag-Geschäftsführer für Tirol, beruhigt: Die Wahrscheinlichkeit für eine Totalsperre ist aus jetziger Sicht gering. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit" sei allerdings mit einer Einspurigkeit auf der Luegbrücke ab dem Jahr 2025 zu rechnen. Die Brücke würde die Verkehrslast dann schlicht nicht mehr stemmen können. Natürlich sei man bestrebt, die Brücke "so lange wie möglich zweispurig zur Verfügung zu stellen", versichert er im Gespräch mit dem STANDARD. Aber: "Die Sicherheit geht vor."

Knapp 1.300 Menschen leben in Gries am Brenner. Der Bürgermeister kämpft "für jeden Einheimischen", sagt er – und stellt sich vehement gegen einen Brückenneubau.
Florian Scheible

Dabei ist schon lange bekannt, dass die Luegbrücke schwer baufällig ist. Die Planungen laufen seit mehr als zwölf Jahren, 2013 starteten Gespräche zwischen Asfinag und den Anrainergemeinden. Unter den Lösungsvarianten war auch ein Tunnel, der lange Zeit von den betroffenen Gemeinden favorisiert wurde. Rückendeckung dafür gab es zunächst auch vom Land. Die Asfinag und der Bund präferierten dagegen einen Neubau der Brücke.

Eine Lösung lag auf dem Tisch, sagen die einen

Um die Pattsituation zu beenden, wurde ein Sachverständigengut achten in Auftrag gegeben. Sieben internationale Fachleute sollten ein Urteil treffen, das für die Auftraggeber bindend sein sollte. 2020 lag das Ergebnis vor: Der Brückenneubau überzeugte. "Hätte man sich damals an das Gutachten gehalten, könnten wir heute schon über die neue Trasse fahren", sagt Hans Cammerlander. Wenn er über die Brücke spricht, graben sich Sorgenfalten in seine Stirn, seine Stimme wird laut. Cammerlander sitzt auf dem Ticket einer oppositionellen Liste im Gemeinderat. Zum Gesprächstermin kommt er ein paar Minuten zu spät.

Hans Cammerlander sitzt im Gemeinderat in Gries am Brenner. Der Bevölkerung sei mehr geholfen, wenn nun endlich ein Baustart erfolge, sagt er.
Florian Scheible

Er brauche etwas länger, sagt er entschuldigend. Seit er um den Zustand der Brücke wisse, vermeide er es konsequent, darüberzufahren. Cammerlander fühlt sich von der Politik im Stich gelassen: "40 Jahre wurde uns eine Lösung versprochen, passiert ist nichts." Schnellstmöglich sollte man mit dem Neubau der Brücke beginnen, findet er. Die Zusagen der Asfinag in Bezug auf Lärmschutz und Schadstoffkompensation seien mittlerweile "sehr gut". Es sei eine "Jahrhundertchance", die Situation der Bevölkerung zu verbessern.

Da geht noch mehr, die anderen

Von einer "Jahrhundertchance" spricht – wenige Kilometer weiter in den Gefilden des Rathauses – auch der Bürgermeister der Gemeinde Gries, Karl Mühlsteiger. Doch er meint etwas anderes. Denn Mühlsteiger hält noch immer vehement an einer Tunnellösung fest. Gegen sämtliche Bauvorhaben und Vorschläge legte die Gemeinde Beschwerde ein oder tat Einsprüche kund. Erst kürzlich habe man "knapp 250 Mankos" den Baubescheid für eine neue Trasse betreffend an das Ministerium übermittelt, sagt Mühlsteiger.

Bürgermeister fordert Tunnel und Einhausungen

Eine abermalige Beschwerde vonseiten der Gemeinde könnte den Baustart um ein weiteres Jahr verzögern, schätzt die Asfinag. Mühlsteiger fordert, die A13 Brennerautobahn "neu zu überdenken" und überall dort, wo es möglich ist, zu untertunneln oder einzuhausen. Eine Tunnellösung sei für die Asfinag nie eine ernsthafte Lösung gewesen. Im Gespräch mit Mühlsteiger wird klar: Er fühlt sich zu wenig eingebunden und ernst genommen. "Jeder Einheimische ist es mir wert, dass ich für die Sache kämpfe", macht Mühlsteiger mit breiter Brust klar.

Bürgermeister Karl Mühlsteiger posiert mit Einsprüchen gegen das Bauvorhaben. 250 Seiten an "Mankos" hätten seine Expertinnen und Experten in ihrer Freizeit entdeckt und aufbereitet, so Mühlsteiger.
Florian Scheible

"Es gibt auch ein großes Ganzes" appelliert indes Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ) an den Grieser Bürgermeister. Die Causa Luegbrücke habe schließlich auch eine europäische Dimension. "Starten statt warten" müsse das Ziel sein, so Zumtobel im Gespräch mit dem STANDARD. Gegen die Abwehrhaltung aus Gries ist das Land weitgehend zahnlos. Wehrt sich Mühlsteiger weiter, so könne er dem nichts entgegensetzen, außer an seine Vernunft zu appellieren, räumt Zumtobel ein. Er habe zahlreiche Parallelmaßnahmen ergriffen, habe etwa den öffentlichen Verkehr ausgebaut. Ein Ende der Debatte oder ein Baubeginn scheinen nicht in Sicht. Und die Luegbrücke ist nur ein Anfang, zahlreiche Abschnitte der A13, darunter auch weitere Brücken, sind sanierungsbedürftig. (Maria Retter, 16.5.2023)