Die Nase an einem Schaufenster plattdrücken: Es gibt Familien, die auch über kleinere Ausgaben nachdenken müssen. 353.000 Kinder gelten hierzulande als armuts- und ausgrenzungsgefährdet.

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In der Antiteuerungspolitik gibt derzeit nicht die Regierung, sondern die Stimmungslage den Rhythmus vor. Nachdem der Gipfel zur Eindämmung der Lebensmittelpreise in der Vorwoche statt Ergebnissen unschöne Schlagzeilen produziert hatte, schnürten ÖVP und Grüne überhapps ein Maßnahmenpaket. Doch weil darin nicht nur die Opposition, sondern auch namhafte Wirtschaftsforscher Unterstützung für finanziell schwache Gruppen vermissten, will die Koalition nun ein weiteres Mal nachbessern.

Speziell der Bekämpfung der Kinderarmut will sich die Regierung widmen – aus naheliegenden Gründen. Denn die Evidenz ist eindeutig: Wer bereits in jungen Jahren in Armut lebt, ist nicht nur im Hier und Jetzt benachteiligt, sondern hat auch ein größeres Risiko, im Erwachsenenalter in misslicher Lage zu leben. Geringere Bildungschancen in Kindertagen, vom inexistenten Rückzugsort für Schularbeit bis zum fehlenden Geld für Nachhilfe, münden in niedrigere Einkommen. Ungesunde, weil billige Ernährung legt die Basis für Übergewicht und andere Gesundheitsprobleme.

Bei Kindern schlechter als sonst

Außerdem liest sich die heimische Bilanz nicht gerade rosig. Nach allen Indikatoren ist Armut für jüngere Menschen in Österreich ein größeres Problem als für die älteren. Während von der Bevölkerung über 65 Jahren laut Statistik Austria "nur" 15 Prozent von Armut und Ausgrenzung gefährdet sind, gilt das bei den unter 17-Jährigen für 22 Prozent, sprich 353.000 Personen – das höchste Risiko aller Altersgruppen.

Im EU-Vergleich liegt die Armutsgefährdung hierzulande insgesamt deutlich unter dem Durchschnitt der 27 Mitgliedstaaten. Geht es jedoch nur um die Bürgerinnen und Bürger unter 16 Jahren, rangierte Österreich, obwohl eines der reichsten Länder, in der jüngeren Vergangenheit sogar knapp darüber.

Folgt die Regierung den Empfehlungen der Expertenschaft, dann soll die Hilfe nicht nur schnell, sondern auch gezielt erfolgen. Denn die abermalige Anwendung der "Gießkanne", mit der das Geld breitflächig im Volk verteilt wird, drohe abgesehen von horrenden Kosten via eine gesteigerte Nachfrage die Inflation weiterzubefeuern.

Politisch heikle Hebel

Um diesen Anspruch zu erfüllen, ließe sich etwa der Familienzuschlag zum Arbeitslosengeld erhöhen. Dieser liegt derzeit bei 0,97 Euro pro Tag. Folgen könnte die Regierung auch dem Beispiel aus der Corona-Zeit, als sie die niedrigere Notstandshilfe auf das Niveau der "Arbeitslosen" anhob. Das würde aber nicht nur Eltern, sondern allen Beziehern nützen.

Diese Varianten würden es der ÖVP halbwegs ermöglichen, sich als linientreu darzustellen. Denn gegen eine allgemeine Erhöhung des Arbeitslosengeldes hat sich die Kanzlerpartei stets mit dem Argument gestemmt, dass dann der Anreiz zum Arbeiten wegfalle.

Politisch ähnlich heikel ist für die ÖVP die Benützung eines anderen Hebels, der sich anbietet. Natürlich lassen sich finanziell Notleidende gut mit einer Aufbesserung der Sozialhilfe erreichen – indem etwa die vorgesehenen Kinderzuschläge angehoben werden. Doch unter dem Slogan "Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein" waren es die Türkisen, die eine Demontage der großzügigeren Mindestsicherung durchgesetzt haben. Als Negativbeispiele geisterten besonders kinderreiche Familien durch die Debatte.

Direkt an Kinder richten sich auch Leistungen wie das allen Kindern zwischen sechs und 15 Jahren zustehende Schulstartgeld oder die einkommensabhängige Schulbeihilfe, die derzeit aus einem Grundbetrag von 1520 Euro besteht. Da ließe sich das Niveau ebenso heben.

Mit Geld allein nicht getan

Noch diese Woche will die Regierung ihr Pläne vorlegen. Nicht reichen wird die Zeit, um die Forderung der SPÖ zu erfüllen: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner fordert eine Kindergrundsicherung, wie sie die Volkshilfe in Form einer gestaffelten Leistung von bis zu 625 Euro pro Monat konzipiert hat.

Längerfristig sei es mit höheren Leistungen allein nicht getan, um Kinderarmut zu beseitigen, sagt Martin Schenk von der Armutskonferenz: Es brauche eine lückenlose Präventionskette, wie sie etwa Dänemark schmiede. Schon wenn direkt nach der Geburt Probleme wie mütterliche Depression oder Geldsorgen auftreten, müssten Familiencoaches und Sozialarbeiter parat stehen – ein Prinzip, dass sich bis zur Volljährigkeit fortsetzen solle. (Gerald John, 16.5.2023)