Bisher wird Fährverkehr betrieben.

Foto: Dieterich

Über Laurent Mbatua schwebt bereits das Damoklesschwert – elf Meter breit, 620 Meter lang und Tausende von Tonnen schwer. Die mächtige Betonbrücke über den Logone-Fluss wird den 35-jährigen Bootsmann im kommenden Jahr seinen Job kosten: nachdem er über zwölf Jahre lang mit seinem Kanu Waren von Kamerun aus über den Fluss in den Tschad geschafft hat – ein prekäres Nadelöhr nahe des nordkamerunischen Städtchens Yagoua, das ein großer Teil der Importe des küstenlosen Binnenstaats Tschad im nördlichen Zentrum Afrikas passieren muss.

Noch heikler ist, was Mbatua auf dem Rückweg über die fließende Grenze zu schaffen pflegt: An den Hörnern zusammengebundene Rinder, die von dem Fährmann und seinen Kollegen durch den Fluss getrieben werden – in Stoßzeiten bis zu tausend Tiere am Tag. Verwandelt sich der Logone in der Regenzeit zu einem Strom, kann Mbatua für jedes erfolgreich transferierte Rind einen Euro verlangen; fließt das Gewässer in der Trockenzeit schmal und gemächlich vor sich hin, muss er mit zehn Cent pro Tier vorliebnehmen. Immerhin hat Mbatua auf diese Weise auch seine sechsköpfige Familie über Wasser gehalten – womit nach der Brückeneröffnung im kommenden Jahr von einem Tag auf den anderen Schluss sein wird. In weiser Voraussicht kaufte der Bootsmann ein Motorrad, um sich als Taximann durchschlagen zu können: "Hätte ich mich nur über die Brücke beklagt, hätte das hier keiner verstanden."

Hoher Besuch

Wie recht er hat, wird wenige Stunden später deutlich, als Kameruns Minister für öffentliche Bauvorhaben, Emmanuel Nganou Djoumessi, zu einem Besuch in Yagoua einfällt, begleitet von einer über vierzig Fahrzeuge zählenden Wagenkolonne. Am Eingang des Städtchens hat sich ein Grüppchen bestellter Jubel-Kameruner eingefunden: Der Bau der Brücke sei das Beste, was ihm in seinem Leben je widerfahren sei, schwärmt ein grauhaariger Herr.

Im fernen Yaoundé feiert man den Deal.
Foto: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany/File Photo

Tatsächlich wird die Betonverbindung nicht nur das verschlafene Städtchen Yagoua und Bongor auf der anderen Seite des Flusses aufblühen lassen: Sie wird auch den Tschad aus einem Dilemma befreien, in das ihn die nigerianische Islamistensekte Boko Haram schon vor zwanzig Jahren gestürzt hat. Seitdem machen die Extremisten die gesamte Region südlich des Tschadsees unsicher, durch die auch die Hauptverkehrsader von Kameruns Hafenstadt Douala in Tschads Hauptstadt N'Djamena verläuft. Auf sie war der Binnenstaat für 80 Prozent seiner Ein- und Ausfuhren angewiesen. Die Umtriebe der muslimischen Sekte ließen für den Verkehr zwischen den Nachbarn neben einer wesentlich längeren Südroute nur noch die prekäre Bootsüberquerung über den Logone-Fluss infrage kommen: Dass das so nicht weitergehen konnte, war den Präsidenten des Tschad und Kameruns bereits vor 15 Jahren klar. Deshalb vereinbarten sie den Bau einer Brücke.

Ungewohntes Bild

Gewöhnlich geht es in Afrika dann so weiter: Die Regierungen suchen eine Bank, die sich um die Finanzierung kümmert, sowie eine Firma für die Ausführung des Bauvorhabens – und geben in neun von zehn Fällen chinesischen Unternehmen den Zuschlag. Diese arbeiten in Sachen Finanzierung und Ausführung Hand in Hand zusammen und werden – selbst wenn es sich um Privatfirmen handelt – von ihrer Regierung nach Kräften unterstützt. Das Geld schießt etwa die China Development Bank vor, während für den Bau die China Road and Bridge Corporation verantwortlich ist. Die Arbeit wird von chinesischen Ingenieuren designt, oft kommen sogar Arbeiter aus dem Reich der Mitte zum Einsatz. Ein kompaktes One-Stop-Verfahren, das die verzettelten und von ihren Regierungen höchstens halbherzig gepushten europäischen Akteure alt aussehen lässt.

Das Brückenprojekt bei Yagoua verlief zur Abwechslung einmal anders. Als Finanzier des auf 114 Millionen Euro veranschlagten Bauvorhabens schaltete sich die Afrikanische Entwicklungsbank (ADB) ein, die Europäische Union erklärte sich zur Übernahme von rund 40 Millionen Euro aus einem Entwicklungshilfefonds bereit. Vor allem deshalb kam bei dem Bau der Brücke ausnahmsweise auch einmal ein europäisches Unternehmen zum Zug: die französische Firma Razel, die in Kamerun schon seit fast 80 Jahren aktiv ist. Der Erfolg bei der Ausschreibung habe allerdings auch auf einem Fehler seines Unternehmens bei der Kostenkalkulation beruht, räumt der Westafrika-Chef der Firma, Frank Casteleyn, ein.

Kommunikationsdefizite

Das hinderte die Europäische Union nicht daran, das Brückenprojekt zum "Flaggschiff" ihres im Dezember 2021 vom Stapel gelaufenen "Global Gateway"-Programms zu küren. Im Rahmen des Mega-Plans will die EU innerhalb von sechs Jahren weltweit 300 Milliarden Euro vor allem in Infrastrukturvorhaben leiten – wobei es sich um Hilfsgelder, günstige Darlehen oder auch um Investitionen von Privatunternehmen handeln kann. Das globale Konzept, das vom "Team Europa" – der EU, den Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie den europäischen Entwicklungsbanken – verantwortet wird, soll der Verdrängung und Zersplitterung der europäischen Akteure in Afrika sowie deren mangelhaften Reputation entgegenwirken. "Wir leiden unter einem Sichtbarkeits- und Anerkennungsdefizit", klagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: "Viel zu lange scheuten wir vor harten und sichtbaren Infrastrukturprojekten zurück und überließen den Chinesen das Feld."

Niemand macht ein Geheimnis daraus, dass das ehrgeizige Programm als Europas Antwort auf das chinesische Jahrhundertprojekt "One Belt One Road" zu verstehen ist. In dessen Rahmen will das Reich der Mitte bis zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 2049 weltweit bis zu acht Billionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur pumpen. Das dient vor allem dem Zweck, die Handelswege sowohl für aus China exportierte Waren wie für nach China gelieferte Rohstoffe auszubauen. An Pekings "Gürtel- und Straßenprogramm" sind mehr als 150 Staaten beteiligt, über eine Billion Dollar hat das Reich der Mitte bereits in den Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien und Häfen sowie die Verlegung von Glasfaserkabeln investiert.

Kampf um Afrika

Pekings Geschäftigkeit brachte die EU-Beamten in Brüssel in Zugzwang. Derzeit tobe ein neuer "Scramble for Africa", erklärt der EU-Botschafter in Kamerun, Philippe van Damme: Der jahrezehnt lang an den Rand gedrängte Kontinent ist plötzlich wieder en vogue geworden. Als erstes "Gedrängel um Afrika" ging die im 19. Jahrhundert vollzogene Aufteilung Afrikas durch die europäischen Kolonialnationen in die Geschichte ein – seitdem hat sich die Herkunft der Drängler verändert. Inzwischen treten vor allem Chinesen, aber auch Inder, Araber und Türken als Drängler in Erscheinung: Die europäischen Ex-Konkurrenten tun sich zusammen, um bei der Erstürmung des letzten noch weitgehend unentwickelten Markts der Welt nicht ganz verdrängt zu werden. Es gehe sowohl um ökonomische wie um geostrategische Interessen, weiß van Damme: um den Zugang zu Rohstoffen, um landwirtschaftliche Nutzflächen und Energiequellen – sowie um einen Absatzmarkt, auf dem sich bereits Mitte des Jahrhunderts ein Viertel der Menschheit tummeln wird. Zumindest in den Augen der Europäer geht es schließlich auch um einen Wettstreit der Systeme: um Demokratie statt Diktatur der Partei, um gute Regierungsführung, Transparenz und das Wohl der Bevölkerung.

Die Verbindung über den Logone-Fluss sei deshalb mehr als nur ein großes Stück Beton, sagt Botschafter van Damme: "Sie ist eine Metapher." Ein Sinnbild für Bündelung, Vernetzung und Verbundenheit – mächtige Worte, für die das "Global Gateway"-Programm stehe und das es von seinem chinesischen Pendant abheben soll. Europas Staatenbund identifizierte 14 "Korridore", die als Rückgrat des neuen Konzepts gelten, davon elf in Afrika. Eine der Verbindungen, der Libreville-N'Djamena-Korridor, soll Gabuns Hauptstadt der des Tschad näherbringen – und irgendwann sogar den Westen des Kontinents mit dem Osten verbinden. Und zwar auf "nachhaltige, effiziente, intelligente, widerstandsfähige, faire, kostengünstige und sichere Weise", wie die europäischen Urheber des Programms etwas vollmundig versprechen. Außer die Brücke bei Yagoua gehören zum Libreville-N'Djamena-Korridor-Projekt auch der Ausbau der Straße von Libreville über Douala nach Yaoundé, die Beseitigung des notorischen Verkehrschaos in Kameruns Hauptstadt durch eine Umgehungsstraße und die Einführung eines öffentlichen Nahverkehrssystems sowie der Ausbau der Straße im Tschad bis zur Hauptstadt N'Djamena.

Renovierte Grundschule

Und nicht nur das. Yagouas Bürgermeister Pierre Lirawa führt seine Gäste zu einer Grundschule, die außer neuen Unterrichtsräumen endlich auch eine Toilette bekommen soll; außerdem zum Fundament einer Gesundheitsstation, die einmal Kranken den Weg zum sieben Kilometer entfernten Hospital ersparen wird; und einem Waldstück, das zum Naturschutzpark veredelt werden soll. Auch für diese Kleinprojekte – von denen es noch wesentlich mehr gibt – stellt die EU Mittel zur Verfügung: "Weil wir für Entwicklung ein wesentlich breiteres Verständnis als die Chinesen haben", sagt Botschafter van Damme.

Es besser als die Chinesen zu machen ist Anspruch und Gewissheit der Europäer in Afrika. Das Reich der Mitte denke vor allem an sich selbst, scheuche afrikanische Staaten in die Schuldenfalle, kümmere sich nicht um Transparenz und gute Regierungsführung, sondern stärke Despoten und korrupten Eliten noch den Rücken, lautet der Brüsseler Refrain. An dem Zerrbild mag einiges stimmen: Tatsächlich stampfen Chinesen an zahllosen Orten riesige, oft nutzlose Stadien aus dem Boden, kümmern sich nicht um die Veredelung von Rohstoffen auf dem afrikanischem Kontinent und machen selbst mit den übelsten Despoten Geschäfte. Mancher von Peking heimgesuchte Staat zappelt inzwischen wie Sambia in der Schuldenfalle, zumindest für Afrikas westlich orientierte "Zivilgesellschaften" sind Chinesen eher die neuen Kolonialisten als die Befreier. Doch als ein Umfrageinstitut wissen wollte, welcher Partner einen positiveren Einfluss auf ihre Länder habe, hätten fast 50 Prozent der Befragten "China" gesagt, nur zehn Prozent "Europa", klagt Kommissionspräsidentin von der Leyen: Mit positiven Attributen wird die Heimat der einstigen Kolonialherren noch immer nicht in Verbindung gebracht.

Beim Rundgang über die Brückenbaustelle lässt sich Minister Djoumessi gelegentlich hinreißen: "ç'est formidable!" Die Fertigung der riesigen Betonträger vor Ort und ihre millimetergenaue Einpassung auf die Brückenpfeiler trotzen dem gelernten Juristen offenbar Respekt ab. Weniger Aufmerksamkeit widmet der Minister der Schultoilette, dem künftigen Gesundheitszentrum oder dem Naturschutzgebiet: Sie warten vergeblich auf Besuch. Auf die Frage, ob er es lieber mit Europäern oder Chinesen zu tun hat, antwortet Djoumessi diplomatisch "mit beiden": "Für uns ist zweitrangig, wer etwas tut. Hauptsache, es wird etwas getan." Falls das Wie nicht interessiert, sieht auch der "Global Gateway" alt aus. (Johannes Dieterich aus Yagoua, 17.5.2023)