Ausgelassene Stimmung beim Hyperreality-Festival. Internationale und nationale Musikschaffende feiern an zwei Tagen im Mai das utopische Potenzial der Clubkultur.

Foto: Magdalena Fischer

Echte Utopien lassen sich wohl nur im Kopf verwirklichen. Man kann sich aber annähern. Zum Beispiel in den 16A einsteigen und bei der Rosiwalgasse aus. Dann noch einmal ums Eck, und man steht vorm Eingang zum Zukunftshof. Seit 2019 kennt man ihn auch unter diesem Namen, als die damals noch in Gründung befindliche Genossenschaft Zukunftshof um Schneckenzüchter Andreas Gugumuck das Zwischennutzungskonzept für den ehemaligen Haschahof in Rothneusiedl gewann.

Rudolf Hascha, der in den späten 1980ern begann, den Familienbetrieb auf biologischen Landbau umzustellen und gewissermaßen als Pflückfeld-Säulenheiliger gilt, hatte den imposanten Hof 2015 an den Wohnfonds Wien verkauft. 2016 setzte ein Transparent einer Abrissfirma Anrainer und Anrainerinnen in Alarmbereitschaft, der Hof wurde besetzt, und es wurde lautstark gegen den geplanten Abriss der historischen Gebäude protestiert. Der Wohnfonds lenkte ein und schrieb eine mehrjährige Zwischennutzung aus.

In eine andere Welt

Heute ist von der Vision der Genossenschaft, den Hof zu einem "Leuchtturmprojekt für urbane Lebensmittelproduktion, Grätzel-Treff für Nachbarschaft, Kunst und Kultur im Süden Wiens" zu machen, wie es auf der Website heißt, noch nicht viel zu sehen – die Pandemie wirkte wie vielerorts wohl auch hier als Bremse, jetzt die explodierenden Kosten. Dennoch haben sich ein paar Mutige hier niedergelassen.

Der Zukunftshof in Rothneusiedl, Favoriten, bietet nicht nur die Kulisse für Festivals, sondern möchte ein Leuchtturmprojekt im Süden Wiens werden.
Foto: Zukunftshof/Gugumuck

Zum Beispiel das Kollektiv Kosmos Kuriosum, das im Zukunftshof monatlich eintägige Musikfestivals veranstaltet, zu denen regelmäßig 2.000 Menschen kommen. Obwohl man sich als Besucherin im Zukunftshof durchaus wie irgendwo im Nirgendwo fühlt, gibt es natürlich auch hier Anrainerinnen und Anrainer, bei denen Techno und feiernde Menschen verständlicherweise nicht nur auf Gegenliebe stoßen, erzählt Grischka Heimrath, Teil des Kollektivs.

Verständlich ist aber auch die Perspektive von Veranstaltern wie Heimrath, denen die Orte und Flächen fehlen, ihre Utopien umzusetzen. Kosmos Kuriosum will nicht weniger, als sein Publikum für einen Tag in andere Welt entführen, wofür aufwendige Kulissen und Bühnen gebaut werden. "Viele meiner Freunde sagen, wir sind bescheuert, weil wir nicht wirtschaftlich denken, aber ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Die Leute mögen uns und kommen ja auch deshalb wieder, weil der Spaß nicht so stark von der Größe des Geldbeutels abhängig ist." Dass die Feste für Studierende leistbar sein sollen – 18 Stunden Party kosten 18 Euro Eintritt –, ist Heimrath das Wichtigste, Kommerz und Kapitalismus sollen soweit es geht draußen bleiben, dafür nimmt man die Selbstausbeutung in Kauf – denn das Kollektiv schmeißt eben nicht nur Partys, sondern investiert viel Zeit und Arbeitskraft in die Instandhaltung des Hofs.

Dass Clubkultur, die historisch gesehen stark mit dem Kampf von Minderheiten für Möglichkeitsräume, in denen die Hierarchien ihres Alltags nicht gelten, zusammenhängt, politisch ist und wieder sein soll, sehen viele Veranstalterinnnen und Veranstalter abseits des Mainstreams so. Das trifft auch auf das Team von Hyperreality zu, das sein zweitägiges Musikfestival nun zum zweiten Mal im Zukunftshof veranstalten wird.

Ein kleiner Teil des mittlerweile fast 20-köpfigen Teams, das das Festival organisiert. Alle werden für ihre Leistungen bezahlt – immer noch eine Seltenheit im Kulturprekariat und nur durch Förderungen möglich.
Foto: Magdalena Fischer

Neben dem Fokus auf der Repräsentation von Flinta* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen), die den Großteil des Festivalteams, aber auch der Bookings ausmachen, sieht Lisa Holzinger utopisches Potenzial im kollektiven Arbeiten. Als sie die Ausrichtung des Festivals, das zuvor von Marlene Engel, die es im Rahmen der Festwochen erfand und dann unabhängig weiterführte, übernahm, befand sie, dass "die Zeit der One-Person-Shows vorbei sein sollte. Ich finde es wichtig, dass sich unterschiedliche Positionen und Sichtweisen in der Programmierung widerspiegeln." Fast 20 Leute sind es, die sich die Aufgaben untereinander aufteilen, was – Excel sei dank – auch relativ friktionsfrei funktioniert. Dass auch jede und jeder für seine Leistungen bezahlt wird, ist nur durch eine Förderung in Höhe von 75.000 Euro von der MA 7 möglich. Das Tagesticket kostet 35 Euro und befindet sich damit ungefähr in derselben Liga wie das Tagesticket beim Kremser Donaufestival (40 Euro), mit dem es auch musikalisch – Stichworte: progressiv, experimentell – am ehesten vergleichbar ist.

Musikalisch geht es am Hyperreality progressiv und experimentell zu.
Foto: Magdalena Fischer

Bei Hyperreality liegt der Fokus stärker als in Krems auf Clubmusik, das Festival ist also spitzer, aber auch nischiger programmiert. Produzenten wie LSDXOXO, der heuer zu Gast sein wird, sind zwar internationale Stars, aber eben in subkulturellen Szenen, die klein sind.

Gegen Ungleichbehandlung

Dazu kommt, dass jede Kultur, auch jede Subkultur, Ausschlüsse produziert und mit Codes arbeitet, die nicht für alle verständlich sind und sein wollen. Da Musik, wie sie am Hyperreality gespielt wird, einem im Alltag kaum begegnet (am ehesten noch auf FM4), ist "Niederschwelligkeit" sicherlich keine Kategorie, die zutrifft. Dass das Ziel eines Festivals wie Hyperreality also nicht sein kann, wirklich alle zu erreichen, ist Holzinger bewusst. Eher geht es darum, Dinge richtig(er) zu machen und gegen Ungleichbehandlungen zu arbeiten: zum Beispiel mit Fair Pay oder damit, lokalen und internationalen Acts denselben Stellenwert zu geben, oder mit einem Awareness-Team dafür zu sorgen, dass Gäste Ansprechpersonen haben, an die sie sich wenden können, wenn sie Übergriffe erlebt haben; denn ja, auch bei einem Festival wie Hyperreality kommen diese vor. Die Welt ist kein Safe Space, auch nicht auf dem Zukunftshof. Wenn die Utopie aber lautet, besser und fairer zu feiern, dann versuchen Menschen hier, sich ihr anzunähern. (Amira Ben Saoud, 16.5.2023)