Julian Hessenthaler (43) wurde als Drahtzieher hinter dem Ibizia-Video bekannt. Er war 28 Monate wegen Drogenhandels in Haft.
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Julian Hessenthaler ist der Macher des Ibiza-Videos. Am 17. Mai 2019 haben seine Aufnahmen Heinz-Christian Strache bloßgestellt. Die darauffolgenden Korruptionsermittlungen haben Sebastian Kurz’ Kanzlerschaft beendet. Im Interview mit dem STANDARD spricht Hessenthaler darüber, wer er vor Ibiza war, was er im Gefängnis erlebt hat und was er der Justiz vorwirft.

STANDARD: Herr Hessenthaler, als wir das letzte Mal miteinander sprachen, trennte uns eine Glasscheibe. Das war in der Haftanstalt Sankt Pölten vor ungefähr einem Jahr. Wie geht es Ihnen jetzt?

Hessenthaler: Es war schon ein Gefühl der Freiheit, wieder ein Flugzeug besteigen zu können. Leute wieder zu treffen, die ich lange nicht gesehen hatte, und Dinge zu tun, die unter normalen Alltag fallen.

Jetzt anhören: Das Interview mit Julian Hessenthaler in voller Länge hören Sie hier im Podcast.

STANDARD: Nach der Haft hatten Sie eine Fußfessel. Was bedeutet das?

Hessenthaler: Diese Fußfessel ist mit GPS versehen. Man ist jederzeit trackbar. Es gibt bestimmte Zeiten, in denen man einkaufen gehen darf. Man darf den Arbeitsweg beschreiten und muss sich dann am Arbeitsstandort aufhalten. Dann hat man eine Stunde Freizeit, wo man sich im Freien bewegen darf. Das Leben ist nicht aufregend, aber alles ist besser, als in einer Zelle zu sitzen.

STANDARD: Mit dem Ibiza-Video wurden Sie öffentlich bekannt. Wer war denn Julian Hessentaler vor Ibiza?

Hessenthaler: Jemand, der sehr viel Wert daraufgelegt hat, nicht über Google gefunden zu werden. Ich war jemand, der ein halbwegs normales Leben führte, der halt einer etwas unüblichen Arbeit nachging.

"Es gab einen Fall, wo ich eine Vita eines Waffenhändlers aufgebaut habe. Aber das sind eher Ausnahmesituationen."

STANDARD: Als privater Ermittler haben Sie unter anderem für einen Tabakkonzern gearbeitet und Zigarettenschmuggler aufgespürt. Wie muss man sich das vorstellen?

Hessenthaler: Es geht dabei primär um Recherche. Und dann sucht man sich Kontakte, die einem ein besseres Bild verschaffen. Das vermittelt man dem Auftraggeber, und der entscheidet, wie er weiter vorgehen will.

STANDARD: Wie haben Sie funktioniert in brenzligen Situationen?

Hessenthaler: Ich habe gelernt, dass ich unter Druck besser funktioniere als ohne Druck. Aber man muss sagen, es wird selten so heiß gegessen, wie gekocht wird. Natürlich gibt es Situationen, die unkontrollierbar sind, und manches ist einfach Glück.

Jetzt ansehen: Julian Hessenthaler erzählt im STANDARD- und SPIEGEL-Podcast "Inside Austria" über die Entstehung des Ibiza-Videos.
DER STANDARD

STANDARD: Mussten Sie eine Tarnidentität aufnehmen für diesen Job?

Hessenthaler: Zeitweise war das sicher Teil der Legende.

STANDARD: Legende?

Hessenthaler: Also, wenn Sie jemanden kennenlernen, wollen Sie wissen, wer das ist. Wenn ich Sie jetzt frage, was Sie machen, dann werden Sie mir sagen, Sie sind Journalist. Aber wenn Sie nicht darüber reden wollen, schrillen bei mir die Alarmglocken. Es gibt wenige Berufe, die es ermöglichen, diese Frage mit "Das will ich nicht sagen" zu beantworten. Und einer davon ist, wenn man vorgibt, etwas zu tun, was nicht der Norm entspricht. Es gab einen Fall, wo ich eine Vita eines Waffenhändlers aufgebaut habe. Aber das sind eher Ausnahmesituationen.

STANDARD: Wie macht man Menschen weis, jemand anderer zu sein?

Hessenthaler: Ich würde ihnen überhaupt keine Information über mich geben, um ihre Neugier zu wecken. Gleichzeitig würde ich versuchen, in ihrem Umfeld Informationen zu streuen. Wenn sie dann nämlich von mir keine Antwort bekommen und anfangen herumzufragen in ihrem Umfeld, dann erhalten sie Informationen über mich von Menschen, denen sie vertrauen. Und diese Informationen glauben sie dann.

STANDARD: So vorgegangen sind Sie auch bei Strache. Da haben Sie den Weg über dessen Vertrauten Johann Gudenus gewählt und ihm die Geschichte von der Oligarchennichte verklickert, die angeblich sehr viele Millionen Euro investieren wollte in Österreich. Waren Gudenus und Strache nicht sehr naiv?

Hessenthaler: In dem Punkt tut man den Betroffenen unrecht. Fast jeder ist schon mal getäuscht oder betrogen worden – von einem Lebenspartner, Geschäftspartner, was auch immer.

"Das, was alles die letzten Jahre auf den Tisch gekommen ist, ist nicht normal."

STANDARD: Ein Gerücht hat sich bis heute gehalten, und zwar jenes, dass Sie und der Anwalt M. mit dem Video viel Geld verdienen wollten. Stimmt das?

Hessenthaler: Nein, das ist auch bereits mehrfach beantwortet, sogar unter Wahrheitspflicht.

STANDARD: Sie haben selbst Geld investiert, um diese Falle aufzubauen. Gab es da nie die Hoffnung, dieses Geld zurückbekommen?

Hessenthaler: Zu dem Zeitpunkt, an dem ich privat Geld investierte, war ich schon angefixt. Ich bin jemand, der sich manchmal in Themen verbeißt. Bei Ibiza war das spätestens nach dieser Nacht im Sofitel so, wo Gudenus uns von sich aus den Kauf der "Kronen Zeitung" nahelegte. Da war für mich klar, hier geht es um was ganz anderes als um klassische Korruptionshandlungen. Und wenn das bedeutete, dass ich Geld einbringen muss, um meine Chancen zu erhöhen, dann war ich bereit, das zu tun.

STANDARD: Was sagen Sie zu den Auswirkungen des Videos?

Hessenthaler: Sie sind mächtig. Ich glaube, das kann kaum jemand bestreiten. Aber in Österreich ist viel zu viel normal geworden, was eigentlich nicht normal ist. Das, was alles die letzten Jahre auf den Tisch gekommen ist, ist nicht normal. Politiker sind nicht generell so. Das ist ein Stil, der sich eingeschliffen hat in Österreich durch Leute, denen es in der Politik eher um der Selbstbereicherung geht als um das Wohl des Landes.

STANDARD: Strache und Kurz werden als Beschuldigte geführt. Sollte es zu einem Prozess kommen, könnte sogar Haft drohen. Hätten Sie damit Ihr Ziel erreicht?

Hessenthaler: Mein Ziel war nicht, Strache hinter Gittern zu sehen. Mein Ziel war, die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn überprüft zu wissen. Zum Strafrahmen – da hege ich Zweifel, dass einer von beiden jemals wirklich hinter Gittern sitzen wird. Aber ich finde, Strache und Kurz haben beide, wenn auch nur annähernd zutrifft, was ich höre und weiß, nichts in der Politik verloren.

"Mir geht es nicht darum, dass ich sagen kann: Ich wurde zu Unrecht eingesperrt. Aber es soll nicht nochmals passieren."

STANDARD: Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen gegen Sie haben zu einer Verurteilung geführt. Nicht aufgrund des Ibiza-Videos, sondern wegen Drogenhandels. Was ging in Ihnen damals vor, als das Urteil verkündet wurde?

Hessenthaler: Die Unschuldsvermutung gilt offenbar nicht für jeden in Österreich. Das ging mir durch den Kopf.

STANDARD: Ihre Verteidigung sagt, der Prozess gegen Sie war ein Versuch, Sie mundtot zu machen. Woran machen Sie fest, dass dieses Drogendelikt fingiert wurde?

Hessenthaler: Nun, wenn man ein Verfahren führt, ohne Beweismittel, dann sollte man doch zumindest annehmen, dass das Maximum getan wird, diese Umstände zu beleuchten. Und vor allem dann, wenn man vonseiten des Gerichts jegliche Beweisführung, die entlastend sein würde, verwirft. Was anderes waren Sachen wie etwa, dass Anwaltspost mitgelesen wurde und es nicht möglich war, ein Aktenstudium zu betreiben vor Prozessbeginn. Und dann noch der Fakt, dass die Zeugen massive Geldzahlungen erhalten haben, noch dazu aus dem Umkreis von (im Ibiza-Video, Anm.) betroffenen Parteien.

STANDARD: In dem Verfahren wurden keine materiellen Beweise vorgelegt, die zeigen, dass Sie den beiden Hauptzeugen Drogen verkauft haben. Haben Sie diesen Personen jemals Drogen verkauft?

Hessenthaler: Nein. Natürlich wurde nichts gefunden und nichts gesichert, weil es nicht passiert ist. Und das ist der Witz an der Sache.

STANDARD: Sie haben anfangs erklärt, wie Sie es geschafft haben, über Jahre Legenden aufzubauen. Warum sollte man Ihnen jetzt glauben?

Hessenthaler: Man muss mir nicht glauben. Um Himmels willen, nein. Aber wenn jemand schon urteilen will über mich, machen Sie sich die Mühe und prüfen Sie die Fakten. Ich habe 28 Monate meines Lebens verloren. Das gibt mir kein Mensch zurück. Mir geht es nicht darum, dass ich sagen kann: Ich wurde zu Unrecht eingesperrt. Aber es soll nicht nochmals passieren.

"Ich hatte in einer Zelle den Herrn, der da in einer Trafik seine Freundin angezündet hatte. Ich hatte den sogenannten Bierwirt in meiner Gegend. Das sind alles keine Sympathieträger."
Foto: STANDARD/Christian Fischer

STANDARD: Mehr als zwei Jahre waren Sie im Gefängnis. Wie war der erste Tag?

Hessenthaler: Der Tag meiner Verhaftung war in Berlin. Das war extrem unangenehm. Weil dort die Liegen gewölbt waren. Ähnlich einem Liegestuhl. Es war Winter, es war kalt, und dort ist kaum geheizt. Am ersten Tag in Österreich außerhalb der Quarantäne habe ich erstmals Repressalien erfahren. Es gab Beamte, die es ganz witzig fanden, mir über das Wochenende den Strom abzudrehen in der Zelle. Das hat sich dann aber relativ schnell eingestellt, und ich wurde in den Anstalten sehr respektabel behandelt.

STANDARD: Auffällig ist, Sie waren sieben Monate in Einzelhaft. Mehrere Organisationen bezeichnen das als Folter. Wie haben Sie das durchgestanden?

Hessenthaler: Anfänglich gut. Aber es kommt der Zeitpunkt, wo man merkt, dass der Kopf leidet. Dass die Sensorik zurückfährt. Dass man träge wird, apathisch wird. Ich bin jemand, der oft und gerne allein war, aber ich verstehe Leute, die Schäden davontragen.

STANDARD: Waren Sie als Ibiza-Drahtzieher etwas Besonderes oder eine Zielscheibe im Gefängnis?

Hessenthaler: Besonders? Vielleicht. Zielscheibe? Nein. Sicher gibt es Leute, die einen nicht sympathisch finden. Auf der Sicherheitsabteilung in Wien war ich mit einem Großteil der prominenten Fälle zusammen. Ich hatte in einer Zelle den Herrn, der da in einer Trafik seine Freundin angezündet hatte. Ich hatte den sogenannten Bierwirt in meiner Gegend. Das sind alles keine Sympathieträger. Aber man lernt im Gefängnis, mit den Leuten klarzukommen. Der unangenehmere von beiden war mit Sicherheit der Bierwirt.

STANDARD: Wieso?

Hessenthaler: Sagen wir mal so: Er endete auf der psychologischen Abteilung, und das nicht grundlos. Und der andere angesprochene Herr ... wenn man ihn gesehen hätte, hätte man es nicht geglaubt. Das war ein unauffälliger, höflicher, kleingewachsener Mann um die 40. Der hätte jeder sein können.

STANDARD: Wie haben Sie sich in diesem Umfeld durch das Gefängnis geschlagen?

Hessenthaler: Anfänglich war es die Prozessvorbereitung. Die war schwer genug. Es ist in Österreich nicht erlaubt, Akten-Folder zu schicken, sondern man muss loses Papier ins Gefängnis reinschicken. Das ist bei einem Akt, der irgendwie zigtausend Seiten hat, dementsprechend schwierig. Meine Zelle war also vollgefüllt mit losen Papierseiten, die dann natürlich durcheinandergekommen sind. Und danach wollte ich die Zeit so gut wie möglich nutzen. Ich habe aufgehört zu rauchen. Ich habe Sport gemacht. Wenn man, wie ich behaupte, unschuldig sitzt, dann kann man sich entweder in Groll und Wut ergehen oder versuchen, die Zeit sinnvoll zu nutzen. Ich habe mich für Zweiteres entschieden.

"Je mehr passiert ist, desto überzeugter wurde ich, dass es notwendig, richtig und vielleicht sogar noch zu wenig war."

STANDARD: Vor Ibiza waren Sie jemand, der nicht viele Spuren hinterlassen hat. Durch Ibiza sind Sie bekannt geworden. Wer sind Sie heute?

Hessenthaler: Ich würde gerne behaupten, dass ich noch immer der gleiche Mensch bin, mit einem reichen Schatz an Erfahrungen. Ich glaube und hoffe, dass ich mich charakterlich nicht so geändert habe. Ich bin sicher vorsichtiger geworden, nachdem ich erleben musste, wie ich belogen, verleumdet und verkauft wurde. Aber ich bin Anhänger dessen, was man Wahrheit nennt. Die Wahrheit ist die Wahrheit und bleibt die Wahrheit. Und die Wahrheit ist wichtig. Auch wenn sie wehtut.

STANDARD: Im Februar haben Sie eine Beschwerde eingereicht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um Ihren Prozess prüfen zu lassen. Wie geht es da weiter?

Hessenthaler: Ich rechne mit einer langen Verfahrensdauer. Ein Zeitrahmen von zwei bis vier Jahren ist durchaus anzunehmen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die mittlerweile seit zehn Jahren auf einen Spruch warten. Aber ich hätte es nicht gemacht, würde ich mir nicht durchaus Chancen ausrechnen.

STANDARD: Was werden Sie als Nächstes tun?

Hessenthaler: Ich habe in Deutschland meinen Lebensmittelpunkt gehabt und dementsprechend hier viele offene Enden hinterlassen. Dann werde ich mich beruflich orientieren. Ein Urlaub wird auch auf der Tagesordnung stehen müssen. Und ich habe mir geschworen, mich mit der Aufarbeitung dieses Falles zu beschäftigen.

STANDARD: Nach all dem, was passiert ist, würden Sie "Ibiza" heute wieder machen?

Hessenthaler: Offen gesagt, je mehr Zeit verging, je mehr passiert ist, desto überzeugter wurde ich, dass es notwendig, richtig und vielleicht sogar noch zu wenig war. Ich glaube, dass es dringend geboten wäre, für die Republik Österreich sich sehr intensiv mit dem zu beschäftigen, was da offenbar über die letzten Jahrzehnte gewachsen ist. (Zsolt Wilhelm, 17.5.2023)