"Alles, was erneuerbare Energie produziert, ist gut" – dies würde im Tiroler Streben nach einer Energiewende "wie ein Mantra" kolportiert, sagt WWF-Gewässerschutzexpertin Bettina Urbanek. Und zwar auch, "wenn das Projekt dahinter schlecht ist". Urbanek bezieht sich dabei auf den geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal. Dadurch drohten "irreversible Schäden für unser Naturerbe". Im Rahmen einer Pressekonferenz am Dienstag in Innsbruck warnte die Naturschutzorganisation gemeinsam mit dem Ingenieurbüro "Projekt Wasser" vor einer drohenden Wasserknappheit im ohnehin trockenen Ötztal und legte eine neue Studie vor.

Projekt laut WWF angesichts der Klimakrise "geradezu fahrlässig"

Ohnehin führe die Klimakrise zu immer trockeneren Sommern mit immer höheren Temperaturen, so Urbanek. Dass der landeseigene Energieversorger Tiwag "in dieser angespannten Lage" bis zu 80 Prozent des Wassers aus Venter und Gurgler Ache aus dem 34 Kilometer entfernten Ötztal abzweigen will, sei "geradezu fahrlässig". Das wären 290 Millionen Kubikmeter pro Jahr – rund das Siebenfache des Wasserbedarfs von Innsbruck. "Es gibt ein öffentliches Interesse an der Trinkwasserversorgung, die beim Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren eine Rolle spielen muss", schlussfolgert der WWF.

Durch die Ausleitung würde das Wasser nicht nur in den Flüssen fehlen. Die Neubauten würden weit in den Boden bis zum Grundwasser reichen und dieses blockieren. Die Wasserreserven im Talboden von Sölden würden nicht mehr gespeist.

Im Zuge des geplanten Kraftwerkausbaus würden bis zu 80 Prozent des Wassers aus der Venter und Gurgler Ache im 34 Kilometer entfernten Ötztal – einem der niederschlagsärmsten Täler Tirols – ausgeleitet.
Sebastian Frölich/WWF

Auch Energiewende ist im öffentlichen Interesse

Doch auch die Gegenseite argumentiert mit dem öffentlichen Interesse – dem nach sauberen Strom nämlich. Die Tiroler Landesregierung bekennt sich zu "einem massiven Ausbau erneuerbarer Energieträger mit Wasserkraft und Photovoltaik als wesentlichen Säulen". Landeshauptmann und Tiwag-Eigentümervertreter Anton Mattle (ÖVP) hatte sich in der Vergangenheit auch mehrfach darauf bezogen, dass es "zwingend notwendig" sei, "ausreichend Speicherkapazitäten zur Netzstabilisierung bereitzustellen sowie Dunkelflauten zum saisonalen Ausgleich zu überwinden". Dazu brauche man eben Pumpspeicherkraftwerke.

Wasserknappheit bedroht auch den Tourismus

Der WWF pochte indes am Dienstag abermals auf ein Verwerfen der Ausbaupläne. Die drohende Wasserknappheit sei ein "weiterer wichtiger Aspekt". Der private Wasserbedarf im Ötztal dürfte bis 2050 im Winter um 22 und im Sommer um 14 Prozent ansteigen, rechnet Studienautor Ulrich Wild-Pelikan vor. Gleichzeitig gibt es sowohl weniger Neuschnee als auch weniger Niederschlag. Die Temperaturen steigen, und der Gletscher schmilzt. Der Anteil des Gletscherwasser von bis zu 80 Prozent werde "über die Jahrzehnte auf nahezu null gehen", so Wild-Pelikan.

Der Wassermangel werde sich auch auf den Tourismus negativ auswirken: Nicht nur die Ötztaler Ache als "ein wichtiger Hotspot für den internationalen Kajaksport", sondern auch der Skitourismus sei durch die Kraftwerkspläne bedroht. "Allein der private Wasserbedarf im Ötztal ist im Winter rund 2,4-mal höher als im Sommer, was auf die hohen Tourismuszahlen im Vergleich zur Bevölkerung zurückzuführen ist. Unter Berücksichtigung der Beschneiungsanlagen fällt dieser Unterschied umso größer aus", erklärt Wild-Pelikan. Ob in Zukunft "noch ausreichend Beschneiungswasser vorhanden sein wird, wenn künftig bereits für die private Trink- und Nutzwasserversorgung ergänzende Bezugsquellen erforderlich werden", sei fraglich.

WWF fordert Landesregierung zum Umdenken auf, Grüne legen nach

Urbanek fordert ein "klimafittes Wassermanagement" und eine Überarbeitung des überholten "Wasserwirtschaftlichen Rahmenplans Tiroler Oberland". Dieser nimmt Bezug auf den Ausbau des Kraftwerks, berücksichtige die Klimakrise aber noch nicht.

Auch die Grünen meldeten sich am Dienstag via Aussendung zu Wort. "Eine Gefährdung der Wasserversorgung für Landwirtschaft und Menschen im Ötztal ist ein massives Bedenken", greift Klubobmann Gebi Mair die WWF-Studie auf. Die Landesregierung müsse ihre "Diskussionsverweigerung endlich beenden". Das Projekt entspreche nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen, der Realisierungszeitpunkt ab 2047 komme ohnehin zu spät. "Es gibt umweltschonendere und schnellere Wege, zu CO2-armer Stromproduktion zu kommen", findet Mair. Die Regierung begebe sich in die Fänge der Tiwag, und diese zeige "angesichts der aktuellen Preispolitik", dass sie nicht das Landesinteresse im Fokus habe.

Eingereicht wurden die Pläne für das Mega-Pumpspeicherkraftwerk erstmals 2009. Die Kosten werden auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt.
Sebastian Frölich/WWF

Land beruhigt und sieht keine Gefährdung für die Trinkwasserversorgung

Keine Gefährdung der Trinkwasserversorgung sah man indes beim Land Tirol. "Mehr als 90 Prozent des Tiroler Trinkwassers stammen aus Quellen, nicht aus Grundwasser oder Oberflächenwasser aus Bächen oder Flüssen", erklärte der Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft, Markus Federspiel, gegenüber der APA. Anders als etwa in anderen Teilen Österreichs komme es damit "faktisch zu keinen Nutzungskonflikten zwischen der Trinkwasserversorgung und anderen Nutzungen". Diese Frage sei auch ein wesentlicher Teil des UVP-Verfahrens in Sachen Kaunertal, wurde betont.

Studie knüpft an diverse Initiativen gegen Kraftwerksausbau an

Eingereicht wurden die Pläne für das Mega-Pumpspeicherkraftwerk erstmals 2009. 2012 wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die rund zwei Milliarden Euro teure Erweiterung des Kraftwerks gestellt. Umweltorganisationen hatten sich vehement gegen das Projekt ausgesprochen.

40 Vereine und Wissenschafter hatten als "Umweltallianz" im Mai des Vorjahres die "Kaunertal-Erklärung" unterschrieben, in der sie den sofortigen Ausbaustopp forderten. Im August hatte sich die Alpenschutzkommission Cipra International, der über 100 Organisationen aus dem Alpenraum angehören, der Kritik angeschlossen.

Anfang 2023 hatte der WWF außerdem zwei Gutachten vorgelegt, die offenbar belegen, dass die Berghänge rund um das Kraftwerk instabil sind. Durch verstärkte Wasserspiegelschwankungen wurde befürchtet, dass diese noch instabiler würden. Von der Tiwag forderten sie ein Sicherheitsgutachten. (Maria Retter, 16.5.2023)