Aktivistinnen und Aktivisten der Letzen Generation haben in dieser Woche wieder mehrere neuralgische Punkte im Wiener Straßennetz blockiert.

Foto: APA / Eva Manhart

Man hat ja wirklich schon unangenehmere Polizeivideos gesehen. Vergangene Woche zum Beispiel. Da schlug ein Polizist in Wien-Simmering den Kopf eines bereits auf dem Boden fixierten Mannes zweimal auf den Beton. Offensichtlich ohne Not – zwei Beamte hatten den Mann schon zu Boden gerungen und in Bauchlage gebracht; dafür mit einem deutlich sichtbaren Effekt: Unter dem Kopf des Mannes bildete sich schnell eine Blutlache. Ein Kamerateam von Puls 24 hatte die Szene auf Video festgehalten. Die Polizei leitete interne Ermittlungen gegen die beiden Beamten ein.

Das Video eines Polizeieinsatzes, das die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation kürzlich auf Twitter stellten, zeigt dagegen einen völlig anders verlaufenen Einsatz der Exekutive: Eine Beamtin des Verfassungsschutzes und zwei Motorradpolizisten in Zivil heben einen jungen Klimaaktivisten in Warnweste von der Fahrbahn und in den geöffneten Kofferraum eines Kleinbusses. Das passiert behutsam – sieht grundsätzlich also nach einem korrekten Einsatz der Polizei aus. Nur: Gehören Menschen in Autos nicht eigentlich auf die Sitze? Was hat ein Demonstrant dann im Kofferraum eines Kleinbusses verloren? Und warum heben ausgerechnet Polizisten ihn dort hinein?

Vier Fahrspuren auf Tangente blockiert

Eine STANDARD-Nachfrage bei der Wiener Landespolizeidirektion klärt: Das Video zeigt einen Einsatz von Montagvormittag auf der Stadtautobahn A23, besser bekannt als Südosttangente. Im Zuge ihrer aktuellen Protestaktionen, bei denen die Klimaaktivisten mehrere neuralgische Punkte des Wiener Straßenverkehrs gleichzeitig zu blockieren versuchen, kamen die Protestierenden auch mit vier eigenen Autos auf der Tangente an, brachten sie zum Stillstand und blockierten damit die vier Fahrspuren stadteinwärts. Einigen der Aktivistinnen und Aktivisten gelang es auch, aus den Autos auszusteigen und sich auf die Fahrbahn zu setzen.

Sich "als Fußgänger" auf einer Autobahn aufzuhalten sei äußerst gefährlich – nicht zuletzt für die Protestierenden selbst –, heißt es von der Polizei. Die Proteste hätten damit "eine neue Qualität erreicht". Man habe deshalb versucht, die Straßenblockade schnell wieder aufzuheben. Drei Aktivistinnen sei es auch gelungen, sich auf der Fahrbahn der Tangente beziehungsweise an ihrem Fahrzeug festzukleben. Diese habe man – wie bei Protestaktionen der Letzten Generation schon vielfach erprobt – mit Aceton, vulgo Nagellackentferner, wieder von der Fahrbahn gelöst.

Kofferraum als schnellster Weg?

Der im Video zu sehende Aktivist war erst kurz zuvor aus einem Privatfahrzeug auf die Fahrbahn gestiegen – und von den Beamten, die zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort waren, am Festkleben auf der Straße gehindert worden. Zu seiner eigenen Sicherheit hätten die Polizisten ihn dann wieder in den privaten Pkw zurückgehoben.

Warum allerdings in den Kofferraum – und nicht auf einen der Sitze? Laut einem Sprecher der Landespolizeidirektion war es für die Kollegen im Einsatz der schnellste Weg, den Mann von der Fahrbahn zu bringen. Er sei danach aber nicht im Kofferraum abtransportiert worden, sondern kurz darauf auf einen der Sitze gewechselt. Die vier Autos, mit denen die Aktivistinnen und Aktivisten angereist waren, wurden danach mittels Polizeieskorte von der Autobahn abgeleitet, worauf die Polizei die Personalien der Protestierenden aufnahm. Einvernommen sei der Aktivist danach ebenso wenig worden wie seine Mitstreiter von der Tangente. "Er wurde nur angezeigt, so wie ein Fußgänger, der bei Rot über die Straße geht", sagt der Sprecher.

"Nicht viel darüber nachgedacht"

Der Aktivist selbst bestätigt diese Darstellung der Polizei im Gespräch mit dem STANDARD. Grundsätzlich seien die Aktion wie auch der Polizeieinsatz relativ unspektakulär, weil in gewohnten Bahnen abgelaufen, sagt Leo Rauch. Dass die Beamten die Versammlung auflösten und die Aktivistinnen und Aktivisten von der Fahrbahn trugen, sei nachvollziehbar und üblich. Warum sie ihn allerdings in den Kofferraum hoben statt auf einen der neun Sitze des Kleinbusses, kann Rauch sich nicht wirklich erklären. "Sie waren wohl zu faul, mich um das Auto herum zur Tür zu tragen", witzelt er.

Es sei jedenfalls alles recht schnell gegangen. "Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie viel darüber nachgedacht haben." Nachdem die Polizisten den Kofferraumdeckel geschlossen hatten, sei er selbst über die Rückbank nach vorne geklettert und habe auf einem der Sitze Platz genommen. "Die Polizei hat das allerdings nicht mehr kontrolliert oder sich davon überzeugt, dass ich nicht mehr im Kofferraum bin, als wir von der Autobahn fuhren", sagt der Aktivist.

Verfassungsjurist: Im Kofferraum wohl nicht sicher

Aber ist es rechtlich zulässig, dass Beamte einen Demonstranten in einen Autokofferraum legen, statt ihn auf einen der Sitze zu heben? "Das hängt sicher von der konkreten Situation ab", sagt Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger zum STANDARD. An sich sei eine Person natürlich nicht im Kofferraum zu transportieren, was ja auch der Straßenverkehrsordnung widerspräche.

Im konkreten Fall gehe es wohl um eine Art "Anhaltung", damit die Person nicht weiter ein gefährdendes oder eventuell strafbares Verhalten setzt, nachdem die Versammlung polizeilich aufgelöst wurde. Zu diesem Zweck jemanden in den Kofferraum zu setzen oder zu legen sieht der Jurist nicht als unverhältnismäßig an – und angesichts der Situation noch im zulässigen Bereich. "Sobald sich das Auto aber in Bewegung setzt, muss die Polizei jedenfalls dafür sorgen, dass die Person darin einigermaßen sicher ist", sagt Bußjäger. "Und das wäre er im Kofferraum wohl nicht." (Martin Tschiderer, 16.5.2023)