Getrübte Blicke in die Zukunft: Junge Menschen glauben nicht mehr, dass sie es einmal besser haben werden als ihre Eltern, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer.

Alle wollen wissen, wie es der Jugend geht: Diese Woche wurden zwei Erhebungen veröffentlicht, die sogenannte Ö3-Jugendstudie sowie die Deloitte-Befragung "Global Gen Z & Millennial Survey". Sie zeichnen ein recht düsteres Bild davon, wie die Jungen in die Zukunft blicken. Doch in welchem Kontext stehen eigentlich diese Ergebnisse? Der Jugendforscher Simon Schnetzer, der ebenfalls diese Woche eine Untersuchung zur Jugend in Deutschland publiziert hat, bietet im Gespräch Einordnungen.

STANDARD: Klimakrise, Pandemie, Krieg, Teuerung – gefühlt ist die Welt im Dauerkrisenmodus. Gibt es eigentlich noch eine unbeschwerte Jugend?

Schnetzer: Tatsächlich ist sie nicht mehr so unbeschwert wie vor der Klimakrise. Im Sorgen-Ranking ist das Klima konstant weit oben, aber nicht an erster Stelle, weil die anderen Krisen, etwa die Teuerung, noch akuter und schlimmer für die Jungen sind. Wenn junge Menschen in die Zukunft schauen, befinden sie sich wie in einem Tunnel, wo eine Krise nach der anderen kommt. Das wird zur Sorgenfalle: Sie haben nicht das Gefühl, dass da mal eine bessere Phase kommt.

STANDARD: Was hat das für Folgen?

Schnetzer: Die psychische Belastung steigt. Junge Menschen sind echt stark gestresst – ihr Stresslevel durch diese Krisen ist doppelt so hoch wie bei älteren Menschen.

STANDARD: Woran liegt das?

Schnetzer: Junge Menschen sind in einer Lebensphase voller Umbrüche, da ist es schwierig, Sicherheit aus der Routine zu ziehen. Noch dazu müssen sie in der Phase viele Entscheidungen für ihre Zukunft treffen: Der Übergang von der Schule zur Ausbildung, vom Studium ins Jobleben, der Auszug von den Eltern, die schwierige Wohnungssuche, Liebesbeziehungen. Diese Entscheidungen werden immer schwerer. Einerseits, weil es immer mehr Möglichkeiten gibt, und andererseits wegen der aktuellen Unsicherheit. Der andere Aspekt ist, dass die Krisen heute live erlebbar sind. Zwölfjährige sehen auf ihrem Smartphone, wie Menschen im Schützengraben sterben, können aber mit diesen Bildern gar nicht umgehen.

Jugendforscher Simon Schnetzer erhebt aktuelle Einstellungen und Trends der jungen Generation.
Foto: piomars

STANDARD: Was macht den Jungen davon am meisten zu schaffen?

Schnetzer: Die Top-Sorge aktuell ist die Inflation. Das Konsumverhalten der Jungen verändert sich: Statt abends im Club Cocktails zu trinken, treffen sie sich zum Tee zu Hause, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Das trifft nicht mehr nur die ärmere Schicht, sondern auch die Mittelschicht. Viele von ihnen haben schon in der Corona-Pandemie gemerkt, dass das Geld nicht reicht, etwa wenn die finanzielle Unterstützung durch den Jobverlust der Eltern wegbrach. Oder weil die Jungen selbst erkannt haben, dass ihr eigenes Einkommen nicht safe ist, und, obwohl sie vielleicht sogar ganz gut verdienen, das Geld nicht ausreicht, um die Krisen zu meistern oder sich für später etwas aufzubauen.

STANDARD: An das Wohlstandsversprechen glauben die Jungen also nicht mehr?

Schnetzer: Nein. Sie denken nicht, dass es ihnen einmal besser gehen wird als ihren Eltern.

STANDARD: Trotzdem sagen die meisten Befragten in der Ö3-Jugendstudie, dass sie ein Eigenheim, heiraten und Kinder wollen – eigentlich sehr konservative Ziele ...

Schnetzer: Das ist ihr Idealbild der Zukunft, und das ist seit zehn Jahren konstant: Familie, Kinder, Haus, ein Job, der Spaß macht und sicher ist. Wenn man dieses Wunschbild zusammenfasst, dann geht es den Jungen um eine lebenswerte Zukunft mit dem Maß an Wohlstand, mit dem sie aufgewachsen sind und den sie in der idealisierten Welt auf Social Media täglich sehen. Und darin liegt genau die Schwierigkeit, das böse Erwachen. Solange sie bei ihren Eltern wohnen, haben sie ein unbeschwerteres Verhältnis zu Geld, doch spätestens beim Auszug wird diese Frage akut. Viele kommen dann in den Job und fordern sehr bald mehr Gehalt oder eine Beförderung, weil sie erst merken, dass sie sich das, was sie sich wünschen, mit dem Geld, das sie bekommen, so nie leisten können.

STANDARD: Sorgt das also für den Pessimismus?

Schnetzer: Es sorgt auf jeden Fall für Verunsicherung und dafür, dass vermeintlich konservative Werte wie Geld als Motivation in der Arbeitswelt, aber auch Altersvorsorge wieder einen hohen Stellenwert bekommen haben.

STANDARD: Gleichzeitig wollen Junge aber auch eine sinnerfüllte Tätigkeit, eine gute Work-Life-Balance, und fordern diese viel mehr ein als die Älteren.

Schnetzer: Ja, aber ich würde das viel größer sehen. Die Jungen kommen aus einer Zeit, in der sie während einer Pandemie auf wahnsinnig viele Dinge verzichtet haben, die eigentlich kein Luxus sind. Den 16. oder 18. Geburtstag mit Freunden zu feiern, die Erstsemester-Partys auf der Uni, auf Urlaub fahren. Alle sagen ihnen, sie sind gerade in der besten Zeit ihres Lebens, und sie sitzen nur zu Hause und verpassen alles. Die haben einen enormen Nachholbedarf. Die Jungen wollen nicht bis zum Ruhestand warten, um das, was sie sich erarbeitet haben, genießen zu können. Sondern das Leben im Hier und Jetzt leben, weil sie nicht darauf vertrauen, dass sie sich irgendwann zurücklehnen können und die Altersvorsorge für sie noch greift. Sie müssen sozusagen den Feierabend zum Lebensabend machen.

STANDARD: Die Gesellschaft wird gerne in Generationen eingeteilt: Generation X, Y, Z und Alpha, die Babyboomer. Kann man solche Werte und Sorgen wirklich einer Generation zuschreiben?

Schnetzer: Man könnte meinen, dass die Werte oder Wünsche der Generation Z und die der Boomer ganz unterschiedlich sind. Das ist aber nicht so. Die Top-Werte sind bei Älteren wie Jüngeren: Familie, Gesundheit und Freiheit. Die Einstellungen sind sehr ähnlich, und die Basis für das Miteinander ist eigentlich gut. Wir brauchen aber mehr Verständnis dafür, warum die Jungen in der Arbeitswelt Work-Life-Balance so stark einfordern. Sie sind nicht faul. Sondern sie sehen auch, wie die Arbeitswelt die Älteren belastet und finden das, was ältere Führungspersonen vorleben, nicht mehr erstrebenswert. Sie wollen nicht ihr gesamtes Privatleben aufgeben, um den Job zu machen. Sie ziehen die Grenze, weil es für sie auch eine Frage der psychischen Gesundheit ist. (Selina Thaler, 18.5.2023)