El Niño dürfte in den kommenden Jahren wieder für zahlreiche Dürren und Waldbrände sorgen. Besonders gefährdet sind laut WMO Teile von Australien.

Foto: AP/Jason Franson/The Canadian Press

Die letzten Jahre waren wohl nur ein Vorgeschmack dessen, was vielleicht noch heuer, sehr wahrscheinlich aber ab 2024 auf uns zukommen wird. Obwohl der kühlende Einfluss des Wetterphänomens La Niña der Erde in den vergangenen drei Jahren eine kleine Atempause verschaffen sollte, reihte sich 2022 unter die sechs wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen ein. Die globale Durchschnittstemperatur lag 1,15 Grad über dem vorindustriellen Niveau, berichtete im Jänner die Weltorganisation für Meteorologie (WMO).

Immer wärmer trotz La Niña

Die Auswirkungen bekommt man auch hier deutlich zu spüren, unter anderem, weil in Europa die Temperaturen in bedenklichem Tempo nach oben klettern: Der vergangene Sommer war europaweit der heißeste der Messgeschichte, bei 1,4 Grad Celsius über dem Durchschnitt schmolz ein Gutteil der Gletscher weg, zahlreiche Teiche, Seen und Flüsse fielen trocken.

In Österreich wurde im aktuellen Klimastatusbericht 2022 als das zweitwärmste Jahr der Messgeschichte verbucht. Vor zwei Wochen präsentierte die WMO in Genf die Prognosen zur weiteren Entwicklung von La Niña und ihrem Gegenstück El Niño. Letzterer sei gerade dabei, seine Schwester abzulösen; bis zum Herbst entfalte El Niño mit hoher Wahrscheinlichkeit seine volle fatale Wirkung.

Zusätzlicher Schub für den Erwärmungstrend

Was das für die Temperaturentwicklung der nächsten Jahre bedeuten könnte, hat die WMO am Mittwoch in einem Nachfolgebericht dargelegt. Die kurze Zusammenfassung der Prognose lautet: Wahrscheinlich werden die kommenden fünf Jahre im Schnitt wärmer als die vergangenen fünf, einige Rekorde dürften dabei gebrochen werden. Laut dem in Genf präsentierten Report "Global Annual to Decadal Climate Update" könnte erstmals auch mindestens ein Jahr dabei sein, dessen globale Durchschnittstemperatur 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt.

El Niño wird dem allgemeinen Erwärmungstrend in den kommenden Jahren zusätzlichen Schub verleihen. Das Wetterphänomen ist wie sein Pendant La Niña Teil eines großräumigen Zyklus von Ozean- und Luftströmungen im tropischen Pazifik. Während La Niña im globalen Durchschnitt zu niedrigeren Temperaturen führt, sorgt El Niño eher für Erwärmung. In diesen Jahren wird es an den Pazifikküsten Nord- und Südamerikas tendenziell feuchter. In Südostasien und Australien dagegen kommt es in El-Niño-Jahren häufiger zu Dürren. Diese Veränderungen haben schließlich auch Auswirkungen auf das Wetter in ferneren Regionen wie Ostafrika, wo in La-Niña-Jahren eher mit Dürren rechnen ist. Hinweise auf mögliche Einflüsse auf Europa sind bisher nicht bekannt.

"Neue Fünf-Jahres-Höchstmarke fast sicher"

Aber auch ohne El Niño würde es wohl neue Höchstwerte geben, meinte Helge Goessling vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Die El-Niño-Vorhersage erhöht nur eine ohnehin hohe Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Fünf-Jahres-Rekords", sagte der Klimawissenschafter, der nicht am WMO-Bericht mitgewirkt hat. "Selbst bei anhaltenden La-Niña-Bedingungen würde der langfristige globale Erwärmungstrend diese Erwärmungspause nun innerhalb der nächsten wenigen Jahre beenden. Kommt ein deutlicher El Niño 2023/24 noch hinzu – und das legen die aktuellen Vorhersagen nahe –, ist eine neue Fünf-Jahres-Höchstmarke fast sicher."

Die Grafik gibt den Anstieg der globalen mittleren oberflächennahen Temperatur im Zeitraum 1991 bis 2020 als schwarze Linie wieder. Die Vorhersage für die nächste fünf Jahre ist blau.
Grafik: WMO

Derzeit befinden wir uns in einer Übergangsphase. La Niña ist mittlerweile abgeklungen, und El Niño holt gerade tief Luft. Dass El Niño tatsächlich Fahrt aufnimmt, gilt als nahezu sicher. Für die Periode Mai bis Juli liegt die Wahrscheinlichkeit laut WMO bei 60 Prozent, für Juni bis August bei 70 Prozent, und die, dass El Niño zwischen Juli und September zuschlägt, liegt bei mindestens 80 Prozent. Inwiefern La Niña und El Niño selbst durch den Klimawandel begünstigt oder verstärkt werden, ist in der Fachwelt umstritten.

Die magische Grenze von 1,5 Grad Celsius

Laut der nun erschienenen WMO-Prognose für die Jahre 2023 bis 2027 wird El Niño mit dafür sorgen, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent eines dieser Jahre zum Rekordjahr erklärt wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die nächsten fünf Jahre allesamt über der magischen Grenze von 1,5 Grad Celsius liegen, sei laut WMO 32 Prozent. Die bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 vereinbarte Temperaturgrenze gilt zwar für den Durchschnitt von 30 Jahren, doch man nähert sich an.

Die Grafik links zeigt die Temperaturprognose der WMO für das laufende Jahr im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Die rechte Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeit, mit der überdurchschnittliche Temperaturen auftreten werden.
Grafik: WMO

"Sollte es zu keinem ernstzunehmenden tropischen Vulkanausbruch kommen – die ausgeworfene Asche wird in die Stratosphäre geschleudert und wirkt dort kühlend auf die Atmosphäre, da sie einfallendes Sonnenlicht streut –, ist es durchaus denkbar, dass 2024 nicht nur das wärmste Jahr wird, sondern auch die 1,5-Grad-Grenze zum ersten Mal auf Jahresbasis global überschreiten wird", glaubt auch Karsten Haustein von der Universität Leipzig. Mit einem langjährigen Mittelwert der globalen Temperatur von 1,5 Grad Celsius rechnet er um die Jahre 2032 bis 2035.

Näher an wichtigen Kipppunkten

Auch regional rechnet die WMO mit teils heftigen Auswirkungen. In der Arktis könnten die Temperaturen in den nächsten fünf Jahren dreimal so schnell ansteigen wie im globalen Durchschnitt; in Nordeuropa, Alaska und Nordsibirien nehmen auch die Niederschläge zu. In manchen tropischen Gebieten dürfte es dagegen trockener werden: Gegenüber dem Durchschnitt von 1991 bis 2020 könnte laut WMO in Teilen Indonesiens, des Amazonasgebiets, Zentralamerikas und Australiens weniger Regen fallen, das wird sich wahrscheinlich schon heuer bemerkbar machen. In der Sahelzone wiederum könnte die Regenmengen überdurchschnittlich ausfallen.

Video: Die WMO-Prognose für 2023 bis 2027.
World Meteorological Organization - WMO

Die Prognose mag kaum überraschen, denkt man an die zunehmende Zahl von Rekordjahren in der einen oder anderen Kategorie. Doch es ist vor allem die steigende Geschwindigkeit, mit der sich die Spitzenwerte die Klinke in die Hand geben, die Klimaforschenden Kummer bereitet. Diese beschleunigte Fahrt bringt das globale Klima rasant näher an entscheidende Kipppunkte. Schon 2030 könnten laut britischen Forschenden vier solche Wendepunkte erreicht sein, kritische Schwellen, an denen selbst winzige Störungen die Entwicklung des Systems entscheidend verändern werden. (Thomas Bergmayr, 17.5.2023)