Liegestütze sind mein sportlicher Endgegner. Der Fotograf ist zufrieden mit der Ausführung, der Prüfer (re.) nicht.

Foto: Anton Mickla/BMLV

Es ist drei Uhr morgens, ich bin seit 22 Stunden wach und sitze in einem kargen Schulungsraum in der Hessen-Kaserne in Wels. Vor mir steht eine kleine, weiße, runde Dose, darin befinden sich 50 Schrauben, Muttern und Beilagenscheiben in unterschiedlichen Größen. Zu jeder Schraube gilt es die passende Mutter und Beilagenscheibe zu finden, diese zusammenzuschrauben und auf einer Schablone abzustellen. Anschließend müssen die Schrauben wieder auseinandergeschraubt und alle Einzelteile auf einer weiteren Schablone abgelegt werden. Das Bedürfnis nach Schlaf hält sich seit Stunden hartnäckig, immer wieder fallen mir die Augen zu. "Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?", frage ich mich und muss mich daran erinnern, dass ich freiwillig hier bin.

"Alle diese Übungen sind dazu da, um Sie müde zu machen für das, was noch kommt", sagt Vizeleutnant Michael Aichinger. "Für das, was noch kommt?", denke ich und werde schnell aus meinen Gedanken gerissen, als ich höre, dass es nun in den Bunker geht. Es ist stockdunkle Nacht, als ich, gemeinsam mit zwölf anderen, wenige Gehminuten auf dem Kasernengelände zurücklege, ehe uns eine Treppe in einen 40 Quadratmeter großen Kellerraum führt. Der Bunker, in dem jedem von uns ein Sitzplatz zugeteilt wird, ist halb so groß. Noch bevor der Raum mit Disconebel verraucht und mit Musik beschallt wird, wird uns ein Klemmbrett mit mehreren Zetteln und einem Stift in die Hand gedrückt. Nun müssen unter Zeitdruck Aufgaben gelöst werden – Zahlen- und Buchstabenreihen suchen, Unterschiede in Gesichtern finden. Der Nebel trübt die Sicht ordentlich, von der störenden Musik ganz zu schweigen. Ich will ins Bett.

In diesem Schulungsraum hat STANDARD-Redakteurin Sandra Schieder viele Stunden verbracht.
Foto: Anton Mickla/BMLV

Was mich hierherführte, hatte völlig harmlos begonnen – mit einem Jubiläum. Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert stehen die Türen des Bundesheeres auch Frauen offen. Die ersten rückten am 1. April 1998 ein. Mit Stand April 2023 gab es 640 Soldatinnen, der Frauenanteil beträgt damit 4,3 Prozent. Soldatinnen sind also nach wie vor eine seltene Spezies, auch wenn ihr Anteil steigt. Fast die Hälfte jener Frauen, die den Beruf der Soldatin ergreifen wollen, scheitert an der notwendigen Eignungsprüfung.

Meldung zum Ausbildungsdienst

"Das kann doch nicht so schwer sein", dachte ich mir und beschließe, das Aufnahmeverfahren, das absolviert werden muss, um eine Laufbahn als Soldatin einzuschlagen, selbst zu durchlaufen. Wer zum Heer will, muss zunächst eine freiwillige Meldung zum Ausbildungsdienst gemäß Paragraf 37ff des Wehrgesetzes 2001 unterzeichnen – so auch ich. Mit meiner Unterschrift bestätige ich im "Checkpoint Mahü" des Bundesheeres an der Wiener Mariahilfer Straße, mich freiwillig zum Ausbildungsdienst in der Dauer von zwölf Monaten zu melden. Zuvor erklärte mir mein Wehrdienstberater Hauptmann René Smode, dass ich die freiwillige Meldung jederzeit und ohne Angabe von Gründen zurückziehen kann. Das ist gut zu wissen, schließlich habe ich nicht wirklich vor, meinen Job beim STANDARD an den Nagel zu hängen und stattdessen im Ernstfall das Vaterland mit der Waffe zu verteidigen. Wenige Tage später bekomme ich Post vom Heerespersonalamt und werde zur Eignungsprüfung nach Wels geladen.

Ende April stehe ich schließlich etwas verloren auf dem riesigen Areal der Hessen-Kaserne und beziehe nach dem "Check-in" mit zwei anderen Frauen ein Zimmer mit sechs Stockbetten. Da ich mich nicht auf Undercover-Mission befinde, "oute" ich mich ihnen gegenüber als Journalistin. Vor der Nachtruhe um 22 Uhr erzählen mir Verena Riedmüller und Kathrin Strobl, dass sie eine Kaderlaufbahn, also eine Laufbahn als Unteroffizierin oder Offizierin, einschlagen wollen. Bis vor wenigen Wochen war dieser Weg für Frauen auch die einzige Möglichkeit, seit 1. April gibt es für sie außerdem die Option eines "freiwilligen Grundwehrdienstes". Für die beiden Frauen geht es am nächsten Tag jedenfalls um viel – um ihre berufliche Zukunft.

"We want you, Frau Schieder"

Wer Soldatin werden will, muss zunächst einmal die gesundheitlichen Voraussetzungen dafür mitbringen. Die erste Hürde der dreitägigen Eignungsprüfung stellt daher die medizinische Untersuchung dar. Kurz nach sechs Uhr früh geht es für alle mit dem Bus ins Stellungshaus nach Linz. Dort wird man auf Herz und Nieren geprüft. Körpergröße, Gewicht, Blutdruck und Herzströme werden gemessen. Neben einem Seh- und Hörtest wird auch ein Lungenfunktionstest durchgeführt. Außerdem wird Blut abgenommen, auch eine Urinprobe muss abgegeben werden.

An diesem Tag wartet gleich die erste sportliche Hürde auf mich: zehn Minuten strampeln auf dem Ergometer, bei ansteigender Belastung. Wer den Ergometer-Test nicht besteht, ist für sämtliche andere sportliche Disziplinen disqualifiziert. Ich beiße die Zähne zusammen, trete in die Pedale – und bestehe.

Um eine Kaderlaufbahn einzuschlagen, muss das Ergebnis der medizinischen Untersuchung eine Wertungsziffer von 5 bis 9 sein. Bevor es am späten Nachmittag zurück nach Wels geht, verliest Vizeleutnant Aichinger die Wertungsziffern. "Wer ist die Gesündeste von allen?", fragt er in die Runde. Die Antwort gibt er gleich selbst: "Die Frau Redakteurin. We want you, Frau Schieder!" Mein Ergebnis der Stellung ist Wertungsziffer 8.

Für 20 Prozent der Frauen endet die Eignungsprüfung bereits am ersten Tag. Auch für Kathrin Strobl. "Grund dafür ist, dass bei mir vor einem Jahr Long Covid diagnostiziert wurde und meine Lungenfunktion noch nicht wieder ausreichend intakt ist", erzählt sie im STANDARD-Gespräch. In einem halben Jahr will es die 19-jährige Salzburgerin, die zuletzt das Sportgymnasium in Salzburg besucht hatte, nochmals probieren.

Der härteste Tag der Eignungsprüfung ist Tag zwei. Überprüft werden sprachliche, körperliche, soziale und kognitive Fähigkeiten – und zwar 24 Stunden hindurch, ohne Schlaf.

Los geht es in aller Früh mit dem Deutschtest, der sich für mich als Kinderspiel erweist. Eine Meinung zu einem vorgegebenen Thema zu haben und diese zu Papier zu bringen schaffe ich selbst im Halbschlaf problemlos. Als weitaus größere Herausforderung erweist sich der sportliche Teil. Beweisen muss man sich in fünf Disziplinen. Dabei gelten für Frauen und Männer unterschiedliche Leistungslimits. "Körperliche Fitness ist die Basis eines jeden Soldaten. Da kann man noch so ein Vifzack sein, ohne den Sport geht es nicht", wird Oberst Christof Fehrer später sagen. 20 Prozent aller Frauen schaffen den Sport nicht.

20 Prozent aller Frauen schaffen den sportlichen Teil nicht – ich gehöre dazu.
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Mit der Nasenspitze bis zum Boden

Los geht es mit meinem sportlichen Endgegner – Liegestütz. Ich mache mehrere. Der Fotograf ist zufrieden, der Prüfer nicht. Mehrmals werde ich von ihm aufgefordert, weiter nach unten zu gehen. In jener Ausführung, wie sie beim Heer verlangt wird – den Körper parallel zum Boden und dann so weit nach unten, dass die Nasenspitze diesen beinahe berührt –, schaffe ich keinen einzigen. Am Ende zählt auch keiner meiner Liegestütze.

Dass es um meine Ausdauer besser als um meine Kraft bestellt ist, zeigt sich dann beim 2400-Meter-Lauf. Ich bewältige diesen ohne größere Anstrengung in 11 Minuten und 52 Sekunden. Problemlos bestehe ich am Abend auch die Schwimmprüfung. Eine halbe Stunde nach Mitternacht stehen schließlich noch Standhochspringen und Klimmzüge im Schräghang auf dem Programm. Bei Ersterem schlage ich mich gut, bei den Klimmzügen brilliere ich ähnlich wie bei den Liegestütze.

Den 2400-Meter-Lauf lege ich in 11 Minuten und 52 Sekunden zurück.
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Klimmzüge im Schräghang sind schwieriger als sie aussehen.
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In der Mittagspause – ein militärischer Grundsatz lautet "Ohne Mampf kein Kampf" – komme ich mit Verena Riedmüller ins Gespräch. Auf das Aufnahmeverfahren hat sich die 32-Jährige gut vorbereitet, "sowohl vom sportlichen als auch vom theoretischen Teil". Die Niederösterreicherin würde es reizen, Teil der Panzergrenadiere zu sein oder bei der Militärpolizei zu arbeiten. Dass das Heer männergeprägt ist, stört sie nicht. "Ich denke schon, dass sich Frauen in Männerdomänen wie dem Bundesheer stärker behaupten müssen, aber ich glaube, das kann ich auch." Dass Frauen dasselbe wie Männer leisten müssen, findet sie gut, "alles andere wäre auch unfair".

Verena Riedmüller (li.) besteht die Eignungsprüfung. Dass das Heer männergeprägt ist, stört die 32-Jährige nicht.
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Sozial hui, kognitiv pfui

Ein wenig Bammel habe ich vor dem psychologisch-diagnostischen Gespräch am dritten Tag. Am Vortag wurden im Rahmen von Einzel- und Gruppenübungen auch soziale Kompetenzen getestet, also wie es um Selbstbewusstsein, Motivation, Rhetorik, Durchhaltevermögen, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Führungsqualitäten und Co bestellt ist. Mein Verhalten wurde von dafür geschulten Personen beobachtet und bewertet. Außerdem erfahre ich dort auch, wie ich bei den kognitiven Testungen, die großteils am Computer durchgeführt wurden, abgeschnitten habe. Abstraktes Denken und das Lösen kniffliger Aufgaben zählten noch nie zu meinen Stärken.

Tags zuvor mussten für das psychologisch-diagnostische Gespräch außerdem mehrere Fragebögen ausgefüllt werden. Wer zum Heer will, muss weit mehr über sich preisgeben, als im eigenen Lebenslauf steht. Im Vergleich zu anderen Fragen wirken die zu Eltern und Geschwistern noch harmlos. Weitere Fragen zielen auf dem Umgang mit Alkohol und Drogen, psychische Probleme, die finanzielle Situation, Verwicklung in Rechtsstreitigkeiten, Probleme mit der Exekutive und anderweitige private Schwierigkeiten ab. Zu verbergen sollte man hier besser nichts haben. Bei einer der Fragen überlege ich, etwas zu flunkern – wage es dann aber doch nicht, schließlich bestätige ich mit meiner Unterschrift, die Fragen wahrheitsgemäß beantwortet zu haben.

Von Militärpsychologin Susanna Schweiger erfahre ich schließlich, dass ich bei der Bewertung meiner sozialen Kompetenzen 100 von 100 Punkten erreicht habe, die Ergebnisse der kognitiven Testungen aber nicht ausreichen, um eine Kaderlaufbahn einzuschlagen. Zumindest bescheinigt mir mein Testergebnis in Deutsch Kadereignung, alles andere wäre eine Schmach gewesen. Mein Gesamtergebnis: vorübergehend nicht geeignet, Wiederantritt in zwölf Monaten möglich. "Unsere Aufgabe ist es, eine Prognose zu treffen, wie viel Zeit es erfordern wird, jene Fähigkeiten, die im Moment noch nicht dem Anforderungsprofil entsprechen, zu entwickeln", erklärt Militärpsychologin Barbara Pawlowski. In meinem Fall hat man sich für den "niedrigstmöglichen Entwicklungszeitraum" entschieden. Zum Wiederantritt geladen wird man entweder in zwölf, 24 oder 36 Monaten. Von einer "Sperre" bis dahin möchte man beim Heer nicht sprechen, die Formulierung lautet "Entwicklungszeitraum".

Verena Riedmüller ist kadertauglich. "Ich bin wirklich sehr erleichtert und erfreut", sagt sie dem STANDARD. Die Eignungsprüfung sei schon anstrengend gewesen, habe aber auch Spaß gemacht. Ihre Kaderanwärterausbildung beginnt Anfang September in Amstetten. Mir hingegen werden Tipps zum Ausgleich meiner kognitiven Defizite und ein Trainingsplan für Liegestütze und Klimmzüge angeboten.

Nein danke, es war mir ein einmaliges Vergnügen. (Sandra Schieder, 21.05.2023)