Arbeiten gemeinsam am Langzeitprojekt Rechtsextremismusbericht: Gerald Karner und Alma Zadić. Im Herbst 2024 soll es endlich soweit sein.

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Wie gefährlich ist die rechtsextreme Szene? Diese Frage erhielt zuletzt wieder neue Brisanz, als Anschlagspläne auf das Wiener Volksstimmefest 2021 publik wurden. Wichtige Antworten liefern Zahlen und Statistiken, beobachtet wird die Szene von verschiedenen Stellen:

  • Die Rechercheplattform "Stoppt die Rechten", mitbetrieben vom früheren grünen Abgeordneten Karl Öllinger, führt etwa eine Chronologie zu rechtsextremen Waffenarsenalen und zählte 36 Funde in den vergangenen vier Jahren.
  • Die Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) veröffentlichte dieser Tage ihren Antisemitismus-Jahresbericht, im Kalenderjahr 2022 wurden 719 Vorfälle gemeldet – der zweithöchste Wert seit Beginn der Dokumentation.

Zwei der wichtigsten Statistiken, die offiziellen von Innen- und Justizministerium, wirken jedoch nicht verlässlich. Zwischen ihnen herrscht nämlich eine eklatante Diskrepanz, wie der STANDARD im März publik machte. Das Justizministerium (BMJ) von Alma Zadić (Grüne) vermeldete für 2022 ein Rekordhoch, nämlich 2397, und damit fast eineinhalbmal mehr als die 929 Anzeigen, die das Innenministerium (BMI) von Gerhard Karner (ÖVP) bekannt gab. Beide Zahlen wurden nach parlamentarischen Anfragen der Abgeordneten Sabine Schatz (SPÖ) bekannt.

Zahlenwerk unter der Lupe

Nach dem STANDARD-Bericht, der für einige Aufregung in den Behörden sorgte, sah man sich die Differenzen in beiden Ministerien genauer an – und Schatz fragte erneut parlamentarisch an, wie das Zahlenwirrwarr zustande gekommen war.

Die Antworten sind durchaus technisch:

  • Laut Innenministerium werden Tathandlungen "in einem engen zeitlichen Kontext" oft als Seriendelikt zusammengefasst. Im polizeilichen Anzeigensystem könnten diese jedoch als Einzelanzeigen geführt werden. Das wäre ein Multiplikator, der die Zahlendifferenz teils erkläre.
  • Außerdem muss die Polizei der Staatsanwaltschaft auch dann über Verdachtsmomente berichten, wenn die Polizei selbst keinen Anfangsverdacht sieht oder diesen bezweifelt. Solche Berichte scheinen dann in der Statistik des Justizministeriums auf, aber nicht in jener des Innenministeriums.
  • Zudem gibt es laut Justizministerium bei rund zehn Prozent der Fälle keine "strukturierte Erfassung" des Einbringerzeichens, diese Fälle können also nicht eindeutig einer Polizeidienststelle zugeordnet werden.
  • Zuletzt soll auch der Stichtag für die Erstellung der Statistiken für die Diskrepanz verantwortlich sein. So friere das Innenministerium seine Daten zu Jahresbeginn für die Berichterstellung ein, während die Justiz die aktuelle Datenbasis nutze.

"Grundsätzlich positiv"

So weit, so nachvollziehbar. Warum die Zahlen des BMI aber seit Jahren immer deutlich zu niedrig sind, ist dadurch nicht vollständig erklärbar. Denn die nicht aktuell eingepflegten Zahlen sollten laut BMI ja sehr wohl in nachfolgenden Jahr Eingang in die Statistik finden.

"Grundsätzlich ist es positiv, dass die öffentliche Thematisierung der auseinandergehenden Statistiken zu einem Austausch in den beiden Ministerien geführt hat", freut sich Schatz über die Beantwortungen, räumt aber ein, "die Erläuterungen lassen aber weiter offen, warum die Zahlenschere in den vergangenen Jahren immer weiter auseinandergeht". Dies unterstreiche einmal mehr, "dass ein fundierter qualitativ hochwertiger Rechtsextremismusbericht dringend notwendig ist. Dass sich dieser jetzt weiter verzögert, ist wirklich ärgerlich", findet Schatz.

Weiter Warten auf Rechtsextremismusbericht

Und bis Österreich wieder den unter Schwarz-Blau 2002 abgeschafften Rechtsextremismusbericht bekommt, ist tatsächlich noch Geduld gefragt. Wie berichtet, steht dieser im Regierungsprogram und hätte im Herbst 2022 wieder eingeführt werden sollen. Doch eine verpatzte Ausschreibung verhinderte das. In der aktuellen Anfragebeanwortung Karners heißt es: "In den vergangenen Monaten erfolgte eine Evaluierung und marktgerechte Anpassung dieser Anforderungen als Vorbereitung für eine neuerliche Ausschreibung." Nun laufe die "Endabstimmung mit dem Bundesministerium für Justiz". Zadić gibt an, dass mit dem ersten "auch die Jahre 2021 und 2022 umfassenden Bericht im vierten Quartal 2024" zu rechnen ist.

Immerhin arbeiten die Ministerien gemeinsam an diesem Projekt, wie beide bekräftigen. Bleibt abzuwarten, ob es im Herbst 2024 dann wirklich einen Rechtsextremismusbericht gibt. Bis es so weit ist, will Schatz jedenfalls weiter die jährlichen Zahlen durch parlamentarischen Anfragen publik machen. (Colette M. Schmidt, 18.5.2023)