Richard Holbrooke in Afghanistan.

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Für George Packer, den 1960 geborenen US-amerikanischen Autor und Journalisten, u. a. für den New Yorker, dauerte das amerikanische Jahrhundert gerade einmal 65 Jahre, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Abzug aus Afghanistan 2010. Diese These wird in seinem Buch Das Endes des amerikanischen Jahrhunderts auch gar nicht näher ausgeführt, begründet oder behandelt. Aber dieser Zeitraum entspricht ungefähr den Lebensdaten des US-amerikanischen Diplomaten Richard Holbrooke (1941–2010).

Der Held der oder besser gesagt seiner Geschichte ist kein besonders sympathischer Charakter. Sicherlich hochintelligent und teilweise auch idealistisch, aber hauptsächlich ein eitler Egozentriker, ein Geizhals und ein überaus berechnender Machtmensch, der sich in Sachen Selbstreflexion recht schwertat.

Tiefes Mitgefühl

Der talentierte George Packer schafft es jedoch mithilfe von schriftstellerischem Können, für diesen Menschen Sympathien bei seinen Leserinnen und Lesern zu erwecken. So lässt Packer uns wissen, ein wie tiefes Mitgefühl Richard Holbrook etwa für die Kriegsopfer hatte.

George Packer
"Das Ende desamerikanischen Jahrhunderts. Richard Holbrookes Mission"
€ 36,– / 704 Seiten
Rowohlt- Verlag, 2022
Foto: Rowohlt- Verlag

Drei zentrale Missionen standen im Mittelpunkt des Lebens dieses US-amerikanischen Spitzendiplomaten: die erste im Vietnamkrieg, die zweite im Bosnienkrieg und die dritte im Afghanistankrieg. Schon früh zweifelte er an der Sinnhaftigkeit des Vietnamkrieges und hielt den "selektiven Terror" des Vietcongs für viel klüger als den "wahllosen Terror" der US-Luftwaffe. In den Jahren republikanischer Präsidenten war er deswegen Autor, Zeitungsverleger, Lobbyist und Geschäftsmann. Er bekam nie den Job, den er gerne gehabt hätte, nämlich "Secretary of State" bzw. Außenminister der USA.

International bekannt wurde Holbrooke als Architekt des Dayton-Abkommens, das den Bosnienkrieg 1995 beendete. Ein neues Wort im Serbischen, nämlich "holbrukciti", bezeichnete den Vorgang, "seinen Willen mit roher Gewalt durchzusetzen". Tatsächlich bewies Holbrooke bei den schwierigen Verhandlungen sehr viel diplomatisches Geschick, gepaart mit einer harten Haltung.

Die Europäer spielten nur eine Nebenrolle. Ein frustrierter bosnischer Präsident, nämlich Alija Izetbegović, lenkte schließlich ein: "Das ist kein gerechter Frieden. (...) Aber mein Volk braucht Frieden." Nach Dayton wollte Holbrooke den Friedensnobelpreis erhalten und betrieb auf peinliche Art und Weise Lobbying, um ihn zu bekommen. Präsident Bill Clinton witzelte danach: "He campaigned so hard for the Nobel Prize that that’s probably one reason he didn’t get it."

Kein Nobelpreis

Die Biografie ist unglaublich detailliert und erinnert mitunter an einen Roman. Auf vielen Seiten werden Holbrookes Ehen und Affären geschildert, die Höhepunkte und Krisen seines Lebens bis zu seinem plötzlichen Tod. Das ist spannend zu lesen, überaus informativ und ausgezeichnet aufbereitet. Ob der Autor George Packer zu früh das "Ende des amerikanischen Jahrhunderts" verkündet, bleibt erst einmal dahingestellt, nicht aber, dass er ein ausgezeichnetes Buch geschrieben hat. (Georg Cavallar, 20.5.2023)