Symbolträchtige Bilder hat der seit 15 Monaten tobende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine schon zuhauf produziert, jenes etwa, das Wolodymyr Selenskyj kurz nach Beginn der Invasion mit einer Handvoll Getreuen unter freiem Himmel im Kiewer Regierungsviertel zeigt. Bilder, die in der Welt Eindruck machten: Die Ukraine lebt und hat keineswegs vor, sich ihrem vermeintlichen Schicksal zu ergeben. "Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition", soll der ukrainische Präsident den USA geantwortet haben, nachdem diese ihm die Rettung aus der bedrohten Hauptstadt angeboten hatten.

VIDEO: G7-Gipfel in Japan: Russland und China dominierende Themen
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Im Frühling 2023 hat Selenskyj seine diplomatische Offensive noch einmal ausgeweitet. Und nutzt jede Mitfahrgelegenheit, um die freie Welt um mehr Munition für den langen Kampf gegen die Invasoren zu bitten. In immer fernere Länder führen ihn seine Reisen. War Selenskyj vergangene Woche in den Schaltzentralen Westeuropas unterwegs, wird er am Sonntag in Japan erwartet – zum Abschluss des 49. Gipfels der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der sieben größten westlichen Wirtschaftsnationen (G7).

Erneute Bitte um Kampfjets

Dort dürfte er, wie vorab kolportiert wurde, auf höchster Ebene einmal mehr seinen Wunsch nach F-16-Kampfjets für die Ukraine deponieren – und damit offenbar auch auf offene Ohren stoßen. Wie mehrere US-Medien am Freitagnachmittag berichteten, zeigt sich US-Präsident Joe Biden offen für amerikanische Trainingsmissionen für ukrainische Piloten. Diese sollen demnach auf Kampfjets im Besitz anderer Staaten stattfinden und in Europa abgehalten werden. Die Ausbildung könnte mehrere Monate in Anspruch nehmen, ein Start könnte schon in den kommenden Wochen stattfinden.

Eine F-16 im Einsatz.
Foto: AP

Selenskyj hatte argumentiert, nur eine moderne Luftwaffe könne die russische Aggression stoppen, heißt es aus Kiew stets. Großbritannien und die Niederlande haben zu Beginn der Woche – nach Besuchen Selenskyjs in London und Den Haag – angekündigt, alsbald eine "Kampfjet-Koalition" zur Beschaffung von F-16 für die Ukraine zu schmieden. Das Herstellerland USA hat Medienberichten zufolge seinen europäischen Verbündeten bereits grünes Licht für den Export von F-16 in die Ukraine gegeben. Selbst will Washington keine Kampfjets liefern. Die Frage, wer die Jets liefert, soll nun aber offenbar erst geklärt werden, wenn das Training bereits im Gange ist.

G7-Vertreterinnen samt EU von links nach rechts: EU-Ratspräsident Charles Michel, Justin Trudeau (Kanada), Giorgia Meloni (Italien), Olaf Scholz (Deutschland), Rishi Sunak (Großbritannien), Joe Biden (USA), EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Foto: APA / AFP / Holston

Der Tagungsort Hiroshima ist mit Bedacht gewählt – und angesichts der russischen Atomdrohungen im Ukrainekrieg seinerseits symbolträchtig: 1945 legte eine US-Atombombe die Stadt in Schutt und Asche, das zuvor mit NS-Deutschland verbündete Japan kapitulierte.

Schwellenländer zu Gast

Doch nicht das Gedenken an die Opfer der Vergangenheit dürfte die dreitägigen Beratungen der G7-Staaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada dominieren, sondern die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. Und diese heißt aktuell – neben Russland – vor allem China. Neben Hausherr Japan und den sechs anderen Mitgliedern haben sich insgesamt neun Gäste in Hiroshima angekündigt, darunter der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und dessen indischer Amtskollege Narendra Modi. Erklärtes Ziel der G7-Einladungspolitik: Die großen Schwellenländer sollen sich dem russischen Imperialismus ebenso entgegenstellen wie die großen Wirtschaftsnationen Europa und die USA. Bisher tragen freilich weder Indien noch Brasilien die Sanktionen des Westens gegen Putin mit.

Auch was China betrifft, suchen die westlichen Demokratien den Schulterschluss mit dem Globalen Süden – bisher freilich mit nicht allzu großem Erfolg. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor dem Gipfel den Westen vor Hochmut gewarnt, was die Beziehungen zu Schwellenländern wie Indien und Brasilien betrifft: Man dürfe sich nicht wundern, wenn sich diese Staaten nicht westlichen Forderungen nach einer Positionierung gegen Russland anschlössen, wenn man ihnen gleichzeitig keine Kontakte auf Augenhöhe anbiete, sagte er.

Neue Sanktionen

Selenskyj reist Reuters-Informationen zufolge an Bord einer französischen Regierungsmaschine vom Gipfel der Arabischen Liga im saudi-arabischen Jeddah aus an. Schon vor seinem Eintreffen in Japan haben USA, Großbritannien und Frankreich neue Sanktionen gegen Wladimir Putins Regime verkündet. EU-Ratspräsident Charles Michel und der britische Premierminister Rishi Sunak kündigten am Freitag unter anderem Sanktionen gegen den russischen Diamantenhandel an. In Anspielung auf den James-Bond-Film "Diamonds Are Forever" erklärte Michel: "Russische Diamanten sind nicht für immer."

Sunak will zur Unterstützung der Ukraine auch die Einfuhr von Metallen wie Kupfer, Aluminium und Nickel aus Russland verbieten. Zudem hat Großbritannien weitere 86 Personen und Unternehmen aus dem militärisch-industriellen Nahbereich Putins ins Visier genommen, etwa Energie-, Metall- und Schifffahrtsunternehmen.

In der Innenstadt von Hiroshima wurde auch Protest gegen den Gipfel laut.
Foto: Yuichi YAMAZAKI / AFP

Das jüngste US-Sanktionspaket hingegen sieht Regierungsvertretern zufolge unter anderem vor, "Kategorien von Gütern, die für das Schlachtfeld wichtig sind, umfassend einzuschränken". Zudem sollen etwa 70 Einrichtungen aus Russland und Drittländern auf die schwarze Liste des US-Handelsministeriums. Darüber hinaus würden die Vereinigten Staaten rund 300 neue Sanktionen gegen Einzelpersonen, Einrichtungen, Schiffe und Flugzeuge ankündigen, die sich gegen "Finanzvermittler", Russlands künftige Energiekapazitäten und Personen in Europa, dem Nahen Osten und Asien richten, die den Krieg unterstützten.

Die Ukraine selbst wird erst am Sonntag im Mittelpunkt stehen – wenn Selenskyj bis dahin selbst in Hiroshima vor Ort ist. Olexij Danilow, der Sekretär des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, erklärt die derzeit so intensive Reisediplomatie seines Chefs mit Sicherheitsinteressen: "Dort werden sehr wichtige Dinge entschieden, und deshalb ist die Anwesenheit unseres Präsidenten absolut notwendig, um unsere Interessen zu verteidigen." (Florian Niederndorfer, 19.5.2023)