Die Streitereien in der SPÖ um die Parteispitze stoßen nicht nur auf Unmut. 9.000 Eintritte konnte die Sozialdemokratie in Österreich im Zuge der ausgerufenen Mitgliederbefragung verzeichnen. Doch wer und was hat die Genossinnen und Genossen dazu motiviert?

DER STANDARD hat fünf der neuen Mitstreiterinnen und Mitstreiter befragt, bevor am Montag das Ergebnis der roten Basiswahl verkündet wird. Dann sollte klar sein, ob Parteichefin Pamela Rendi-Wagner das Rennen gemacht hat oder doch einer ihrer Kontrahenten: Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil oder Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler.

Dietmar Hasler (48): Früher lange ÖVP-nah, heute pro Doskozil

Es war Zufall, dass Dietmar Hasler überhaupt etwas mit der SPÖ zu tun hat. "Das ist irgendwie passiert", sagt er. Eigentlich stand er für lange Zeit der Volkspartei nahe. Vor ein paar Jahren wurde der Justizwachebeamte dann in die Gemeindepolitik von Lutzmannsburg im Burgenland geholt – von einem roten Bürgermeister. Die Parteizugehörigkeit spielte für Hasler da aber noch keine Rolle.

Das änderte sich schlagartig, als Hans Peter Doskozil Mitte März offiziell in den Führungskampf in der SPÖ einstieg. Der burgenländische Landeshauptmann war es auch, der in der Folge die Mitgliederentscheidung durchsetzte. Hasler trat umgehend in die SPÖ ein. Seine Präferenz ist seither eindeutig.

"Er zieht es einfach durch", sagt Doskozil-Sympathisant Hasler.
Foto: Privat

Sympathien hegt Hasler für den Ex-Verteidigungsminister allein schon deshalb, weil dieser ebenfalls aus der Polizei kommt. Er attestiert ihm, als Teil der Exekutive die Fluchtkrise 2015 gut gemanagt zu haben – und glaubt, dass der Landespolitiker im Bund genauso viel bewirken könne wie im Burgenland: "Wenn er etwas ankündigt, dann wird nichts zeredet", sagt Hasler. "Er zieht es einfach durch."

Das passiert übrigens nicht immer zu Haslers Freude. Dass sein Bruder die unter Doskozil eingeführte Baulandabgabe zahlen muss, schmerzt ihn. Aber: "Man kann es nicht jedem recht machen", sagt das Neo-Mitglied: "Wenn es der Allgemeinheit guttut, ist es okay."

Wie die Basiswahl verlaufen ist, daran lässt Hasler hingegen kein gutes Haar. Er spricht von einer "Farce", von einem "Kasperltheater". Die Bundes-SPÖ habe den Prozess ins Lächerliche gezogen, etwa mit der überraschend aufgenommenen vierten Wahloption auf dem Stimmzettel: "Keiner der Genannten". Hasler beschleicht das Gefühl, dass bei der Wahl nicht alles mit rechten Dingen zugehen könnte.


Jakob Allinger (30): Mit Babler an der Spitze Schwarz-Blau vereiteln

Eine Szene schießt Jakob Allinger sofort in den Kopf, wenn er an den desaströsen Zustand der SPÖ denkt: Da ist die amtierende rote Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zu sehen. Hinter ihr stehen mächtige rote Funktionäre in der Dunkelheit – und schauen bedröppelt. So zu sehen in einem ZiB 2-Interview von 2019.

Babler-Unterstützer Allinger: "Erfrischende Abwechslung."
Foto: Privat

Die Szene stehe bildhaft dafür, wie handwerklich schlecht die SPÖ derzeit sei, sagt die 30-jährige Führungskraft in einem Software-Start-up aus Wien. Das beginne beim mäßigen Aufbau der Homepage für die Mitglieder und ziehe sich bis zum roten Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, den Allinger für eine Fehlbesetzung hält: "Da fehlt Power und Energie, es gibt zu viel verstaubtes Personal."

In Andreas Babler sieht Allinger eine positive Ausnahme. Der Traiskirchener Bürgermeister spreche im Dialekt, spiele einem nichts vor, sei eine "erfrischende Abwechslung", sagt der gebürtige Waldviertler. Allinger glaubt, dass Babler mit seinem Programm den Zeitgeist treffe, etwa mit der Frage nach der Vermögensverteilung in Zeiten der Digitalisierung oder mit der 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.

"Ich bin der Partei nicht beigetreten, weil ich so ein SPÖ-Fan bin", sagt Allinger. Ihm gehe es um eines: Schwarz-Blau zu verhindern. Mangels Alternativen für eine Kanzlerschaft sei die SPÖ die realistischste Option. Allinger hält Babler inhaltlich für den besten Kandidaten, glaubt aber, dass Doskozil bei Wählern rechts der Mitte eher ankommt und größere Chancen auf einen Wahlsieg habe.

Dass sich die SPÖ ihren Mitgliedern geöffnet hat, sieht Allinger positiv – das solle so bleiben. "Damit Politik für junge Menschen interessant bleibt, sonst gehen sie irgendwann gar nicht mehr wählen. Das wäre demokratiegefährdend."


Yasemine Ameri (53): Weil Rendi-Wagner den Mund aufmacht

Als Dankeschön": So versteht Yasemine Ameri ihren Eintritt in die SPÖ. In Österreich herrsche ja generell ein herab lassender Ton gegenüber Frauen, sagt sie, davon bleibe auch Pamela Rendi-Wagner nicht verschont. Als dann mit der Mitgliederbefragung der Platz an der Parteispitze zur Disposition stand, sagte sich Ameri: "Das hat sich Rendi-Wagner nicht verdient."

Ihr Faible für die Titelverteidigerin erklärt die 53-Jährige mit ihrer eigenen Vita. Die Geburt der Tochter, die in Folge den Abbruch des Medizinstudiums bedeutete, habe ihr gezeigt, wie schwierig das Leben einer (de facto) Alleinerziehenden sei, erzählt sie. Heute kämpft die ausgebildete, gesundheitlich gehandicapte Bürokauffrau darum, am Arbeitsmarkt in mehr als nur kurzfristigen Jobs Fuß zu fassen.

Rendi-Wagner-Anhängerin Ameri: "Sie lässt sich nicht kaputtmachen."
Foto: Regine Hendrich

Rendi-Wagner habe immer all die Mütter, Kinder und Familien angesprochen, denen es an Geld für ein sorgenfreies Leben fehle: "Sie hat am meisten den Mund aufgemacht – und am meisten Angriffe abgekriegt." Ohne den Einsatz der SPÖ-Chefin wären diese Anliegen untergegangen, glaubt Ameri: "Rendi-Wagner hat gute Oppositionsarbeit geleistet. Die alten Bonzen hätten das nicht zusammengebracht."

Was ihr dabei imponiert: Die Amtsinhaberin habe Ecken und Kanten, könne aber auch selbst einstecken – "sie lässt sich nicht kaputtmachen, sondern steht am nächsten Tag wieder vorn".

Streitereien wie in der SPÖ seien ja auch wichtig, um Konflikte auszutragen, sagt die Wienerin: "Da müssen die Fetzen fliegen." Doch weil Rendi-Wagner kompromissfähig sei, baut sie darauf, dass die Parteichefin nach hoffentlich erfolgreicher Mitgliederbefragung einen Konsens mit ihren Rivalen findet: "Denn in der Sache meinen doch alle eigentlich das Gleiche."


Markus Kreuter (44): Ohne Doskozil wackelt das Parteibuch wieder

Er sei kein wahnsinnig politischer Mensch, sagt Markus Kreuter. Politisch aktiv war der technische Einkäufer aus Gols im Burgenland nie. Der SPÖ gab er bei Nationalratswahlen zwar seine Stimme – in den vergangenen Jahren aber alles andere als mit Inbrunst. Dann kam die rote Basiswahl. Kreuter trat erstmals in die SPÖ ein. Am liebsten würde er Doskozil an der Parteispitze sehen.

Der burgenländische Landeshauptmann vermittle glaubhaft, etwas verändern zu wollen, erläutert Kreuter. Etwa, wenn es darum gehe, die Zweiklassenmedizin aufzubrechen, zu schauen, dass Arztbesuche leistbar bleiben: "Bist du heute kein Privatpatient, hast du das Nachsehen." Das will Kreuter seiner sechsjährigen Tochter künftig nicht zumuten müssen.

"Zuschauen ist keine Lösung", befindet Doskozil-Fan Kreuter.
Foto: Privat

"Es braucht mehr Aktion statt Reaktion oder Resignation", sagt der 44-Jährige. "Nix tun und zuschauen ist ebenso wenig die Lösung wie zu hoffen, dass die anderen Parteien noch schwächer sind und die Bevölkerung keine andere Wahl hat." Mit Doskozil, glaubt Kreuter, könnte Schwarz-Blau noch verhindert werden.

Mit der Alternative Babler habe er sich nicht weiter beschäftigt, räumt das Neo-Mitglied ein. Die Präferenz war klar. Gols ist tiefrot. Der Bürgermeister hat Kreuter und seiner Familie oft geholfen, von ihm kam auch der Tipp: "Schau dir den Dosko an." Denn der wolle zurück zu alten Werten, mehr auf die Basis und auf die schauen, die es sich nicht selbst richten könnten. "Damit konnte ich mich bei allem, was da hin- und herschippert, am ehesten identifizieren."

Sollte Doskozil am Ende nicht Parteichef werden, wird Kreuter die rote Mitgliedschaft nicht gleich ad acta legen. "Aber sollte es weitergehen wie bisher, werde ich schon darüber nachdenken."


Sylvia Steinitz (53): Das Feuer brennt für den "alten Sozi" Babler

Zehn Jahre hat Sylvia Steinitz mit sich gehadert. Als Partei der Arbeitnehmerinnen und Frauenrechte stand ihr die SPÖ immer schon nahe, doch ein Beitritt schien für eine Journalistin – die heute 53-Jährige war Chefredakteurin der Wienerin und Kulturchefin des Stern – tabu. Der Start des Mitgliedervotums aber habe "den letzten Funken" ausgelöst, sodass sich die nunmehrige PR-Beraterin und Pflegemutter zweier Kinder einen Ruck gab: "Frei nach John F. Kennedy: Frage nicht, was deine Partei für dich tut, sondern, was du für deine Partei tun kannst."

Babler-Wählerin Steinitz: "Er wird ein Erdbeben auslösen."
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Entflammt ist ihre Begeisterung für Andreas Babler, den kampagnengewandten Nicht-mehr-Außenseiter aus Traiskirchen. Warum? "Weil er ein alter Sozi ist, wie man ihn sich vorstellt", sagt Steinitz. Die SPÖ sei "eine ächzende Partei" geworden, der es an Feuer fehle. Babler hingegen brenne für seine Anliegen und habe sich vom Politbetrieb im Großen und Ganzen nicht korrumpieren lassen: "Er steht für eine Rückbesinnung auf die Werte, die unsere Bewegung ausmachen. Wir müssen uns alle wieder mehr spüren – dann können uns auch die Leute spüren."

Sollte Babler gewinnen, werde dies in der Partei ein kleines Erdbeben auslösen, prophezeit die Unterstützerin aus Wien. Doch eigentlich sei ihr im Verlauf der Mitgliederbefragung klar geworden, "dass es mir persönlich mittlerweile wurscht ist, wer den Vorsitz einnimmt". Obwohl der Ablauf nicht gerade Vertrauen in die Professionalität des Managements generiert habe, sei die Partei nicht mehr die gleiche wie zu Beginn des Experiments. "Die SPÖ ist aufgewacht und hat bemerkt, dass es da zigtausende Menschen gibt, die mitgestalten wollen", glaubt Steinitz: "Wird sie zur echten Mitmachpartei, ist es zweitrangig, wer an der Spitze steht." (Gerald John, Jan Michael Marchart, 21.5.2023)