Michel Houellebecq behauptet: "Ich bin kein Exhibitionist."

APA / Lionel Bonaventure

Die Reputation retten. Reparieren, was noch zu reparieren ist. Mit diesem Beweggrund bringt Michel Houellebecq (67) am Mittwoch auf Französisch sein neuestes Werk heraus: Quelques mois dans ma vie (Einige Monate in meinem Leben).

Es ist ein seltsames Buch, nur 103 Seiten lang, ganz in Schwarz gehalten, eher eine Chronik als Literatur, aber gefühliger als jeder Roman, voller Scham, Rachegefühl und Hass, wie er selbst schreibt. Es ist eine bittere Abrechnung mit dem niederländischen Künstlerkollektiv Kirac geworden, geführt mit Houellebecqs schärfster Waffe – seinen Worten. Am Schluss steht der provokante und sprachgewaltige Starautor allerdings eher erbärmlich da.

Den Anfang machte am 6. Oktober eine Mail von Kirac-Leiter Stefan Ruitenbeek an Houellebecq. Bald sagte Houellebecq zu, in einem kunsterotischen Film sich selbst zu spielen – beim Sex. Das Resultat war Anfang 2023 online in einem Trailer zu sehen; es zeigt einen zerzausten und weinenden Houellebecq, wie er eine Zigarette kaut und sich im Bett mit einer Frau abgibt.

"Muttersau" und "schlechte Schlampe"

In seinem Buch nennt Houellebecq die Frau nur "la Truie", die Muttersau. "Sie hätte vielleicht gerne den schönen Namen ‚Schlampe‘ verdient. In Wirklichkeit war sie nicht einmal eine schlechte Schlampe, es war schlimmer." Sie habe das Sexvideo auf der Sexplattform Onlyfans versilbern wollen. Das will Houellebecq aber erst später erfahren haben. Ebenso die miesen Beweggründe zweier anderer Frauen, genannt "Pute" und "Viper", sowie Ruitenbeeks Absicht, die gefilmten Sexszenen online zu stellen.

Der Haken an seiner Darstellung: Er hatte dafür die schriftliche Zustimmung gegeben. In seinem Buch druckt er den Vertrag sogar ab. Dieser regelt die Dinge bis in die Details: "Die Gesichter von Michel Houellebecq und Lysis Houellebecq werden nie zusammen mit dem Penis von Michel oder der Vagina von Lysis gezeigt", heißt es etwa.

Houellebecq behauptete später, er habe den Vertrag unter Drogeneinfluss unterzeichnet. Aber auch Wochen später machte er bei den Dreharbeiten in Paris und Amsterdam noch mit. Wie er nun schreibt, fragte er sich schon damals: "Was mache ich hier nur mit diesen Deppen?" Von Ruitenbeek – den er nur "Küchenschabe" nennt – fühlt er sich reingelegt. Zuerst reichte er in Paris Klage auf Verletzung der Privatsphäre ein. Er blitzte ab, ging zu einem Gericht in Amsterdam. Doch auch dieses befand, der Vertrag sei gültig.

Houellebecq wähnte sich vollends in der Falle, als er einen anderen erotischen Kirac-Film namens Honeypot sah: Darin wurde der rechte holländische Philosoph Sid Lukassen lächerlich gemacht. Und steht Houellebecq nicht ebenfalls im Ruf, Sympathien für die islamfeindliche Rechte zu hegen? Ruitenbeek bestreitet politische Motive. Er wolle zeigen, dass heute ein Schriftsteller wie Houellebecq "nicht mehr zwischen sich und seiner Literatur unterscheiden" könne.

Depardieu eilt zur Hilfe

Ein Freund riss Houellebecq aus seiner Depression. Gérard Depardieu, derzeit von 13 Frauen sexueller Übergriffe bezichtigt, gab ihm einen Rat: "Nie aufgeben, bis an die Grenze seiner Kräfte kämpfen." Houellebecq hat zum Teil recht erhalten. Die Amsterdamer Richter schließen die Gefahr einer Rufschädigung jedenfalls nicht aus. Houellebecq erhält das Recht, das Video einzusehen und die Streichung einzelner Sequenzen zu verlangen. Wenn Ruitenbeek nicht darauf eingeht, kann Houellebecq also erneut klagen. (Stefan Brändle aus Paris, 22.5.2023)