Die 1411 gemalte Dreieinigkeitsikone soll aus der Tretjakow-Galerie in das außerhalb von Moskau gelegene Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad überstellt werden.
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Die Entscheidung von Wladimir Putin, die weltberühmte Dreieinigkeitsikone von Andrej Rubljow aus der Moskauer Tretjakow-Galerie und den barocken Silbersarkophag für die Überreste von Fürst Aleksandr Newski (1221–1263) aus der Petersburger Eremitage an die russisch-orthodoxe Kirche zu übergeben, ist ein Dammbruch für Russlands Kulturpolitik.

Denn obwohl der Staat nach 1991 Religionsgemeinschaften Immobilienbesitz restituiert hatte, galt bisher, dass von den Bolschewiken enteignete sakrale Kunst im Museum bleibt – gerade auch aus konservatorischen Gründen.

Die bisherigen Spielregeln ändern sich nun: Mit der Ikone und dem Sarkophag sollen gleich zwei der wichtigsten sakralen Kunstobjekte des Landes trotz bisheriger Widerstände die Museen verlassen, weitere Schätze dürften folgen. In der russischen Kulturszene herrscht über die Hintergründe der aktuellen Causa dabei nahezu Konsens – die Rede ist von abergläubischen Hoffnungen Wladimir Putins auf göttlichen Beistand am Schlachtfeld in der Ukraine.

Klage von rechts außen

Begehrlichkeiten bezüglich der Kunstwerke hatte es schon früher gegeben. Als Putin Anfang 2012 in seinem Präsidentschaftswahlkampf eine Verschmelzung von Staat und Kirche forcierte, klagten Rechtsaußen-Aktivisten vor einem Gericht gleichzeitig auf Rückführung des anderthalb Tonnen schweren und im 18. Jahrhundert angefertigten Behältnisses für die Überreste Newskis in das nach ihm benannte Kloster in St. Petersburg.

Obwohl das Gericht die Forderung abwies, gaben sich die Aktivisten nicht geschlagen. Mit einem Gebetsflashmob vor dem überdimensionalen Objekt setzten sie im März 2013 die Eremitage erneut unter Druck.

Vor dem barocken Silbersarkophag für die Überreste von Fürst Aleksandr Newski (1221–1263) in der Petersburger Eremitage ließ der Chef des Museums 2013 einen Männerchor mit christlichen Liedern aufmarschieren.
Foto: Herwig Höller

Der Chef des Museums, Michail Piotrowski, antwortete damals kreativ: Vor dem Sarkophag ließ er einen Männerchor mit christlichen Liedern aufmarschieren, hinter den Kulissen sorgte er erfolgreich für ein Verstummen der Diskussion über eine etwaige Rückgabe. Bis vor wenigen Tagen.

"Heute ist die sakrale Bedeutung dieses Kulturdenkmals wichtiger als sein künstlerischer Wert", begründete der Putin-Mitstreiter am 14. Mai seine Zustimmung, das Objekt für die nächsten 49 Jahre dem Kloster zu übergeben. Er sprach von "der besonderen Bedeutung der Zusammenführung der sterblichen Überreste des Fürsten und des Behältnisses zum aktuellen geopolitischen Zeitpunkt". Newskis Aktualität hat mit militärischen Siegen über den Deutschritterorden sowie Schweden zu tun und wird dadurch verstärkt, dass die heutigen Schweden eine Mitgliedschaft in der Nato anstreben.

Loyaler Kirchenfürst

In Bezug auf die angekündigte Überstellung der 1411 gemalten Dreieinigkeitsikone aus der Tretjakow-Galerie in das außerhalb von Moskau gelegene Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad war offiziell von Geopolitik indes keine Rede.

Putin habe mit seiner Entscheidung auf "zahlreiche Bitten von orthodoxen Gläubigen" reagiert, informierte die Presseabteilung von Patriarch Kirill. Der Putin gegenüber absolut loyale Kirchenfürst hatte die Ikone bereits 2022 für einen Gottesdienst erfolgreich beim Kreml angefordert, Proteste der Abteilung für altrussische Kunst der Tretjakowka zeigten damals keine Wirkung. Nun hatte der Patriarch sie eigentlich nur ein weiteres Mal zum Dreieinigkeitsfest am 4. Juni haben wollen, dürfte sie aber permanent bekommen.

Trotz des drohenden Verlusts eines zentralen Exponats reagierte das seit Februar von der Geheimdienstgeneralstochter Jelena Pronitschewa geleitete Museum nur äußerst verhalten und informierte in einer Aussendung am Mittwoch lediglich über die Gesetzeslage. Klartext sprach die Neodirektorin des Moskauer Puschkin-Museums, Jelisaweta Lichatschowa, sie war diesbezüglich die einzige Spitzenvertreterin des staatlichen Kulturestablishments.

Rubljows Ikone habe primär keine religiöse, sondern als russischer Beitrag zur christlichen Ikonografie kunsthistorische Bedeutung, sagte sie der staatlichen Nachrichtenagentur Tass: "Sie kann verlorengehen, in ihre Teile zerbrechen", erklärte Lichatschowa. (Herwig G. Höller, 23.5.2023)