Regenfälle mit katastrophalen Folgen erlebte auch die 100.000-Einwohner-Stadt Cesena nordwestlich von Rimini. Dieser Retter sucht mit Spezialausrüstung in einem Pkw nach vermissten Personen.

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Die Regenfälle in der norditalienischen Region Emilia-Romagna hinterlassen eine verheerende Bilanz: 14 Menschen haben ihr Leben verloren, 15.000 Menschen wurden vorübergehend obdachlos. Fluten, Schlammlawinen und Erdrutsche stürzten viele Dörfer in ein Katastrophenszenario.

Video vom vergangenen Freitag: Bei Überschwemmungen und Erdrutschen infolge starker Regenfälle sind in Norditalien mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen.
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Europa wird öfter als früher von Naturkatastrophen heimgesucht. Die Zunahme der Extremwetter liegt am Klimawandel, da sind sich die Klimaforschung und übrigens auch große Versicherungen einig. Der Klimawandel habe die Schäden aus Stürmen, Überschwemmungen und anderen Naturereignissen im Jahr 2022 weltweit auf rund 252 Milliarden Euro hochgeschraubt, errechnete die deutsche Rückversicherung Münchener Rück.

Regen häufiger heftiger

Warum regnet es öfter als früher so heftig in Europa? "Die Wasseroberfläche, auch der Adria, ist deutlich wärmer als vor hundert Jahren. Dadurch verdunstet auch mehr Wasser, und es gibt mehr Feuchtigkeit in der Luft", sagt Sven Fuchs vom Institut für Alpine Naturgefahren an der Universität für Bodenkultur Wien zum STANDARD.

Dies sei ein Grund, warum die Regenfälle, etwa in Italien, stärker geworden sind. "Ohne Klimawandel hätten wir vielleicht auch alle zehn Jahre so eine Situation, mit dem Klimawandel tritt sie aber häufiger ein", sagt Fuchs.

Dämme und Becken

Nicht nur in Italien, sondern überall, wo man mit Hochwassern zu rechnen und zu kämpfen hat, gibt es ein Bündel an Gegenmaßnahmen. Bauliche Maßnahmen wie Dämme und Rückhaltebecken, raumplanerische Rezepte wie das Freihalten von flussnahen Flächen sowie organisatorische Schritte im Rahmen des Zivilschutzes.

Allerdings basieren die Werkzeuge gegen Überschwemmungen auf Erfahrungen und Statistiken. "Nun haben wir das Problem, dass sich die Grundlagen verschieben, konkret die Wassermenge, die auf den Boden trifft", sagt Fuchs.

In der Emilia-Romagna waren es in der Vorwoche innerhalb von zwei Tagen mancherorts 200 Millimeter Niederschlag. Ein Millimeter entspricht einem Liter pro Quadratmeter.

Rückhalteflächen schaffen

Angesprochen auf die verheerende Lage in Norditalien nennt Boku-Forscher Fuchs als vorbeugenden Lösungsansatz die sogenannte Retention. Man legt Rückhalteflächen um die Flussläufe an, in denen sich Wasser bei starkem Regen temporär ansammeln kann. "Man müsste im Oberlauf des Po Retentionsflächen schaffen. Bei hohem Niederschlag könnte das Wasser dann eingestaut werden und anschließend verzögert abfließen", erklärt Fuchs.

Allerdings sei er sich der schwierigen Ausgangslage bewusst. Norditalien, auch die Emilia-Romagna mit Städten wie Bologna und Parma, sei rund um den Fluss Po dichtbesiedelt und stark versiegelt.

Renaturierung von Flüssen

Ein zweiter Ansatz, der vielerorts auf der Welt verfolgt wird, um Hochwasser abzuflachen, ist die Renaturierung von Flüssen. Allerdings ist die Befreiung der Flüsse aus ihren menschengemachten Korsetten ein langer Prozess. Oft scheitert oder verzögert sich die Renaturierung auch, weil die Gebiete um die Flüsse bereits verbaut oder landwirtschaftlich genutzt sind.

"Da sind immense Anstrengungen und eine gewisse politische Stabilität nötig, weil so ein Vorhaben zehn bis zwanzig Jahre dauern kann", erzählt Fuchs. Einen kurzfristigen Schutz für Menschen, die von Hochwassern in Italien, Kroatien oder auch Österreich betroffen sind, bieten solche Maßnahmen daher nicht.

Die Straßen bei den Murazzi (Mauern) del Po in Turin wurden ab dem 20. Mai aus Sicherheitsgründen gesperrt.
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Schlechte Raumplanung

Absiedelungen wiederum seien "aus theoretischer Sicht natürlich optimal, in der Praxis aber kaum umsetzbar", sagt Fuchs. Ein solches Vorgehen sei aus politischen und rechtlichen Gründen kaum durchführbar, zumindest in Österreich. Eine Umsiedelung werde es in unseren Breiten nur auf freiwilliger Basis geben, meint der Forscher.

Fuchs stellt der Raumplanung Italiens ein schlechtes Zeugnis aus. Diese habe die potenziellen Regenfälle nicht berücksichtigt. "Man hat Infrastruktur und Siedlungen zu dicht an die Gewässer gebaut", sagt er. Die Situation in Norditalien werde zudem dadurch verschärft, "dass die Dämme nicht immer gewartet worden sind. Das ist überall in Europa ein Problem, dass man in die Dämme und Rückhaltebecken etwa alle 50 Jahre noch mal das Gleiche wie beim Bau investieren müsste."

Regierung in Rom gibt sich realistisch

Die Ausmaße der Katastrophe in Norditalien liegen auch daran, dass der extreme Regen auf eine Dürre folgte. "Nichts wird mehr sein, wie es vorher war. Wenn Erdboden für eine lange Zeit trocken bleibt, wird er nicht aufnahmefähiger, sondern zementiert", gab sich Italiens Katastrophenschutzminister Nello Musumeci von den postfaschistischen Fratelli d’Italia vor wenigen Tagen realistisch.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Erkenntnis auch in die Klimapolitik und Hochwasserprävention der Regierung in Rom einsickern wird. (Lukas Kapeller, 23.05.2023)