Die Personale der Konzeptkünstlerin Rosemarie Castoro ist die erste im deutschsprachigen Raum.
Foto: MAK / Georg Mayer

Dort, wo vorher intensive Farben und Muster das Sagen hatten, dominiert nun eine minimalistische Sprache. Der Inhalt des bisherigen Teppichsaals im Museum für angewandte Kunst (Mak) in Wien wurde entfernt und übersiedelt demnächst ins Obergeschoß. Ab jetzt dient die 300 Quadratmeter große Halle der Präsentation zeitgenössischer Kunst, Architektur, Design oder Mode.

Eröffnet wird diese Neuerung, durch die laut Direktorin Lilli Hollein ein zeitgenössisches Signal im Eingangsbereich des Museums ausgesandt werden soll, mit einer kleinen Personale der Konzeptkünstlerin Rosemarie Castoro – der ersten im deutschsprachigen Raum.

Anlass dafür sind zwei Neuzugänge der Gegenwartssammlung des Mak. Durch die Initiative von Kuratorin Bärbel Vischer konnten über die Ludwig-Stiftung zwei zentrale Werkserien der 1939 in New York geborenen und 2015 verstorbenen Künstlerin angekauft werden. Die restlichen Skulpturen, Fotos und Reliefs stammen großteils aus dem Estate Castoros, das vom Großgaleristen Thaddaeus Ropac verwaltet wird, der auch als Hauptsponsor der Baselitz-Schau im KHM fungiert.

Körperbezug: Die Serie spinnenhafter Wimpernkränze namens "Land of Lashes" krabbelt als Karawane über den Boden.
Foto: MAK / Georg Mayer

Obwohl sich Castoro in den Kreisen von Sol LeWitt, Agnes Martin oder Carl Andre – mit dem sie verheiratet war – bewegte, bekamen ihre Werke erst in den letzten Jahren internationale Aufmerksamkeit und sind heute in den Sammlungen des MoMA in New York sowie dem Pariser Centre Pompidou vertreten.

Mit dem spannenden Debüt bietet das Mak eine überraschende Entdeckung. Dennoch bleibt die Frage, inwiefern wirklich angewandte Kunst im Spiel ist. Die Schau könnte problemlos im Mumok laufen.

Haarsträhnen an der Wand

Nach einer knallbunt-abstrakten Phase wandte sich Castoro ab den 1970ern streng konzeptionellen Arbeiten zu. Sie studierte Grafikdesign und beschäftigte sich mit modernem Tanz. Beides schlug sich in ihrer künstlerischen Sprache nieder, die Malerei, Skulptur und Performance verbindet. Wegen der omnipräsenten Bewegung wird das Werk als "kinästhetisch" beschrieben.

So können ihren sogenannten Brushstrokes grafische bis performative Charakterzüge nachgesagt werden: Mit Besen oder Wischmopp malte sie dicke Pinselstriche auf den Boden, die als reliefartige Gemälde nun in den Raum wachsen. Bewusst nahm Castoro mit diesen organischen Formen, die an dicke Haarsträhnen erinnern sollen, Bezug auf ihren eigenen Körper: Achselhaare, Wimpern oder Stirnfransen.

Zweideutig: Die 1977 entworfene Skulptur "Beaver’s Trap" von Rosemarie Castoro ist "bezahnte Vagina" und zugleich ihr Käfig.
Foto: Estate Rosemarie Castoro / Galerie Ropac

Neben einer Begeisterung für subtile Wortspiele zerlegte Castoro nebenbei auch stereotype Geschlechterzuschreibungen. Ihrem Land of Lads (deutsch: Land der Jungs), einer Serie hochgewachsener, tänzelnder Leitern, folgte eine Serie spinnenhafter Wimpernkränze namens Land of Lashes nach, die als Karawane über den Boden krabbelt.

Fotos zeigen die Künstlerin auch bei der Aktivierung: In der Installation Beaver’s Trap aus spitzen Holzstäben (siehe Bild) sitzt sie in der Falle. Sie erinnert an eine "Vagina dentata" und spielt mit dem Titel auf das weibliche Geschlecht sowie den Namen Castoro an – auf Italienisch bedeutet er Biber. (Katharina Rustler, 24.5.2023)