Kurt Gödel und Albert Einstein verband über Jahre hinweg eine enge Freundschaft.

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Ein Schulheft von Kurt Gödel zeigt: Auch Genies müssen lernen.

Die Fotos wurden vom Mathematiker Karl Siegmund, der die Gödel-Ausstellung an der Uni Wien (27. 4. bis 6. 5.) konzipiert, zur Verfügung gestellt.

Foto: DER STANDARD/Foto: Departement of Rare Books and Special Collections, Princeton University Library
Sein Unvollständigkeitssatz gilt als "die" mathematische Wahrheit, sein Leben schwankte zwischen Genie und Wahnsinn. Über Kurt Gödel, der am 28. April 100 Jahre alt geworden wäre.

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Leicht machte es Kurt Gödel mit seinem pedantischen Scharfsinn niemandem. Auch seinem Freund Albert Einstein nicht. Als Gödel Ende 1947 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten sollte, nahm der Logiker die Sache so ernst, dass er nach dem gründlichen Studium der US-Verfassung glaubte, einen logischen Widerspruch in ihr entdeckt zu haben: Seiner Meinung nach könnte die demokratische Regierungsform durch eine Gewaltherrschaft abgelöst werden. Also blieb Einstein nicht anderes übrig, als zur Anhörung seines weltfremden Kollegen mitzugehen und beim zuständigen Richter ein gutes Wort für ihn einzulegen.

Erfolg dank Einstein

Mit Erfolg: Der Logiker, der vielen Experten als der größte seines Faches seit Aristoteles gilt, erhielt die US-Staatsbürgerschaft. Dennoch ist es nicht illegitim, Kurt Gödel als einen jener vier Österreicher zu werten, die das Time-Magazin 1999 auf seine Liste der 100 wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts setzte. Schließlich hatte Gödel seine bahnbrechenden Erkenntnisse rund um 1930 in Wien verfasst.

Dass er Wien später den Rücken kehrte, verband ihn mit den beiden anderen österreichischen Geistesgrößen, die es auf die Time-Liste schafften: Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein. (Der vierte Österreicher war im Übrigen Adolf Hitler, der Hauptschuldige für ihre Vertreibung aus Wien.)

Geboren wurde Kurt Gödel allerdings im tschechischen Brünn als zweiter Sohn eines wohlhabenden sudetendeutschen Textilunternehmers. Die außergewöhnliche Begabung des kleinen Kurt, der aufgrund seiner ständigen Fragerei den Beinamen "Herr Warum" bekam, zeigte sich früh, war aber überschattet von einer Angstneurose und anderen mehr oder weniger eingebildeten Krankheiten, die ihn zeit seines Lebens begleiteten.

Unmittelbar nach der Matura begann er an der Universität Wien mit einem Physikstudium und nahm bald als junger Student an den wöchentlichen Sitzungen des Wiener Kreises teil. Der "schmächtige, außerordentlich stille junge Mann", so sein Lehrer Karl Menger, fiel aber nicht weiter auf, obwohl er im Begriff war, die mathematische Logik zu revolutionieren. Das Glanzstück des noch nicht 25-Jährigen war der Unvollständigkeitsbeweis.

Gödels im Detail hoch komplizierter Satz bewies, dass es in jedem formalen System, das zumindest eine Theorie der natürlichen Zahlen enthält, eine unentscheidbare Formel gibt, die nicht beweisbar und deren Negation ebenfalls nicht beweisbar ist - ähnlich dem Paradoxon "Alle Kreter sind Lügner" des Kreters Epimenides. Aus diesem ersten Gödel'schen Unvollständigkeitssatz leitet sich der zweite ab: dass die Widerspruchsfreiheit eines solchen formalen Systems nicht innerhalb des Systems nachgewiesen werden kann.

Als Gödel den ersten Teil seiner Erkenntnisse bei einer Fachtagung 1930 erstmals erwähnte, nahm niemand davon groß Notiz - auch nicht die zahlreichen Geistesgrößen des Wiener Kreises. Für logische Normalverbraucher mag es ein Trost sein, dass es zwei der allergrößten Hirne des 20. Jahrhunderts bedurfte, nämlich jene John von Neumanns und Alan Turings, um die ganze Tragweite von Gödels Arbeit "Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme" zu würdigen, die noch Jahre danach etliche neue Forschungsfelder begründete und auch für die Theorie des Computers von entscheidender Bedeutung wurden.

Während ihm seine Jahrhundertleistung in Wien bloß die Habilitation und eine schlecht bezahlte Dozentur einbrachte, zeigte man auf der anderen Seite des großen Teiches großes Interesse an seiner Arbeit. Gödel wurde in den Jahren 1933 und 1934 zum Gründungsmitglied des Institute for Advanced Study in Princeton.

Psychische Probleme

Nach seiner Rückkehr nach Wien wurden die psychischen Probleme des Geistesgiganten allerdings immer manifester. Neben der Überarbeitung waren wohl auch private Sorgen daran schuld: Seine Mutter musste aus finanziellen Gründen zurück nach Brünn und missbilligte nach wie vor seine kuriose Mesalliance mit der um sechs Jahre älteren Varietétänzerin Adele Porkert, die Kurt Gödel im September 1938 heiratete - ehe er abermals und alleine in die USA ging.

Von den politischen Veränderungen hingegen nahm der weltfremde Gelehrte in all diesen Jahren nur wenig Notiz. Und nur so ist es verständlich, dass er seine Frau nicht in die USA nachkommen ließ, sondern 1939 zurück nach Wien reiste, wo er trotz der Umstände auch zu bleiben gedachte. Erst nachdem er von einem Nazi-Schlägertrupp überfallen worden war, weil man ihn für einen Juden hielt, und er zudem Gefahr lief, als Soldat an die Front zu müssen, entschloss er sich, mit seiner Frau endgültig in die USA zu emigrieren.

In Princeton, dem beschau- lichen Universitätsstädtchen in New Jersey, verbrachte Gödel seine zweite Lebenshälfte unter eher tragischen Umständen.

Eine Freundschaft

Zunächst war da zwar noch die Freundschaft mit Albert Einstein, mit dem er regelmäßig lange Spaziergänge unternahm. Schließlich sei Gödel der "Einzige von uns gewesen, der sich mit Einstein auf gleicher Augenhöhe bewegte", wie der berühmte Princeton-Physiker Freeman Dyson meinte. Als Einstein 1955 starb, der Gödel auch noch zu einer bahnbrechenden Arbeit zur Relativitätstheorie motiviert hatte, vereinsamte der hyperintrovertierte Außenseiter aber völlig.

Logische Folge: Die hellen Momente in seinem Leben wurden immer seltener, und seine psychischen Probleme häuften sich. Gödel litt unter Verfolgungswahn und anderen Krankheiten, stopfte sich mit Medikamenten voll. Das Einzige, was er seinem immer dünneren Körper ungern zuführte, war Nahrung. Als seine Frau Adele, die ihn auch in diesen schwierigen Jahren fürsorglich pflegte, für einige Monate selbst ins Krankenhaus musste, hungerte er sich aus paranoider Angst vor einer Vergiftung zu Tode. Der Schöpfer der "bedeutendsten mathematischen Wahrheit des Jahrhunderts", wie es anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Harvard University hieß, starb am 14. Jänner 1978, keine 30 Kilo schwer.

Aber auch noch als schwer kranker Patient hat es Gödel seinen Mitmenschen mit seinem pedantischen Scharfsinn nicht leicht gemacht. Nachdem er sich einmal zur stationären Behandlung ins Princeton-Krankenhaus begeben hatte, kam er drauf, dass seine Versicherungspolizze die angebotenen Leistungen nicht abdecken würde - und weigerte sich, sie anzunehmen. (DER STANDARD/Printausgabe, 12.4.2006)