Arbeitete am Modell der Bäckerhefe: Die Biologin Angelika Amon an der Elite-Universität MIT, die vor allem ergründen will, wie Krebs entsteht.
Foto: Der Standard
Margarete Endl sprach mit ihr über ihre Karriere, über Forschungsarbeit in den USA, den Irakkrieg und eine eventuelle Rückkehr.

******

DER STANDARD: Sie studierten in Wien Biologie. Was hat Sie nach Boston verschlagen?
Amon: Ich habe bei Kim Nasmyth am Institut für Molekulare Pathologie dissertiert. Dann ging ich ans Whitehead Institute hier in Cambridge, weil ich über die Teilung von Hefezellen forschen wollte. Ursprünglich für zwei Jahre. Das war 1994. Leider, leider.

DER STANDARD: Wieso leider?
Amon: Ich wollte eine Assistenzstelle in Österreich. Aber die Möglichkeiten in Amerika waren so toll, und so bin ich hängen geblieben.

DER STANDARD: Was hat man Ihnen denn hier geboten?
Amon: Nach den zwei Jahren wurde ich Whitehead Fellow. Das ist etwas ganz Besonderes: Junge Wissenschafter erhalten die Chance, drei Jahre lang frei und unabhängig einfach nur zu forschen. Ich bekam auch Geld für eine kleine Arbeitsgruppe. In dieser Zeit gelangen uns wichtige Entdeckungen. Daraufhin erhielt ich mehrere Angebote und entschied mich für das MIT.

DER STANDARD: Was haben Sie damals entdeckt?
Amon: Wir fanden heraus, dass ein Protein namens Cdc20 eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der Zellteilung spielt. Das wurde in Science publiziert. Dann entdeckten wir, dass eine Phosphatase namens Cdc14 eine entscheidende Rolle in einem bestimmten Übergang beim Zellteilungsprozess spielt. Das wurde in Molecular Cell publiziert.

DER STANDARD: Sie sind nun Biologin am Zentrum für Krebsforschung des MIT. Woran arbeiten Sie konkret?
Amon: Mein Labor macht strikte Grundlagenforschung. Viele Aspekte dieser Forschung haben aber bereits zu Methoden geführt, Krebs zu bekämpfen. Konkret forschen wir über die Zellteilung. Das Forschungsmodell, das wir verwenden, ist Bäckerhefe. Der Mechanismus der Zellteilung ist bei menschlichen, tierischen und pflanzlichen Zel- len - und auch bei der Bäckerhefe - derselbe. Wir versuchen, diesen Mechanismus zu verstehen und herauszufinden, warum manchmal etwas schief läuft. Wenn die Zellen einem Kontrollmechanismus nicht mehr gehorchen, sich wild teilen und Wucherungen bilden, ist es eine Krankheit der Zelle - so entsteht Krebs.

DER STANDARD: Wie können Sie eine Zelle beeinflussen?
Amon: Die chemischen Substanzen im Rauch dringen in die Zelle ein und verändern die Erbsubstanz. So bekommt die Zelle falsche Instruktionen und reagiert mit einer gestörten Zellteilung. Wir blasen keinen Zigarettenrauch auf die Zellen. Aber wir haben Techniken, die Erbsubstanz zu verändern und dann die Konsequenzen der Veränderung zu analysieren.

DER STANDARD: Wann hat sich eigentlich Ihr Interesse für die Wissenschaft entwickelt?
Amon: Ich hab mich für Tiere interessiert und später auch für Pflanzen. Ich hatte ein Heft, in das ich Zeitungsartikel über Tiere klebte. Als wir in der Mittelschule Molekularbiologie lernten und von Mendel hörten, fand ich das spannend. Ich wollte nie etwas anderes als Biologie machen.

DER STANDARD: Und wann kam der wissenschaftliche Ehrgeiz?
Amon: Während der Diplomarbeit. Von Nasmyth habe ich gelernt, wie ein guter Wissenschafter ist: Man darf nicht eitel sein. Das Wichtigste für ihn waren die Daten. Wenn sie zeigten, dass man vor zwei Monaten etwas Falsches publiziert hatte, musste man dazu stehen. Da war er radikal.

DER STANDARD: Sie haben für Ihre Forschung großzügige Förderungen bekommen, etwa vom Howard Hughes Medical Institute. Sind Sie ein Glückskind?
Amon: Man bewirbt sich, und die Gremien entscheiden. Ich war in der glücklichen Lage, das zu bekommen. Es gibt ja viele Leute, die das auch verdient hätten. Mit dem Geld finanziere ich teilweise mein Labor mit achtzehn Leuten und mein eigenes Gehalt im Sommer. Denn das MIT zahlt mein Gehalt nur während der Zeit, in der ich unterrichte. Wir reichen auch wissenschaftliche Projekte ein, etwa bei den National Institutes of Health. Im Moment ist es aber recht schwierig - wegen des Irakkriegs ist fast kein Geld da. Viele überlegen sich, wieder nach Europa zurückzugehen.

DER STANDARD: Und Sie?
Amon: Ich überlege es mir immer wieder einmal. Ich fühle mich hier wie in einem goldenen Käfig: Es rennt so gut, alles ist etabliert, ich bin in den USA anerkannt und am MIT hoch geschätzt. Und als Wissenschafterin, als Frau, ist es in Amerika viel besser.

DER STANDARD: Hatten Sie eine schlechte Erfahrung in Wien?
Amon: Mir hat nie jemand ins Gesicht gesagt, dass ich, weil ich eine Frau bin, keine gute Wissenschafterin sein könnte. In Österreich ist die Zahl von Wissenschafterinnen in Führungspositionen zu gering.

DER STANDARD: Die USA waren Vorreiter, um Diskriminierung von Frauen und Schwarzen abzubauen, aber dann gab's doch einen "backlash" dagegen!
Amon: Aber nicht an den Universitäten. Die sind eher linksliberal. Ich bin oft in Bemühungen involviert, neue Fakultätsmitglieder ans MIT zu bringen. Wenn ein Mann und eine Frau gleich qualifiziert sind, wird die Frau genommen. Es liegt aber nicht nur an den Institutionen: In Österreich sind die langen Karenzzeiten ein Problem. Wenn eine Frau eineinhalb Jahre lang weg ist, ist es schwer, den Anschluss wieder zu finden.

DER STANDARD: Wie haben Sie es bei Ihren Kindern gemacht? Amon: Beim ersten Kind war ich acht Wochen in Karenz, beim zweiten vier. Bei unserer älteren Tochter waren wir noch arm. Mein Mann arbeitete von frühmorgens bis zwei Uhr nachmittags an seiner Dissertation und kümmerte sich nachher um das Kind. Ich ging von mittags bis abends ins Labor. Wir bezahlten eine Studentin, die die Kleine über Mittag zwei Stunden betreute. Für unsere zweite Tochter - sie ist knapp zwei Jahre alt - haben wir eine Kinderfrau angestellt. Sie kostet mich fast mein gesamtes Nettogehalt, aber das muss es mir wert sein. (DER STANDARD, Printausgabe 14.03.2007)