Thomas Lipton war gerade elf Jahre alt, als er nach seiner ersten und letzten Gehaltserhöhung fragte. Der Junge aus Glasgow, dessen Name später zum Synonym für Tee werden sollte, arbeitete Anfang der 1860er-Jahre für kurze Zeit in einem Bekleidungskaufhaus, wo er Muster für Hemden ausschnitt. Er verdiente vier Schilling pro Woche, was ihm allerdings zu wenig war. Er forderte einen Zuschlag von 25 Prozent. Die Antwort kam prompt: "Du bekommst so viel, wie du wert bist; dich reitet wohl der Teufel, so schnell nach einer Gehaltserhöhung zu fragen!"

Wie viele seiner Landsleute zu jener Zeit ging er in die USA, weil er sich dort bessere Chancen und mehr Wohlstand erhoffte. Er arbeitete auf einer Tabakfarm in Virginia, auf einer Reisplantage in South-Carolina und bei der Straßenbahn in New Orleans, bevor er schließlich einen Job in einer Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses in New York City bekam. Dort lernte er, wie wichtig Werbung für ein florierendes Geschäft ist. Mit dem ersparten Geld und mit großen Plänen kehrte er schließlich nach Schottland zurück.

1871 eröffnete er in seiner Heimatstadt mit seinem ersparten Geld den ersten Lebensmittelladen. 1880 besaß er davon schon 20 und 1890 300 in ganz Großbritannien. Er kaufte Teeplantagen in Indien, um seine Geschäfte versorgen zu können. Zudem verstand er es, das prä-moderne Marketing virtuos zu zelebrieren. Als 1889 seine erste Teelieferung aus Ceylon in Glasgow landete, ließ er eine Brass-Band und Dudelsackspieler durch die Straßen ziehen. 1898, da war er schon längst mehrfacher Multimillionär, gründete er das weltweite Lipton-Imperium, das sich fortan auf den Handel mit Tee spezialisierte. Im selben Jahr wurde der Sohn aus armen Verhältnissen zum Ritter geschlagen. Ein Jahr bevor die Leidenschaft in sein Leben trat, die ihn bis zu seinem Tod neben seiner obsessiven Liebe zur Arbeit begleiten sollte: der America's Cup.

Die Regatta existiert seit 1851. Im Rahmen der "Prince Albert's Great"-Messe in London hatten die Engländer die US-Amerikaner zu einer Segelregatta herausgefordert. Am 22. August 1851 traf so die englische Aurora-Mannschaft vor der britischen Isle of Wight auf den US-amerikanischen Schoner "America" des "New York Yacht Club" (NYYC). Das amerikanische Schiff gewann das Rennen, das damals noch den Namen "100 Guinea Cup" trug. Nach dem Namen des Sieger-Schiffes bürgerte sich im Laufe der Zeit der Name "America's Cup" ein. Neunmal versuchten die Engländer erfolglos den Pokal zurückzuholen, bis Lipton 1899 auf den Plan trat.

Der galt damals nicht nur als wahnsinnig erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch als engagierter Philanthrop. Durch seine Wohlfahrtsarbeit hatte er sich mit dem Prinz von Wales, dem späteren englischen König Edward VII., angefreundet. Der brachte ihn zum Segeln, das im 19. Jahrhundert noch als sehr elitärer, häufig dem Adel vorbehaltener Sport galt. Schiffe hatten schon auf den jungen Lipton eine ungeheure Faszination ausgeübt. So sagte er einmal, dass er "nie glücklicher war . . . als in der Atmosphäre von Schiffen, Seglern, Booten und von Wasser überhaupt". Allerdings war Lipton kein romantischer Träumer, dem es nur um sportlichen Ruhm ging.

1899, im Alter von 50 Jahren, schickte er mit der "Shamrock I" seine erste Cup-Kampagne ins Rennen – auch weil er sich erhoffte, die Bekanntheit seines Namens und damit seines Unternehmens in den USA zu vergrößern. Zu einer Zeit, als noch niemand von Markenreichweite sprach, war das eine Pioniertat. Lipton ist damit auch der Vater des modernen America's Cup, dessen Faszination große Unternehmen anzieht, die den Cup als lukrative Marketing-Plattform benutzen. Und er ist der Urvater all der hyper-ambitionierten Larry Ellisons und Ernesto Bertarellis, die heute ihre Zeit und Millionen, angetrieben von einem häufig nicht mehr nachvollziehbaren Ehrgeiz, in gewaltige Teams wie BMW Oracle oder Alinghi stecken, die ihnen vor allem eines bringen sollen – eine nicht besonders schöne Silberkanne. "Lipton", so urteilt Laurence Brady in einer neuen, im Mai erscheinenden Biografie des Teemoguls, "führte beispielhaft Werte wie Wettbewerbsfähigkeit, die Fairness eines Sportsmannes, Beharrlichkeit und Führungsvermögen in die globale Geschäftswelt ein."

Allerdings verlor Lipton seine erste Herausforderung mit 0:3 Rennen gegen die "Columbia". Fortan aber war der Mann, der sich nach eigenem Bekunden niemals "in nutzlosem Selbstmitleid" erging, vom Cup-Virus infiziert. Er wollte den Cup unbedingt zurück nach England holen. Es begann seine rastlose Jagd auf den "Heiligen Gral" des Segelns. Eine Jagd, die mehr als 30 Jahre währen sollte. Eine Jagd, die für den erfolgsverwöhnten Lipton auch zum Trauma wurde. Er investierte ein Vermögen und stellte im Namen des Royal Ulster Yacht Club bis 1930 fünf Kampagnen auf die Beine. Allerdings gelang es ihm nicht, den "Auld Mugg", den alten Becher, wie er die Trophäe liebevoll nannte, auch nur einmal zu gewinnen. Damit wurde der Pokal für ihn "das mit Sicherheit am schwersten fassbare Metallstück in der ganzen Welt". 1901, 1903 und 1930 erlitt Lipton klare Niederlagen, nur 1920 gelangen seiner "Shamrock IV" die einzigen beiden Siege. Dennoch musste er sich auch in dieser Regatta 2:4 geschlagen geben. Der Cup blieb in den USA – übrigens noch bis 1983, als ihn erstmals die Australier in ein anderes Land entführten.

Immerhin, Lipton ließ wunderschöne Yachten bauen, die noch heute als schwimmende Hommagen an die Bootsbaukunst bewundert werden. Für seine "Shamrock"-Reihe bekam er eine Menge Komplimente, die er schnoddrig kommentierte: "Die sagen mir, ich hätte schöne Boote. Ich will kein schönes Boot. Was ich will, ist ein Boot, das mir den Cup bringt – wie die ,Reliance'." Gegen das gewaltige US-Schiff hatte er 1903 verloren. Mit einer Länge von 143,8 Fuß und einer Segelfläche von 1500 Quadratmetern war sie die größte Yacht, die jemals im Cup gesegelt wurde. Nur eine Mannschaft von 70 Seglern konnte die "Reliance" bändigen.

"Sir Tea" verzweifelte ganz und gar nicht ob seiner Niederlagen. Einer seiner Leitsätze war: "Verzweifle nie, treibe dich immer wieder an." Er selbst sagte, dass ihm sein hartnäckiges Engagement "Freude, eine gute Gesundheit und ausgezeichnete Freunde" eingebracht hätte. Außerdem habe es ihn "jung, ehrgeizig, heiter und hoffnungsvoll gehalten". Ihm flogen die Sympathien für seine Wettbewerbsfreude zu. Seine Popularität machte ihn zu einem gesellschaftlichen Ereignis, die ihn auf das Cover des Time Magazine und in die Vanity Fair brachte. Nebenbei wurde sein Tee in den USA zu einem großen geschäftlichen Erfolg. Als er im November 1930 dann seine fünfte Kampagne verloren hatte – übrigens gegen Harold Mike Vanderbilt, den späteren dreimaligen Cup-Gewinner und Sprössling aus der schwerreichen Vanderbilt-Familie, die unter anderem als Reeder ein Vermögen gemacht hatte -, erhielt er aus den Händen des New Yorker Bürgermeisters einen speziell für ihn geschaffenen Pokal, den "Gold Loving Cup". Für "den besten und fröhlichsten Verlierer aller Zeiten", wie der Bürgermeister Lipton beschrieb. An jenem Tag stand der Mann mit dem weißen Schnauzbart vor einer riesigen, jubelnden Menschenmenge, etwas beschämt und schüchtern. Und er sagte: "Ja, ich werde es wieder probieren." Dazu kam es allerdings nicht mehr. "Des Königs Kolonialwarenhändler" starb am 2. Oktober 1931 im Alter von 81 Jahren in London, während die Vorbereitungen zu seiner sechsten Kampagne schon angelaufen waren. (Ingo Petz/Der Standard/Rondo/27.4.2007)