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"Gehschule" der Orang-Utans: Womöglich hat sich der aufrechte Gang schon auf den Bäumen entwickelt.

Foto: Getty Images/Paula Bronstein
Britische Forscher beobachteten, dass Orang-Utans gar nicht selten auf zwei Beinen gehen, um so Früchte besser erreichen zu können. Ihre Schlussfolgerung: Der aufrechte Gang könnte sich schon bei auf Bäumen lebenden Menschenaffen entwickelt haben.

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London/Washington - Was macht den Menschen zum Menschen? Als eine exklusive Besonderheiten gilt der aufrechte Gang, der unsere Vorfahren von den affenartigen Verwandten unterschied. Nach der lange Zeit geläufigen (Savannen-)Theorie kam es zur so genannten Bipedie (also dem aufrechten Gang auf zwei Beinen), als sich die gemeinsamen Urahnen der Schimpansen, Gorillas und Menschen vor rund fünf Millionen Jahren aufgrund der damals schwindenden Regenwälder zu einem Leben am Boden wechselten.

In der Folge entwickelte sich nach und nach der affentypische Gang auf den Handknöcheln und schließlich bei den Vorfahren des Menschen die Fortbewegung auf zwei Beinen. Dieses Merkmal war für Wissenschafter deshalb lange Zeit ein Schlüsselkriterium, zwischen Fossilien von Hominiden und denen von Menschenaffen zu unterscheiden.

Heute gehen viele Anthropologen allerdings davon aus, dass die Vormenschen bereits im ursprünglichen Lebensraum Wald an das spätere Leben in der Savanne "vor-angepasst" waren. Konkret vermutet man, das sie bereits in den Wäldern aufrecht gingen und dadurch bereits Zweifüßler waren, als sie sich in die Savannen ausbreiteten. Warum sich diese Vormenschen in den Waldgebieten aufrichteten, ist jedoch noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.

Britische Forscher bereichern diese Debatten nun um neue und zum Teil überraschende Befunde. Primatologen um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham haben auf der Insel Sumatra (Indonesien) ein Jahr lang Orang-Utans untersucht und sich dabei vor allem auf die Bewegungen der ausschließlichen Baumbewohner - Orang-Utan bedeutet auf Malaiisch "Waldmensch"- konzentriert.

Die Analyse von 3000 aufgezeichneten Bewegungen ergab, dass die Affen auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen gehen und sich mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten - oder mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mittleren Zweigen ließen sie sich dagegen öfter hängen, sehr dicke Äste wurden im Vierfüßler-Gang gemeistert.

Bipedie am Baum

Die Schlussfolgerungen der Forscher, veröffentlicht in der neuen Ausgabe des US-Wissenschaftsmagazins Science (Bd. 316, S. 1328): Der aufrechte Gang könnte sich schon bei auf Bäumen lebenden Affenvorfahren entwickelt haben, um so möglicherweise die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Die Tiere seien deshalb ein gutes Beispiel dafür, wie die Vorfahren von Mensch und Menschenaffen vor mehreren Millionen Jahre gelebt haben könnten.

Nicht ganz überrascht von diesen neuen Beobachtungen und Thesen ist der Wiener Paläoanthropologe Bence Viola. Er verweist im Gespräch mit dem Standard darauf, dass kurze Phasen des aufrechten Gangs bereits bei Schimpansen und ihren kleinen Verwandten, den Bonobos, beobachtet worden sind. "Das nun auch für Orang-Utans zu dokumentieren, ist aber tatsächlich neu."

Dass man - wie die britischen Forscher fordern - nicht mehr auf den zweibeinigen Gang zurückgreifen könne, um zu entscheiden, ob es sich um den Vorfahren eines Menschen oder eines Menschenaffen gehandelt hat, hält Viola für legitim. "Das Problem ist viel eher, dass es so wenige Funde gibt. Und wenn, dann sind die Skelettteile so klein, dass sich ohnehin nicht immer sagen lässt, ob ihre früheren Besitzer nun aufrecht gingen oder nicht." (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 1. Juni 2007)