Die rote Basiswahl ist geschlagen. Und das Ergebnis war doch ein überraschendes. Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil erreichte zwar mit 33,68 Prozent die meisten der roten Mitglieder. Allerdings wurde der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler nur knapp dahinter Zweiter (31,5 Prozent). Babler wird daher am Sonderparteitag am 3. Juni in Linz gegen Doskozil antreten – ein roter Showdown.

Hans Peter Doskozil hat die SPÖ-Mitgliederbefragung über Parteivorsitz und kommende Spitzenkandidatur für sich entschieden.
APA

Ob Doskozil am Ende tatsächlich Parteichef wird, ist daher noch keine ausgemachte Sache. Nun sind die Delegierten am Wort. Ein Resümee lässt sich nach der Mitgliederbefragung aber dennoch schon jetzt ziehen. Nämlich in Form von fünf Lehren.

Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil hat zumindest einmal die erste Etappe in Richtung SPÖ-Vorsitz erfolgreich genommen.
Heribert Corn

Mehr Mitglieder
Es braucht die Chance der Mitbestimmung

Das gab es schon lange nicht mehr: Im Zuge der Debatte über die Nummer eins der Sozialdemokratie stürmten Menschen regelrecht die Partei. Rund 9.000 neue Mitglieder haben sich bis zum Stichtag angemeldet.

Dabei strudelte die SPÖ in den vergangenen Jahren mit ihren Beitrittszahlen – und den Daten dazu. Denn genaue Aufzeichnungen gibt es nicht. Rund 150.000 Mitglieder zählt die österreichische Sozialdemokratie. Zuletzt hielten sich die Ein- und Austritte zwar relativ die Waage. Ein großes Problem verursachte allerdings das Alter der Genossinnen und Genossen. Im Schnitt sind diese 65 Jahre alt. Und der natürliche Austritt – sprich, dass diese versterben – brachte in der Mitgliederbilanz am Ende ein Minus.

Dass sich diese Bilanz aufgrund des Votums nun offenbar gedreht hat, zeigt auch, dass die Sozialdemokratie weiterhin attraktiv ist – sofern es die Möglichkeit der Mitbestimmung gibt. Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler legte bereits in der Zeit, als die Befragung noch lief, einen Plan vor, um die Genossinnen und Genossen weiterhin zu binden: etwa dass die Mitglieder in die Erstellung der Programme eingebunden werden sollen, um so Partei und Politik aus den "Hinterzimmern" zu holen.

Das muss nun unter der neuen Parteispitze passieren. Denn für die SPÖ gilt es, die neuen Mitglieder nicht gleich zu frustrieren – auch wenn nicht ihre erste Wahl gewonnen hat. Das Ziel der SPÖ muss sein, die Neuen zu halten oder sogar weitere Interessierte zu begeistern. Um wieder eine starke Mitgliederbewegung zu werden.

Einbahn oder Ausweg? Die SPÖ muss mit der nun präferierten Parteispitze neue Wege in die Zukunft finden.

Feindschaft, Genosse!
Die innerparteilichen Attacken müssen enden

Was eigentlich ein Dreikampf sein sollte, fühlte sich in den vergangenen Wochen szenenweise wie ein isoliertes Duell zwischen Pamela Rendi-Wagner und Burgenlands Hans Peter Doskozil an. Dabei gab sich die amtierende Parteichefin ungewohnt angriffig.

"Es ist eine Krise zwischen der Sozialdemokratie und Hans Peter Doskozil, nicht zwischen mir und ihm. Wir haben hier keinen Ehekrieg", richtete Rendi-Wagner ihrem größten Kritiker aus. "Er ist auf Distanz zur Partei gegangen." Aber nicht nur das. Rendi-Wagner kritisierte, Doskozil würde ein zu vages Verhältnis zur FPÖ pflegen. Als ihr Ex-Vertrauter Christian Kern dann noch in dessen Lager überlief, warf sie dem Altkanzler prompt "Charakterlosigkeit" vor.

Aber auch Doskozil blieb nicht untätig. Im STANDARD-Interview stellte er die Macht von Wiens Stadtchef Michael Ludwig offen infrage – und damit einem wichtigen Unterstützer Rendi-Wagners. Eine anonyme Stimme aus dem Burgenland nahm zudem den Leiter SPÖ-Wahlkommission, Harry Kopietz, ins Visier. Als Urgestein der Wiener Roten traute man Kopietz als Abwickler der Mitgliederbefragung nicht. Als die Basiswahl beendet war, räumte Kopietz aus gesundheitlichen Gründen das Feld.

Im Hintergrund machten Umfragen die Runde, die Doskozil schlechte Werte in der Hauptstadt attestierten. Von alldem blieb Andreas Babler verschont.

Die große Frage, der sich nicht nur der Parteitag im Juni wird stellen müssen, lautet nun: Wie kann aus Feindschaft wieder Freundschaft werden?

Neun Länder, ein Bund
Wiens Macht irritiert nicht nur Eisenstadt

Wer steht wo? Nicht nur Einzelpersonen haben sich im Laufe der wochenlangen Vorsitzstreitereien deklariert. Ganze Länder und Teilorganisationen stellten sich offen auf eine Seite.

Allen voran waren das Wien und das Burgenland. Letzteres – logisch – stand voll und ganz auf der Seite des eigenen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil. In der Bundeshauptstadt fuhr man das Kontrastprogramm. Von Beginn an ließ Bürgermeister Michael Ludwig wissen: Pamela Rendi-Wagner ist Chefin – kein Grund, nicht hinter ihr zu stehen. Doch die Wiener Einheit bröckelte, Bezirksorganisationen mobilisierten für Andreas Babler, der Traiskirchner hatte es den als links geltenden Teilen der Wiener angetan.

Und der Rest? Im Westen des Landes bildete sich eine ganz eigene Achse. Tirol, Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich galten zwar als Doskozil-affin, aber nicht offen deklariert. Sie bildeten die "Westachse", um sich für Inhalte und Erneuerung in der SPÖ starkzumachen. Es sind genau jene Länder, deren SPÖ-Teile in der Opposition verharren. Im Gegensatz dazu: der dritte rote Landeshauptmann, Peter Kaiser aus Kärnten. Wo er stand, ließ er offen, auch wenn er sich lange Zeit im Streit mit dem Burgenland auf die Seite Rendi-Wagners stellte. Und Babler? Der konnte im internen Wettstreit keine ganzen Länder hinter sich versammeln.

Die neue Spitze muss wieder alle Teile einfangen – von Eisenstadt bis Bregenz. Dass Wien zu viel zu sagen habe, stieß nämlich nicht nur dem Burgenland sauer auf.

Rote Linien
Die Basiswahl brachte Themen aufs Tapet

Es hat besser geklappt, als die innerparteilichen Animositäten vermuten ließen: In der SPÖ wurde wieder über Inhalte gesprochen. Und das nicht zu knapp. Durch die rote Basiswahl erhielten Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Andreas Babler so viel Aufmerksamkeit wie selten.

Dabei zeigte sich eines: Rendi-Wagner und ihre zwei Kontrahenten unterscheiden sich oft nur in Detailfragen. Alle drei setzen sich etwa für höhere Gehälter ein. Einen gesetzlichen Mindestlohn von 2000 Euro will aber nur Doskozil. Rendi-Wagner und Babler sehen die Tarifverhandlungen bei der Gewerkschaft gut aufgehoben.

Ähnlich verhält es sich bei Bablers Forderung nach einer gesetzlichen 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Dafür wären Rendi-Wagner und Doskozil zwar zu haben. Die Parteichefin präferiert aber ein anfänglich freiwilliges Modell, Doskozil will zuerst einen Mindestlohn umsetzen.

Beim Dauerbrenner Asyl und Migration trennt Babler und Doskozil wohl am meisten voneinander. Ansonsten ist man sich im Dreikampf aber auch in sehr vielen Dingen einig. Alle fordern eine Vermögenssteuer, eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen in ganz Österreich, die Abschaffung der vieldiskutierten Deutschförderklassen, dass der Schwangerschaftsabbruch gratis und aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird – und nicht zuletzt lehnen Rendi-Wagner, Doskozil und Babler eine Koalition mit der FPÖ ab.

Den Drive, den die SPÖ aufgenommen hat, gilt es nun aufrechtzuerhalten. Inhalte müssen in ein Parteiprogramm einfließen.

Die Nummer zwei
Die Löwelstraße steht vor dem Umbau

Nicht nur die Parteichefin stand in den vergangenen Wochen und Monaten unter Beschuss und in der Kritik. Auch ihr Bundesparteisekretär Christian Deutsch ist umstritten. Der Parteimanager, der sich um die Geschäfte in der Löwelstraße kümmert, ist alles andere als über weite Teile der SPÖ beliebt.

Und darum war es nur klar, dass auch seine Position im Zuge der Mitgliederbefragung und Vorsitzwahl plötzlich zur Debatte stand. Überraschend war jedoch eines: Nicht nur die Herausforderer Hans Peter Doskozil und Andreas Babler hatten ihre eigenen Pläne für die Löwelstraße, auch Pamela Rendi-Wagner kündigte Änderungen an. Wenn auch ihre Pläne die wenigsten Veränderungen bringen. Aber doch: Auch die Parteichefin nahm sich die Kritik zu Herzen und gab bekannt, sollte sie es bleiben, werde Deutsch jemand zur Seite gestellt werden. Genauere Informationen, wer das sein soll und was die Aufgabe dieser Person werden sollte, blieben allerdings aus.

Härter waren die Ansagen von Doskozil und Babler. Kurz gesagt lauteten diese: Deutsch muss weg. Aber auch die beiden Anwärter wollten sich vorab nicht darauf festnageln lassen, wer unter ihnen die Löwelstraße führen würde. Babler kündigte allerdings an, dass die Parteizentrale in die Hände einer Frau kommen sollte.

Klar ist jedenfalls, dass es jetzt eine Nummer zwei braucht, die nicht nur die Nummer eins dabei unterstützen wird, die zerstrittene Partei zu einen – sondern die auch die Parteistrukturen modernisiert und der SPÖ einen zeitgemäßen Schliff verpasst. (Oona Kroisleitner, Jan Michael Marchart, 23.5.2023)