Europäische Bauern protestieren seit Monaten lauthals gegen den Import ukrainischen Getreides.
REUTERS/Ints Kalnins

Dieser Tage sind es nicht nur Panzer und Kampfjets, sondern auch Weizen, Mais und Sonnenblumen, die die europäische Solidarität mit der Ukraine auf die Probe stellen. Seit dem Überfall Russlands darf Getreide frei in die EU importiert werden – zum Missfallen vieler europäischer Landwirtinnen und Landwirte. Sie fühlen sich durch die neue, billige Konkurrenz bedroht.

Am 5. Juni könnten die freien Importe aus der Ukraine nun auslaufen. Dass es tatsächlich so weit kommt, ist aber unwahrscheinlich. Die EU-Handelsminister werden sich am Donnerstag auf eine Verlängerung der Solidaritätsmaßnahme verständigen. Fraglich war bis zuletzt jedoch, unter welchen Bedingungen: Die Politik steht vor einem Balanceakt – zwischen der Solidarität mit der Ukraine und dem Schutz der eigenen Landwirtschaft.

Bessere Geschäfte in der EU

Geeinigt hatte sich die EU auf die Marktöffnung bereits, kurz nachdem Russland im Frühjahr 2022 einmarschierte. Der versperrte Zugang zum Schwarzen Meer habe es notwendig gemacht, die Ukraine beim Handel zu unterstützen, hieß es in einer eilig verfassten Verordnung.

Einen passenden Hebel hatte die EU mit dem laufenden Assoziierungsabkommen parat. Die neue Verordnung verpasste dem Vertrag, der bereits seit 2016 in Kraft ist und laufend ausgeweitet wird, einen Schub: Alle bestehenden Zölle und Beschränkungen fielen. Gleichzeitig richtete die EU-Kommission Solidaritätskorridore ein, um die Blockade im Schwarzen Meer zu umschiffen.

Ukrainisches Getreide, das bislang vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika landete, sollte über europäische Häfen an der Ostsee, Nordsee und der Adria weitertransportiert werden. Die EU stellte dafür Güterwagons, Schiffe und Lkws zur Verfügung. Anders als geplant blieben die Produkte aber häufig in den EU-Staaten. Auf dem europäischen Markt, wo die Preise vergangenes Jahr in Rekordhöhen schossen, konnten Händlerinnen und Händler deutlich mehr Geld verdienen.

Mächtige osteuropäische Bauern

Die Flut an Getreide ließ im Frühjahr zunächst die mächtige polnische Bauernlobby auf die Barrikaden gehen. Die Regierung folgte ihr auf dem Fuß – und sperrte die Importe aus der Ukraine. Ungarn, die Slowakei und Bulgarien schlossen sich der Maßnahme an.

Die EU-Kommission kritisierte die Osteuropäer zwar, kam ihnen letztlich aber entgegen: Importe wurden nur noch für den Transit zugelassen. Die Kommission unterstützte die osteuropäischen Landwirte zudem mit insgesamt 100 Millionen Euro – was wiederum die Westeuropäer stutzig machte.

In einem Brief an die Kommission übten 13 Mitgliedsstaaten Mitte Mai scharfe Kritik – darunter auch Österreich. Die Vereinbarung mit den Osteuropäern sei abgeschlossen worden, "ohne die anderen Staaten zu konsultieren". Doch gerade bei einem Thema, das Russland in die Hände spielen könnte, müsse die EU geschlossen auftreten, so der Tenor.

"Massiv zu spüren"

"Wir müssen alles daransetzen, dass die Getreideexporte der Ukraine dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden: im Nahen Osten und in Afrika", heißt es aus auf Anfrage des STANDARD aus dem Landwirtschaftsministerium. Österreich habe daher den Brief, der von Frankreich initiiert wurde, unterstützt. Die weitere Vorgangsweise müsse "sowohl der Solidarität mit der Ukraine als auch der herausfordernden Situation des Getreidemarkts insbesondere in den Anrainerstaaten Rechnung tragen".

Bloß um die Anrainerstaaten geht es aber schon längst nicht mehr. Auch die österreichische Landwirtschaftskammer (LKÖ) warnte aufgrund der billigen Getreideimporte zuletzt vor "Marktverwerfungen". Man unterstütze Solidaritätsmaßnahmen für die Ukraine, die EU müsse jedoch sicherstellen, dass europäische Bäuerinnen und Bauern keinem unfairen Wettbewerb ausgesetzt seien. "Selbst wenn die Ware nicht physisch in Österreich ankommt, sind die Preisrückgänge schon massiv zu spüren", sagte LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger.

Und die Lösung?

Die EU-Handelsminister werden die freien Importe am Donnerstag aller Voraussicht nach formell verlängern. Österreich wird den Vorschlag der EU-Kommission unterstützen, heißt es auf Anfrage des STANDARD aus dem Wirtschaftsministerium. Die Auswirkungen der ukrainischen Importe müsse man aber "genau beobachten". Am 30. Mai werden die EU-Agrarminister deshalb eine "Bestandsaufnahme der Marktlage" vornehmen.

Die EU-Kommission hat die Verlängerung der freien Importe jedenfalls an eine Reihe von Schutzmaßnahmen geknüpft. Alle zwei Monate wird künftig untersucht, ob die ukrainischen Importe zu Verwerfungen am Agrarmarkt führen. Im Ernstfall kann die Kommission eingreifen und vorübergehend Zölle erlassen. Zudem soll der Transit durch die EU über die Solidaritätskorridore forciert werden. Für die Anrainerstaaten gibt es nun insgesamt 156,3 Millionen Euro Unterstützung.

All diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Situation zu beruhigen. Die Nagelprobe steht aber erst bevor: Im Spätsommer beginnt die Erntesaison. Dann werden Millionen Tonnen an ukrainischem Getreide den Markt fluten. Ob die EU die richtige Balance gefunden hat, wird sich wohl erst zeigen. (Jakob Pflügl, 24.5.2023)