Im Dilemma rund um das Russland-Geschäft hat die Raiffeisenbank International (RBI) nach wie vor keine Lösung gefunden. Einerseits blickt die Bank auf einen Gewinn in Höhe von 3,6 Milliarden Euro zurück, wovon ein beträchtlicher Teil aus Russland kommt, andererseits steht sie für das Engagement im Land des Aggressors schwer in der Kritik. Auch der Druck von Investoren, Bankenaufsicht und US-Sanktionswächtern ist hoch. 

Insiderinformationen zufolge soll die RBI Pläne für eine Abspaltung an ihre Aktionäre vorantreiben. Ein "Spin-off" der Russland-Tochter vom restlichen Geschäft sei gegenüber einem Verkauf die wahrscheinlichere der beiden Ausstiegsoptionen, sagten drei mit der Situation vertraute Personen zur Nachrichtenagentur Reuters. Versuche, einen Käufer zu finden, blieben in den vergangenen Monaten erfolglos. Es würden weiter die beiden Optionen, also ein Verkauf oder ein Spin-off, geprüft, heißt es bei der RBI.

Fest steht: Eine Abspaltung ist – so wie ein Verkauf – kein leichtes Unterfangen. "Es ist kein Spaziergang, es gilt, viele Hürden zu überwinden", sagte Bankchef Johann Strobl vor wenigen Wochen. Neben zahlreichen notwendigen Genehmigungen könnten der RBI auch hohe Kosten einen Strich durch die Rechnung machen. Leichtfertig werde man die Präsenz in Russland jedenfalls nicht aufgeben, fasste es Aufsichtsratschef Erwin Hameseder zusammen.

Russland Raiffeisen
Seit Kriegsbeginn in der Ukraine steht die RBI schwer in der Kritik. Ein Ausstieg gestaltet sich in der Praxis jedoch kompliziert.
APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV

Ein Rubel für die Bank

Abseits der moralischen Komponente ist ein Ausstieg auch geschäftlich eine sehr komplexe Angelegenheit. So hat etwa die russische Regierung eine Hürde eingezogen für all jene, die das Land verlassen wollen. Wer strategisch wichtige Unternehmen wie eine Bank verkauft, muss einen Abschlag von 50 Prozent beim Verkaufspreis akzeptieren. Zudem muss Putin selbst den Deal genehmigen. Das Gros der Experten ist sich einig, dass die RBI bei einem Notverkauf in dem sanktionierten Land nichts bekommen würde. Wahrscheinlichste Variante wäre, dass die Bank für einen Rubel an einen russischen Oligarchen geht – und Putins Russland so in den Genuss einer bestens funktionierenden Bank käme.

Bei der Tochter der französischen Société Générale hat man in etwa gesehen, wie ein Verkauf abläuft. Die Société hat ihre Rosbank an den Kreml-Verbündeten Wladimir Potanin abgetreten, woraufhin die französische Rosbank-Mutter ihre Bilanz um drei Milliarden Euro wertberichtigen musste. Ähnlich könnte es für die RBI laufen. Ein Ausstieg käme teuer, daran zerbrechen würde das Finanzhaus aber nicht. Ohne das Geschäft aus Russland und Belarus lag der Gewinn bei 982 Millionen Euro, das Kernkapital ohne die beiden Töchter liegt bei 14 Prozent – deutlich mehr, als von Bankaufsehern vorgegeben.

Rückendeckung von ÖVP

Rückendeckung erhielt die RBI, die als Hausbank der ÖVP gilt, zu Wochenbeginn erneut von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel sagte er zu den Teilnehmern, die sich versammelt hatten, um neue Russland-Sanktionen zu erörtern, dass Raiffeisen in dieser Frage nicht herausgegriffen werden sollte. Die Bank unterscheide sich nicht von den meisten westlichen Unternehmen, die auch weiterhin dort tätig seien, so der Minister laut einem österreichischen Beamten. Schon früher äußerte sich Schallenberg ähnlich. Weiterhin in Russland aktiv ist etwa die italienische Großbank Unicredit.

Die RBI ist seit 30 Jahren in Russland tätig und heute das wichtigste westliche Institut in dem Land. Die russische Tochter hat, nachdem nach Ausbruch des Ukrainekrieges zahlreiche russische Banken infolge der Sanktionen aus dem internationalen Finanzsystem Swift ausgeschlossen wurden, eine wichtige Rolle im internationalen Zahlungsverkehr für das Land eingenommen. Derzeit fließen jedoch keine Dividenden von Moskau nach Wien. Zudem steht die Bank unter Beobachtung: Im Jänner leitete die US-Sanktionsbehörde OFAC eine Untersuchung gegen Raiffeisen ein. Die Behörde will wissen, wie die Sanktionen umgesetzt werden, und verlangt die Beantwortung einiger Fragen. Die Europäische Zentralbank (EZB) drängt die Bank wiederum, sich gegen die Risiken zu wappnen. Darüber hinaus gab es Kritik aus der Ukraine, die der RBI vorwirft, den Krieg zu finanzieren. All das drückt auf den Aktienkurs. Seit Jahresbeginn haben die RBI-Papiere rund sechs Prozent an Wert verloren.

"Kein Käufer nötig"

"Der Spin-off hat den Vorteil, dass man dem Wunsch des Kapitalmarktes und der Sanktionsinstitutionen nachkommt, sich aus dem Markt zurückzuziehen, ohne einen Käufer finden zu müssen", sagte ein Insider. Doch dafür brauche es die Genehmigung der EZB und der russischen Behörden. Zudem drohe eine Ausstiegssteuer, die das Unterfangen teuer machen könnte. Eine zweite mit der Situation vertraute Person sagt, nach einer Abspaltung könnten die Raiffeisenlandesbanken ihre Anteile an der Gesellschaft verkaufen. "Was einige auch tun wollen, andere nicht." Ein dritter Insider sagte, die Abspaltung sei wahrscheinlicher, weil jeder potenzielle Käufer durch die westlichen Sanktionen abgeschreckt worden sei. Ein Investmentbanker räumte ein, eine Abspaltung wäre auch die einfachste Lösung und würde der Bank Zeit verschaffen.

Die RBI erklärte nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022, sie prüfe alle Optionen für ihre Russland-Tochter. Erst Ende März bei der Jahreshauptversammlung änderte Bankchef Strobl die Kommunikationslinie: Man konzentriere sich nun auf einen Verkauf oder eine Abspaltung, sagte er. Zeitgleich werde das Russland-Geschäft weiter reduziert. Ein konkreter Zeitplan wurde nicht genannt. Im Falle einer Abspaltung könne man nicht vor Ende des dritten Quartals mit Ergebnissen rechnen, erklärte er in einer Telefonkonferenz mit Analysten. Ein Verkauf wiederum würde sich über mindestens ein Quartal ziehen.

Laut RBI-Chef Johann Strobl konzentriert man sich sowohl auf einen Verkauf als auch eine Abspaltung. Aktionäre nehmen ihm das aber nicht unbedingt ab.
Martin Hörmandinger

Zweifel an den Plänen

Aktionäre zweifeln jedenfalls an der Umsetzung. "Beide Optionen (Verkauf und Abspaltung, Anm.) sind kaum realistisch", sagte Florian Beckermann vom Interessenverband der Anleger (IVA). Die RBI werde wohl in Russland bleiben und in Absprache mit der EZB das Geschäft weiter reduzieren, sagte er. Die EZB lehnte eine Stellungnahme ab. Die Pläne der Bank bei einem "Spin-off" sehen vor, dass die Russland-Tochter in eine eigene Gesellschaft eingebracht wird und in Wien oder an einer anderen europäischen Börse gelistet wird. Jeder RBI-Aktionär – knapp 60 Prozent des Kapitals sind im Eigentum der Raiffeisenlandesbanken – würde dann einen entsprechenden Anteil an der neuen Einheit besitzen. Der Schritt müsste auf einer außerordentlichen Hauptversammlung abgesegnet werden. Ein Kapitalmarktexperte aus Wien sagte: "Das wird ein Zockerpapier, eine Wette auf den Kriegsausgang." (Reuters, red, 23.5.2023)