Im Gastblog stellt Anna Mikulics, Studentin der Geowissenschaften, ein Grazer Büro vor, in dem Weltraumforschung betrieben wird.

Die Landschaft gleicht einem Meer aus flüssiger Lava, die Farben reichen von gleißendem Gelb bis zu sattem Dunkelrot. Wellenartig breitet sich Energie auf der Oberfläche aus. Manchmal schießt eine dieser Wellen hoch auf, nur um an einer anderen Stelle wieder abzutauchen. Plötzlich löst sich ein Strahl explosionsartig und wird in die Dunkelheit der Umgebung hinausgeschleudert. Mit rasender Geschwindigkeit bewegen sich die Strahlen durch den Weltraum. Direkt auf die Erde zu.

Solche Aufnahmen der Sonnenstürme behalten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Austrian Space Weather Office jeden Tag im Auge. So außerordentlich diese Bilder sind, so gewöhnlich wirkt das Büro. Der Altbau liegt inmitten von neuen Hochhäusern und lärmenden Baustellen auf den Reininghausgründen in Graz – er trotzt den hochmodernen Gebäuden wie Satelliten Sonnenstürmen.

Rotes Sofa, darüber ein Poster mit Satelliten.
Das Büro des Austrian Space Weather Office ist beschaulich eingerichtet – umso eindrucksvoller sind die Bilder, die man von den Satelliten übermittelt bekommt.
Foto: Anna Mikulics

Obwohl das Büro sowohl von außen als auch von innen im ersten Moment unscheinbar wirkt, wird hier bedeutende Forschung betrieben: In Zukunft könnte sie die Menschheit vor einem langanhaltenden Blackout schützen. "Bei uns geht es um Weltraumwetter, im Speziellen um Sonnenstürme", erklärt Christian Möstl. Der Physiker ist Leiter des Austrian Space Weather Office, das im September 2022 gegründet wurde. Im Fokus der Forschung steht eine spezielle Problemstellung: Wie kann die Prognose von Sonnenstürmen in der Zukunft erfolgen?

Ein Peitschenhieb der Sonne

Ende April traf der größte Sonnensturm seit dem Jahr 2015 auf die Erde – woraufhin Polarlichter in Österreich zu sehen waren. "Im Forum des STANDARD haben sich viele beschwert, dass sie nicht vorgewarnt wurden", erklärt Möstl. Als volksnaher Wissenschafter hat er dort schnell mit Klarnamen aufgeklärt: So einfach funktioniert das nicht. Denn es gibt ein grundlegendes Problem, das die Vorhersage von Sonnenstürmen beschränkt.

Kommentar von Möstl im STANDARD-Forum.
Foto: DER STANDARD

Eine Sonneneruption kommt durch eine kurzfristige Inkonsistenz des Magnetfelds der Sonne zustande. Feldlinien brechen auf, weshalb je nach Event verschiedene Formen von Energie entweichen können. Für den Menschen ist dieser sogenannte koronale Massenauswurf (kurz CME) von größter Bedeutung: Plötzlich werden riesige Mengen von Plasma und Magnetfeldern wie mit einem Peitschenhieb in das Weltall geschleudert.

24 Stunden bis zum Blackout?

Mit der heutigen Technik ist es ein Leichtes, diese zu erkennen. Das Aufbrechen der Feldlinien ist auf den Aufnahmen von Satelliten für geschulte Augen meist deutlich zu sehen. Auch die Richtung, in die sich der Sonnensturm ausbreitet, ist relativ einfach bestimmbar. Wann der CME auf einen gewissen Punkt trifft, ist jedoch schwieriger zu errechnen. Wenn sich das Plasma und die Magnetfelder auf die Erde zubewegen, dann liegt der Zeitpunkt der Ankunft in einem 24-Stunden-Fenster. Genauere Vorhersagen sind heutzutage noch nicht möglich.

Allerdings beschwichtigt Möstl diese Ungenauigkeit: "An der Zeitberechnung arbeitet man schon lange, ungefähr zwanzig Jahre. Deswegen funktioniert das ganz gut." Ein Parameter ist noch schwieriger zu bestimmen: Wird der CME, der mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 400 Kilometer pro Sekunde auf uns zuschießt, tatsächlich mit der Erde interagieren?

Wohin weht der Sonnensturm?

Um diese Frage zu beantworten, werden täglich Dutzende Berechnungen im Austrian Space Weather Office durchgeführt. Die Monitore auf den Schreibtischen thronen wie eine Schutzmauer um die Gesichter der Forschenden: Weniger als ein Meter Bildschirmfläche pro Person scheint unmöglich. Die Daten, die sie darauf sehen, bekommen sie von verschiedenen internationalen Institutionen, die ihre Messungen für die Öffentlichkeit bereitstellen. Die Informationen stammen häufig von Satelliten, die sich rund um die Sonne bewegen. Dazu gehören unter anderem die Solar Orbiter Raumsonde der Esa, die die Sonne in weiten Bögen umkreist, und die Parker Solar Probe der Nasa, die sich dem Stern immer wieder stark annähert.

Manchmal haben die Wissenschafter und Wissenschafterinnen auf der Erde Glück und ein Sonnensturm passiert direkt einen der Satelliten. Mit ihren Messgeräten können sie dann alle Informationen festhalten, die für die Berechnungen wichtig sind: Wie schnell bewegt sich die CME fort? Wohin bewegt sie sich? In welche Richtung sind die Magnetfelder gerichtet? Wenn diese Informationen vorhanden sind, dann ist es einfach, die Stärke und den Zeitpunkt des Sonnensturms vorauszusagen.

Die letzte Frage spielt die entscheidende Rolle: In welche Richtung sind die Magnetfelder des CME gerichtet? Dadurch entscheidet sich, ob der Sonnensturm mit dem irdischen Magnetfeld interagiert oder nicht. Das Feld des CMEs muss nach Süden gerichtet sein, sodass sicht- und spürbare Reaktionen ausgelöst werden können. Wenn die Richtung des Magnetfelds nach Norden zeigt, zieht der Sonnensturm ohne oder mit nur geringen Auswirkungen über uns hinweg.

Forscher Christian Möstl steht vor einem Bildschirm, auf dem eine Landkarte Europas mit wissenschaftlichen Parametern abgebildet ist.
Christian Möstl erklärt, wie man die Auswirkungen von Sonnenstürmen analysieren kann.
Foto: Anna Mikulics

Das fehlende "Etwas"

Neun Wissenschafter und Wissenschafterinnen sitzen im Büro des Austrian Space Weather Office. Nicht alle von ihnen sind tatsächlich Teil des österreichischen Instituts, so ist ein Office-Gast beispielsweise bei der Nasa-Angestellt. Doch fast alle unter ihnen beschäftigen sich mit einer Frage: Ist es möglich, vorab herauszufinden, in welche Richtung die Magnetfelder des CME gerichtet sind?

Mit Modellen, Rechnungen und selbst mit künstlicher Intelligenz wollen sie diesem Problem auf den Grund gehen. Die Bildschirme zeigen nicht nur Zahlen, sondern häufig auch komplizierte Simulationen. Für einen Laien sind diese kaum interpretierbar.

Die Ph.D.-Studierende Hannah Rüdisser fütterte einer künstlichen Intelligenz bereits über 1.000 Bilder und Daten von Sonnenexplosionen. Doch bisher kann auch die KI noch nicht voraussagen, welche Ausrichtung die Magnetfelder haben. Die Forschenden wissen zwar noch nicht, welche Komponenten in den Berechnungen fehlen – doch sie sind motiviert, diese zu finden und damit das wichtige Problem der Richtungsbestimmung zu lösen.

Polarlichter über Hawaii

Die Prognose ist allerdings nicht nur interessant für die Vorhersage von Polarlichtern. Die Nasa schreibt auf ihrer Website: "CMEs können magnetische Stürme auslösen, die sich negativ auf Kommunikationssysteme, Stromnetze und Astronauten im Weltall auswirken." Im Jahr 1859 ereignete sich das sogenannte Carrington-Event. Ein starker Sonnensturm traf auf die Erde und löste nicht nur Polarlichter aus, die bis nach Hawaii zu sehen waren, sondern legte auch das Telegrafensystem lahm. Durch erhöhte Spannung flogen Funken und das Papier in den Geräten setzte sich in Brand.

Seither gab es keinen weiteren CME, der so stark war. Trotzdem sind sich Experten und Expertinnen einig, dass ein Sonnensturm diesen Ausmaßes heutzutage ein großes Blackout herbeiführen könnte. Dabei würden Transformatoren beschädigt werden. Ohne Strom wäre es dann schwierig, diese zu reparieren, zu produzieren oder zu transportieren. "Sonnenstürme sind riesig. Sie treffen nicht nur einen bestimmten Punkt. Wenn ein CME auf die Erde trifft, dann kann das weltweite Auswirkungen haben", erklärt Möstl. In diesem Fall könnte es einige Monate dauern, bis wieder ein funktionierendes Stromnetz vorhanden ist. Manche Prognosen sprechen sogar von Jahren. Das ist ein Szenario, das in unserer hochtechnologisierten Welt kaum vorstellbar ist.

Solche starken Stürme kommen nur selten vor. Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass es sich dabei um ein Jahrhundert-Event handelt – das bedeutet allerdings, dass es bereits überfällig wäre. Möstl beruhigt: Zwar wird die Sonnenaktivität in den nächsten zwei Jahren höchstwahrscheinlich steigen, allerdings ist sie im Allgemeinen momentan eher gering bis mittelstark. Das könnte der Menschheit eine Verlängerung der Verschnaufpause schaffen, in der wir die Forschung vorantreiben müssen. "Trotzdem wären alle möglichen Stromnetzbetreiber sicher sehr interessiert", sagt Möstl über eine mögliche Prognose in der Zukunft. Schon eine Vorwarnung, die nur wenige Stunden vor Ankunft des CME ausgesprochen wird, könnte die Gefahr eines dauerhaften Blackouts verringern. Was die Betreiber tun könnten, um einen solchen zu verhindern, ist noch nicht endgültig geklärt. Doch eine Möglichkeit könnte das Abschalten der Transformatoren darstellen, um durch einen kurzfristigen Stromausfall einen langen zu vermeiden.

Spagat zwischen Forschung und Anwendung

Diese Tatsache ist unter anderem der Grund, warum sich Möstl für seinen Job begeistert. Die Erkenntnisse, die sie in den nächsten Jahren gewinnen werden, können einen wichtigen Einfluss haben. "Wir sind die Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung", erzählt Tanja Amerstorfer, die stellvertretende Leiterin des Büros, mit strahlenden Augen. Möstl stimmt ihr zu: Nur wenige Wissenschafter und Wissenschafterinnen wagen diesen Spagat – das ist etwas Besonderes.

Für diesen, aber auch einen weiteren seltenen Ansatz wurden dem Office Forschungsgelder in Millionenhöhe von der EU und dem österreichischen FWF zugestanden. Im Gegensatz zur Nasa oder Esa arbeitet das österreichische Pendant nämlich nicht mit detailreichen Simulationen zur Vorhersage. Diese sehen zumeist beeindruckend aus – benötigen allerdings Stunden oder Tage, um berechnet und erstellt zu werden.

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Austrian Space Weather Office sind überzeugt davon, dass auch einfache Simulationen das Problem lösen können. Der geringere Aufwand verringert die Berechnungszeit und erhöht die Effizienz. Mit dieser Methode wollen Christian Möstl und seine Mitarbeiter letztlich herausfinden, wie man Sonnenstürme sicher prognostizieren kann und damit Blackouts vermeidet. Auf diese Weise könnte dem Austrian Space Weather Office womöglich bald die genaue Vorhersage eines Sonnensturms gelingen – eine Entdeckung, die unsere Welt ein wenig sicherer gegen Gefahren aus dem All machen würde. (Anna Mikulics, 25.5.2023)