Im Gastblog erklärt Anwalt Helmut Graupner, warum die neuen Maßnahmen gegen Kinderpornografie einen Rückschritt bedeuten.

2011 hat die EU nach einem Aufruf der deutschsprachigen sexualwissenschaftlichen Vereinigungen und der European Federation of Sexology die EU-Kinderpornografie-Gesetzgebung (die als "Kinder" alle Menschen bis 18 erfasst) repariert und Ausnahmen für einverständlichen Austausch intimer Bilder zwischen sexuell mündigen Menschen zugelassen, wenn die Bilder keiner einzigen dritten Person zugänglich gemacht werden.2015 haben Österreich2 (nach einem Aufruf der österreichischen Kinderschutzorganisationen) und Deutschland3 dies umgesetzt. Seitdem ist "Sexting" zwischen sexuell Mündigen (also über 14-Jährigen) nicht mehr kriminell. 2023 will die Justizministerin Alma Zadić (Grüne) das wieder rückgängig machen und die Ausnahme auf maximal fünf Jahre Altersunterschied beschränken.

Die von der Ministerin geplante Gesetzesänderung bindet Kapazitäten von Kriminalpolizei und Justiz, aber nicht zum richtigen Zweck.
APA/EVA MANHART

Künftig wird also mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, wenn ein Paar aus einer 23-jährigen und einer 17-jährigen Person, die völlig legal miteinander Sex haben dürfen (und die wahlberechtigt sowie, wenn männlich, wehrpflichtig sind), einander beim Sex (oder auch nur nackt mit erigiertem Glied oder in sexualbetonten Posen) fotografieren oder filmen (und die Aufnahmen niemandem anderen zeigen oder weitergeben). Bis zu drei Jahre sind es beispielsweise für eine 24-jährige Person, der eine 18-jährige Person Intimfotos schickt (etwa beim Internetdating), die aufgenommen wurden, als diese noch 17 war.

Diese "Delikte" können Grundlage einer potenziell lebenslangen Einweisung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum (früher: Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) sein (§ 21 StGB). Die 14- bis 18-jährigen Jugendlichen sollen zwar nicht strafbar werden, sondern "nur" ihre Partner und Partnerinnen. Das war bei § 209 StGB, dem berüchtigten Sondermindestalter von 18 Jahren für schwule Kontakte, jedoch auch so und hat den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) nicht davon abgehalten, eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nicht nur des strafbaren Partners, sondern auch der jugendlichen Partner zu erkennen (S.L. gg A 2003).

"Außerhalb der normalen Entdeckung von Sexualität"

Die Justizministerin begründet die Rückkehr zur Kriminalisierung damit, dass solcher Austausch von Intimbildern zwischen einverständigen Partnern, die legal miteinander Sex haben dürfen, außerhalb "der normalen Entdeckung von Sexualität" liege und daher "Kindesmissbrauchsmaterial" darstelle. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht mündiger Jugendlicher (vgl. EGMR: S.L. v Austria 2003 par. 9f, 49, 52) bleibt unbeachtet. Jugendliche werden wie unmündige Kinder behandelt und das Strafrecht wieder zum Sittenkodex.

Das Weiterverbreiten von Intimbildern über 18-Jähriger ohne deren Einverständnis, etwa aus Rache ("Revenge Porn") oder aus kommerziellen Gründen, ist übrigens als solches straflos.4 Daran ändert Zadićs Entwurf nichts. Was bei der Schaffung von Gesetzen auch stets mitbedacht werden sollte: Was macht der Vollzug daraus? Die österreichische Strafjustiz hat traditionellerweise ein schwieriges Verhältnis zum Recht Jugendlicher auf sexuelle Selbstbestimmung. Und zwar nicht nur bei homosexuellen Kontakten. Den berüchtigten § 209 StGB vollzogen die Strafgerichte – bis auf das Oberlandesgericht Innsbruck und einen einzigen erstinstanzlichen Wiener Richter – zwischen unkritischer Pflichterfüllung und Freude. Sondern auch ganz allgemein seit langem.

Viermal Sex als schwere Schuld

Das strafrechtliche Mindestalter für einvernehmliche sexuelle Kontakte (außerhalb von Autoritätsverhältnissen) liegt seit 1803 bei 14 Jahren. 1998 stellte der Gesetzgeber einverständliche sexuelle Kontakte mit zwölf- beziehungsweise 13-jährigen Jugendlichen bei geringem Altersunterschied (drei Jahre bei Penetrationen, vier Jahre bei anderen Sexualkontakten) straffrei. Der Justizausschuss des Nationalrats hielt damals ausdrücklich fest: "Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit erforderliche Normierung fixer Altersgrenzen zu Härtefallen führen kann, etwa auch dann, wenn das Geschehen knapp außerhalb des altersmäßig bestimmten Toleranzbereiches liegt. Bei der Rechtsanwendung sollte daher darauf Bedacht genommen werden, dass das Strafrecht (auch außerhalb der im Gesetz festgelegten Toleranzgrenzen) in geschlechtliche Beziehungen Jugendlicher nur mit der gebotenen Zurückhaltung eingreifen soll. Dem wird durch einen sachgerechten Gebrauch der im Jugendstrafrecht und im Bereich der Strafzumessung zur Verfügung stehenden flexiblen Instrumentarien Rechnung zu tragen sein." (1359 d. B. XX. GP, 16.07.1998).

Dennoch bestätigte beispielsweise der Oberste Gerichtshof (OGH) die Verurteilung eines unbescholtenen 17-Jährigen zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von zwei Monaten (OGH 11.10.2001, 13 Os 111/00). Sein Verbrechen: Er hatte viermal mit seiner 13-jährigen Freundin geschlafen. Der OGH sah eine "ungewöhnliche und auffallende" Schuld, weil der Bursch mit seiner Freundin nicht nur einmal, sondern viermal geschlafen hatte. Eine Diversion (etwa Verfahrenseinstellung gegen Probezeit) sei daher ausgeschlossen. Ebenso eine bloße Ermahnung (§ 6 JGG). Auch ein Schuldspruch ohne Strafe (§ 12 JGG) oder unter Vorbehalt der Strafe (§ 13 JGG) komme nicht infrage, so der OGH. Selbst eine Geldstrafe schied aus. Es musste, wegen der "schweren Schuld", eine Freiheitsstrafe sein (weitere Beispiele hier).

Paradies für Erpresser

Mit einer Verurteilung als Sexualstraftäter ist die Aufnahme in die Sexualstraftäterdatei verbunden. Bei jedem Wohnungswechsel wird die Sicherheitsbehörde des neuen Wohnorts verständigt, dass nunmehr ein Sexualverbrecher ("Kinderschänder") zuzieht. Seit 2009 ist zudem die Tilgungsfrist für Sexualstraftaten doppelt so lang wie für nichtsexuelle (Gewalt-)Delikte und beträgt bei Jugendlichen zehn Jahre (§ 3 Abs. 1 Z. 2, § 4a Abs. 1 TilgungsG), bei über 18-Jährigen bis zu 30 Jahre (§ 3 Abs. 1 Z. 2, § 4a Abs. 1 TilgungsG).

Angesichts dieses Hintergrunds stelle man sich das Erpressungspotenzial der nunmehrigen Wiederkriminalisierung vor: Eine 17-jährige und eine 24-jährige Person haben eine Beziehung oder ein Verhältnis oder einen One-Night-Stand. Die 17-jährige braucht nur der 24-jährigen Person ein Bild von sich unterschieben und behaupten, sie hätten das ausgetauscht im Rahmen ihrer einvernehmlichen erotischen Begegnungen. Oder eine über 18-jährige Person, die Bilder von sich selbst unterschiebt, als sie 17 war. Die Abgebildeten machen sich durch die Weitergabe ja nicht strafbar, aber ihre Partnerinnen und Partner durch das (behauptete) Annehmen. Und wie soll man sich freibeweisen können? Ein Paradies für Erpressungen.

Kinderpornografie ohne Kinder

Nach der Anhebung der Altersgrenze für Kinderpornografie von 14 auf 18 kam es zu dem befürchteten paradoxen Effekt. Nicht die verbrecherische wirkliche Kinderpornografie wurde besser verfolgt, sondern vielmehr deren Bekämpfung durch die Überlastung der Strafverfolgung mit Jugendpornografie (der Darstellung nicht von Sexualverbrechen, sondern von legalen Handlungen, die grundsätzlich zu tun grundrechtlich verbürgt ist, oder auch nur von nackten mündigen Menschen). Heute betrifft die Hälfte der Anzeigen Minderjährige, also unter 18-Jährige. Sogar unter 14-Jährige werden öfter angezeigt als Täter über 40 Jahren (obwohl es rund viermal mehr über 40-Jährige gibt als unter 14-Jährige). Jetzt soll die Verfolgung einverständlicher Handlungen mündiger Menschen noch weiter verschärft werden. Diese Verschärfungen haben weder etwas mit Kindern zu tun noch mit Pornografie. Aber sie binden die Kapazitäten von Kriminalpolizei und Justiz. Die Produzenten tatsächlicher Abbildungen von Kindesmissbrauch können sich die Hände reiben. (Helmut Graupner, 24.5.2023)