Sophie Karmasin, Landesgericht, Urteil, Freispruch, tätige Reue
Eine Verurteilung und ein Freispruch: Das ist das vorläufige Ergebnis des Strafprozesses gegen Sophie Karmasin. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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"Das war eindeutig Betrug mit Vorsatz", erklärte der Richter am Dienstag im Prozess gegen die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP). Und trotzdem wurde sie vom Vorwurf, ihr Ministerinnengehalt nach ihrem Ausstieg aus der Politik verbotenerweise weiterbezogen zu haben, freigesprochen. Nicht so beim Vorwurf der illegalen Absprache bei Studienaufträgen: Da verurteilte das Gericht Karmasin zu 15 Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig.

Die Ex-Ministerin wurde am Dienstag zu 15 Monaten bedingt verurteilt
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Eigentlich habe Karmasin mit voller Absicht Betrug begangen, sagte der Richter bei der Verkündung des Urteils. "Der Betrug und der Vorsatz sind so eindeutig, wie wir es hier selten haben." Die Ex-Ministerin habe das Geld aber rechtzeitig zurückgezahlt, weil sie über eine Medienanfrage mit Ungereimtheiten bei der Entgeltfortzahlung konfrontiert wurde – noch bevor die Behörden Wind davon bekommen haben. Es liege deshalb ein Fall von "tätiger Reue" vor, der die Strafbarkeit aufhebt.

Freiwillig und rechtzeitig?

Geregelt ist "tätige Reue" in Paragraf 167 des Strafgesetzbuches (StGB). Sie kommt bei praktisch allen Vermögensdelikten infrage – etwa bei Diebstahl, Veruntreuung oder bei Betrug. Die Täterin oder der Täter bleibt demnach straflos, wenn sie oder er den gesamten Schaden, der durch das Delikt verursacht wurde, wiedergutmacht. Allerdings sind die Voraussetzungen dafür streng: Tätige Reue kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter freiwillig handelt und – vor allem – rechtzeitig.

Im Fall von Karmasin war Letzteres entscheidend. Laut Gesetz müssen Täterinnen "tätige Reue" üben, noch bevor die Behörden von dem Delikt "erfahren". Karmasin wurde laut dem Gericht aber bereits zuvor von der "ZiB 2" zu dem Thema befragt und konnte das Geld zurückzahlen. Auch die Freiwilligkeit war gegeben, weil die Rechtsprechung diesen Begriff großzügig auslegt, erklärt Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Selbst wenn klar ist, dass die Sache über Medien öffentlich wird, ist "tätige Reue" nicht von vornherein ausgeschlossen. Berichte können also dazu führen, dass Täterinnen und Täter die Möglichkeit haben, eine Verurteilung abzuwehren. Wollen Journalistinnen und Journalisten nicht für einen Freispruch "verantwortlich" sein, müssten sie Anzeige erstatten, bevor sie eine Anfrage an Betroffene stellen.

Letztes Wort nicht gesprochen

Deutlich wurde diese Problematik zuletzt auch im Fall André Heller. Laut einer Recherche der Wochenzeitung "Falter" von vergangenem Herbst soll Heller einen Rahmen aus Besenstielen und Nägeln gebastelt und als Werk des US-Künstlers Jean-Michel Basquiat verkauft haben. Nach einer Anfrage des "Falter" hatte Heller ausreichend Zeit, den Rahmen zurückzukaufen. Ob Heller tatsächlich in den Genuss von "tätiger Reue" kommt, ist aber offen. Die Ermittlungen laufen, für Heller gilt die Unschuldsvermutung.

Auch im Fall Karmasin ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hatte in ihrer Anklage eine "tätige Reue" ausgeschlossen, weil sie den Sachverhalt anders beurteilte. Entscheidend sind dabei die zeitlichen Abläufe: Wann genau hat die Staatsanwaltschaft von den Vorwürfen erfahren? Und wann hat die Täterin den Schaden wiedergutgemacht? Fraglich war im aktuellen Fall auch, ob die Behörden schon dann offiziell von dem Vorwurf erfahren haben, wenn ein Staatsanwalt den TV-Beitrag gesehen hat. Die Staatsanwaltschaft hat nun drei Tage Zeit, gegen das Urteil zu berufen. Dass es bislang wenig Rechtsprechung zum Thema gibt, spricht aus Sicht der Staatsanwaltschaft wohl dafür, die Frage einer weiteren Instanz vorzulegen.

Österreichische Besonderheit

Die weitreichende "tätige Reue", wie sie im Strafgesetzbuch verankert ist, gilt übrigens als österreichische Besonderheit und besteht in abgewandelter Form seit Anfang des 19. Jahrhunderts. In den meisten westeuropäischen Staaten gibt es diese Möglichkeit nicht – auch nicht in Deutschland. Ausnahmen sind Griechenland und Liechtenstein, das aus historischen Gründen ein ähnliches Strafgesetzbuch wie Österreich nutzt.

Robert Kert kann der Regelung dennoch einiges abgewinnen. "Tätige Reue ist ja kein Privileg von Reichen oder Politikern", sagt der Strafrechtler. Das Instrument habe große kriminalpolitische Bedeutung, weil der Staat dabei den Opferschutz vor die Bestrafung des Täters stelle. Schließlich gibt "tätige Reue" dem Opfer die Möglichkeit, den Schaden rasch ersetzt zu bekommen. Dass "tätige Reue" bei Anfragen von Journalistinnen und Journalisten ausgeschlossen werden sollte, lehnt Kert ab. "Wegen solcher Fälle sollte man nicht das Instrument an sich infrage stellen." (Jakob Pflügl, 24.5.2023)