Der Frühsommer war in den vergangenen Jahren für Frauen in Österreich eine gefährliche Zeit. Eine Untersuchung des Instituts für Konfliktforschung über die Morde an Frauen zwischen 2010 und 2020 hat gezeigt, dass es im Mai regelmäßig einen Anstieg an Frauenmorden gab. Heuer ist es anders. Mit einem Femizid in diesem Monat gibt es zumindest keinen Anstieg. Ein positiver Trend? Oder nur Zufall? Das lässt sich wie so oft beim Thema Gewalt gegen Frauen nicht sagen.

Diese Unwissenheit ist ein zentrales Problem in der Prävention von Femiziden und Gewalt gegen Frauen, kritisieren Fachleute und Gewaltschutzexpertinnen. So fehlen etwa behördliche Informationen darüber, wie viele Frauen jährlich Opfer von Gewaltbeziehungen werden, moniert die Kriminologin Isabel Haider von der Universität Wien immer wieder.

Frage der Definition

Zahlen zu Femiziden oder schwerer Gewalt, die Frauen überlebt haben, trägt der Verein Autonome Österreichischer Frauenhäuser (AÖF) anhand von Medienbeobachtungen zusammen. Der Verein folgt dabei einer bestimmten Definition von Femiziden. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Gemeint ist damit meist, dass es eine Tötung aufgrund des Geschlechts ist und (Ex-)Partner, Bekannte oder Familienmitglieder die Täter sind. Demnach wurden heuer zehn Frauen Opfer von mutmaßlichen Femiziden, 16 Frauen haben schwere Gewalt gegen sie überlebt.

Der AÖF nimmt Fälle aus, wenn es eine Täterin gibt oder wenn Opfer und Täter einander unbekannt waren. Andere Vorschläge, Femizid zu definieren, merken aber an, dass auch Tötungen durch eine Frau frauenfeindliche Komponenten haben können und dass es bereits Amokläufe mit misogyner Motivlage gab. Ein Forschungsprojekt des Europäischen Instituts für Gendergleichheit (EIGE) sieht sich derzeit die unterschiedlichen Zugänge zu diesem Begriff an. Einig ist man sich darin, dass es um systematische Gewalt geht. Für Vergleiche mit anderen Ländern und genaue Analysen reicht das aber nicht.

Auch Michaela Gosch, Leiterin des Vereins Frauenhäuser Steiermark, vermisst transparente und einheitliche Daten zu Femiziden. Und was völlig fehle, seien Untersuchungen von nicht vollendeten Femiziden. "Der Großteil der Frauen, die schwere Gewalt erlebt haben oder Opfer eines Femizides wurden, hat sich zuvor nicht an ein Gewaltschutzzentrum gewandt oder sonst Hilfe beansprucht – wir müssen verstehen, warum", sagt Gosch.

Wie können Frauen, die oft jahrelang Gewalt erleben, dazu ermutigt werden, sich Hilfe zu holen? Untersuchungen zu Überlebenden von Gewalt könnten zur Beantwortung dieser Frage viel beitragen.
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Frauen, die schwere Gewalt erlebt haben, könnten Wesentliches über Gewaltdynamiken erzählen. Und vor allem darüber, warum sie sich – mitunter jahrelang – nicht an eine Hilfseinrichtung gewandt haben. "Wir müssen mehr darüber erfahren, wie die Informationsvermittlung aussehen muss, damit Frauen wissen, dass sie Schutz und Hilfe bekommen", sagt Gosch. Das Institut für Konfliktforschung weist ebenfalls darauf hin, dass die Möglichkeiten des Gewaltschutzes zu wenig bekannt seien.

Auch Hilfe durch die Polizei suchen sich Betroffene nur selten. Bei einer hohen Femizidrate von 27 im Jahr 2021 hat es nur in einem Fall zuvor Kontakt zu den Behörden gegeben. Ein Mangel an Vertrauen? "Jeder zur Anzeige gebrachte Sachverhalt wird ernst genommen", versichert das Innenministerium auf Nachfrage des STANDARD. Das Ministerium verweist auch auf Maßnahmen zur Sensibilisierung, etwa anhand eines E-Learning-Moduls, das alle Polizistinnen und Polizisten absolvieren mussten.

Was bringt was?

Seit dem Gewaltschutzgipfel Ende 2022 war von Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) wenig zu ihrem selbst definierten Schwerpunktthema zu hören. Das Ministerium verweist auf das "historisch hohe Frauenbudget" von 24,3 Millionen Euro. Somit seien auch die Gewaltschutzzentren in den Bundesländern finanziell gestärkt worden.

Eines gilt seit langem als gesichertes Wissen: Trennungsphasen, egal zu welcher Jahreszeit, sind eine besonders gefährliche Zeit. Dann ist Aufmerksamkeit und Hilfe wichtig. Auch dem jüngsten Femizid Anfang Mai in der Steiermark ging eine Trennung voraus. Tatverdächtig ist der Ex-Partner der Getöteten. (Beate Hausbichler, 25.5.2023)