"Das Geschäft in der Singerstraße im ersten Bezirk wurde 1962 aufgesperrt. Und zwar von der Großmutter meines Mannes, die Miedermacherin war. Zuvor führte sie ein noch kleineres Geschäft um die Ecke, und noch früher, nach dem Krieg, arbeitete sie zu Hause, in der Wohnung am Franziskanerplatz. Hier im Geschäft waren vor 1962 die Zuschneidetische und Nähmaschinen untergebracht. Man muss sich das vorstellen, auf diesen 40 Quadratmetern wuselten zehn Mädchen herum und haben in Maßarbeit gefertigt. Maß genommen wurde ebenfalls an diesem Ort. Auch beide Töchter der Oma haben hier Miedermacherin gelernt und das Unternehmen mit ihrer Mutter geführt.

Innenstadt, Wäsche, Handel
Alexandra Reiser und ihr Geschäft, das gleich um die Ecke des Stephansdoms liegt.
Michael Hausenblas

Die Fertigware kam erst viel später, allerdings schon lang vor meiner Zeit. Ich bin vor 23 Jahren dazugekommen. Mein Schwiegervater hat damals gemeint, schau dir das doch an, reden kannst ja auch, also bin ich anfangs für ein paar Stunden pro Woche eingestiegen. Und irgendwann habe ich das Geschäft übernommen. Ich fertige keine Mieder mehr an, allerdings repariere ich sie und nehme Änderungen vor. Im Sortiment finden sich allerlei Unterwäsche, Nachtwäsche und Bademoden, eher größere Größen, aber nicht ausschließlich. Ich lege außerdem großen Wert darauf, dass die Textilien aus Europa stammen.

Es ist schon richtig, dass manche Leute mit dem Begriff Corsettiere gar nichts mehr anfangen können. Manche sagen ja auch Torselett oder Corsage zu dieser Art von Ware. Im Prinzip geht es immer ums Gleiche, um ein Kleidungsstück, das die Taille einfasst und formt.

In letzter Zeit hatte das Korsett ein bisserl ein Comeback, auch wegen der Sisi-Filme. Wie soll ich sagen? Manche Damen wollen eine Corsage, tragen sie dann aber nicht. Also, der Renner ist dieses Teil nicht mehr. In Frankreich ist das anders. Mir ist bei uns außerdem niemand bekannt, der so etwas noch selbst anfertigt. Angeblich interessiert man sich jetzt auch auf Modeschulen wieder verstärkt für diesen Typus. Wir verkaufen Stücke aus diesem Bereich in erster Linie während der Ballsaison und wenn es um Hochzeitsmode geht. Für viele dient die Corsage heute eher als eine Art Schmuckstück. Die Entwicklung ist sicher der Tatsache geschuldet, dass die Mode generell um einiges legerer geworden ist.

Betreuungsintensiv

Was meine Arbeit betrifft, macht mir der Kontakt mit der Kundschaft am meisten Freude. Ich brauche Menschen um mich. Und am liebsten nicht immer die gleichen. Bei mir geht viel Stammkundschaft ein und aus. Drei Damen kommen extra aus Deutschland zum Einkaufen zu mir. Ich denke, das liegt an meiner Betreuung. Ich nehme mir viel Zeit. Es kann schon vorkommen, dass ich zehn Minuten mit einer Dame in der Kabine stehe und danach noch 40 Minuten geplaudert wird. Man kennt sich halt, und manche der Damen benötigen ein wenig Ansprache.

Auf die Nerven geht mir, wenn jemand glaubt, etwas besser zu wissen, oder mich von oben herab behandelt. Wahnsinnig macht es mich auch, wenn jemand seinen Partner mitbringt, der dann sagt, das ist nicht schön und nicht sexy … Wenn's mir zu viel wird, höre ich halt nicht mehr hin und atme tief durch.

Innenstadt, Wäsche, Handel
Das Geschäft wurde ursprünglich von der Großmutter des Ehemanns von Alexandra Reiser gegründet.
Michael Hausenblas

Generell hat sich verändert, dass die Kundschaft immer mehr will, immer was Neues. Man könnte auch sagen, teilweise verlangen die Leute mehr für weniger Geld. Das Konsumverhalten hat sich schon verändert.

Ich verkaufe alles aus meinem Sortiment gerne. Auch wenn es eigenartig klingt, mein erster Blick fällt auf die Brust einer Dame. In dem Moment hab ich schon einen Überblick, der mir in Sachen Konfektions- und Körbchengröße weiterhilft. Wenn dann das erste Stück passt und die Dame ein Lächeln im Gesicht hat, dann ist das mein Erfolgserlebnis, egal um welche Art von Wäsche es sich handelt. Wobei die Nachtwäsche am wenigsten Herausforderung für mich darstellt.

Ob früher alles besser war? Es war anders. Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage bräuchte ich jetzt die Tante, die lange mit mir im Geschäft gearbeitet hat. Die hat immer gesagt, ich hab die Nerven für deine Kundschaft nicht mehr, und du hältst meine nicht aus. Ich habe zwei Kundinnen von ihr übernommen, die weit über 90 sind. Wie soll ich sagen? Geduldig musste man immer sein. Und noch etwas, die ältere Kundschaft ist dankbarer. Da kommt es schon vor, dass mir eine Blumen oder Schokolade vorbeibringt." (Michael Hausenblas, 24.5.2023)