In den sozialdemokratischen Lagern glühen schon die Taschenrechner. Seit feststeht, dass über den künftigen SPÖ-Vorsitz nicht in einer Stichwahl der Mitglieder, sondern auf dem Parteitag entschieden wird, ist die Zahl 609 ins Zentrum der roten Aufmerksamkeit gerückt. So viele Delegierte sind für Samstag, den 3. Juni, zum Bundesparteitag nach Linz eingeladen, um den Nachfolger von Pamela Rendi-Wagner an die SPÖ-Spitze zu wählen.

Zwar ist formal nicht ausgeschlossen, dass sich am Parteitag noch neue Kandidatinnen oder Kandidaten melden. Den entscheidenden Zweikampf um die Delegierten werden sich aber jedenfalls Hans Peter Doskozil und Andreas Babler liefern, die bei der Mitgliederbefragung in der Gunst der roten Basis mit 33,7 und 31,5 Prozent knapp beisammenlagen. Hier haben aber mehr als 107.000 Mitglieder den Fragebogen abgegeben, in Linz gibt es nur noch 609 Personen, die mitstimmen können.

Am Parteitag wird der Sieger eine absolute Mehrheit brauchen. Doch woher kommen die Stimmberechtigten, die nun für die Letztentscheidung zuständig sein werden – und zu welchem Kandidaten tendieren sie?

Die Antwort auf die erste Frage wäre eigentlich nicht so schwierig, wenn die Bundes-SPÖ die Verteilung der Delegierten auf die Bundesländer herausrücken würde. "Natürlich wissen wir es", schreibt ein SPÖ-Sprecher dem STANDARD auf Anfrage. Bloß: Die Bundespartei will ihr Wissen nicht mit der Öffentlichkeit teilen. Jede der neun SPÖ-Landesorganisationen möge laut dem Sprecher für sich entscheiden, ob sie ihre Zahlen bekanntgeben will oder nicht.

SPÖ-Bundesparteitag 2021
Der letzte ordentliche SPÖ-Bundesparteitag wurde am 26. Juni 2021 in Wien abgehalten. Diesmal kommt es beim außerordentlichen Bundesparteitag am 3. Juni in Linz zum Showdown zwischen Hans Peter Doskozil und Andreas Babler. 609 Delegierte sind stimmberechtigt.
APA / Michael Gruber

Viel Geheimniskrämerei

Die meisten Landesorganisationen liefern auf Anfrage zwar durchaus Zahlen. Deren Vergleich ist aber mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, weil die Rechenmethode das Ergebnis prägt und – damit es kompliziert bleibt – nicht alle ihre Methode offenlegen wollen. Um das zu verstehen, muss man in das umfangreiche SPÖ-Parteistatut eintauchen, in dem präzise aufgelistet wird, welchen Parteigruppen und Unterorganisationen Delegierte zustehen und nach welchem Schlüssel diese aufgeteilt werden.

Die größte Gruppe bilden 350 Delegierte, die von den Bezirksorganisationen entsendet werden. Jedem der 114 Bezirke in Österreich steht mindestens ein Vertreter zu, die restlichen 236 werden nach der Mitgliederzahl der Bezirke verteilt. Zudem werden 30 Personen direkt von den Landesorganisationen entsendet, auch hier entsprechend der Mitgliederzahl.

Da die Bundes-SPÖ auch bei den jeweiligen Mitgliederzahlen mit präzisen Informationen geizt, kann man die Verteilung von außen nur grob kalkulieren und die Schätzungen mit den Auskünften der Länder abgleichen, um zu ermitteln, woher wie viele Delegierte tatsächlich stammen. Daraus ergibt sich für den STANDARD folgendes Bild (siehe Grafik): Von den 380 Personen, die auf Basis der geografischen Zuordnung nominiert werden, stammen jeweils knapp ein Viertel aus Wien und Niederösterreich. Das drittstärkste Bundesland am Parteitag ist mit rund 64 Delegierten Oberösterreich, danach kommen die Steirer. Deutlich weniger Personen werden aus dem von Doskozil regierten Burgenland geschickt, das ähnlich stark sein dürfte wie Kärnten. Die wenigsten Roten müssen aus Vorarlberg zum Parteitag nach Linz anreisen.

Grafik: Der Standard

Ginge man davon aus, dass sich die Delegierten in ihrem Stimmverhalten an der Präferenz der jeweiligen Landesparteispitze orientieren, hätte Doskozil gute Karten. Die Landeschefs von Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und Salzburg haben sich schon (mehr oder weniger klar) für Doskozil ausgesprochen, auch Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer gilt als Doskozil-affin. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser hat sich zwar nicht offen deklariert: In den Parteigremien am Dienstag hat Kaiser aber klar gegen die von Babler gewünschte Stichwahl durch die rote Basis plädiert – und damit auch gegen Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Stellung bezogen.

Offen für Babler hat sich nur die Vorarlberger SPÖ-Chefin Gabriele Sprickler-Falschlunger ausgesprochen. Ludwig selbst hat sich nicht öffentlich deklariert. Die Unstimmigkeiten zwischen dem Wiener Bürgermeister und Doskozil sind in den Gremiensitzungen am Dienstag aber offen zutage getreten, wie Sitzungsteilnehmer erzählten.

Fronten überlagern sich

Allerdings sind die Zeiten, in denen sich Delegierte von den Oberen eine Marschrichtung vorgeben ließen, vorbei. Die Risse gehen oft mitten durch die Landesorganisationen, der Traiskirchner Bürgermeister Babler ist auch in einigen Bezirken Niederösterreichs populär. Die Landesparteispitze um den designierten Chef Sven Hergovich hingegen legt sich vor dem Showdown in Linz nun deutlich für Doskozil ins Zeug.

Umgekehrt ist die Anti-Doskozil-Haltung von Wiens Stadtchef Ludwig noch kein Garant dafür, dass Babler alle Wiener Stimmen abräumt. Gerade in den Flächenbezirken wird sein Linkskurs von roten Funktionären mit Argwohn betrachtet.

Die geografischen Fronten werden zudem von den anderen Kategorien überlagert. So ist auch der Bundesparteivorstand mit 54 Delegierten beim Showdown in Linz entscheidend mit dabei. Das aktuell gültige SPÖ-Statut sieht zudem vor, dass auch rote Interessenvereinigungen und Teilorganisationen eigene Delegierte schicken. Die größte Gruppe stellen die Gewerkschaften: Sie entsenden 50 Personen – und damit acht Prozent der Delegierten. Mit einem einheitlichen Abstimmungsverhalten ist aber auch hier nicht zu rechnen, zumal die Gewerkschafter auch aus verschiedenen Bundesländern stammen.

Zwar hat Doskozil durch seine Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn die für die Verhandlung von Kollektivverträgen zuständigen Arbeitnehmervertreter verärgert, doch seine restriktivere Migrationspolitik erfährt in der Gewerkschaft regen Zuspruch. Bablers hemdsärmelige Art und seine Herkunft aus einer Arbeiterfamilie dürften aber auch bei manchen Gewerkschaftern ziehen.

Frauen, Bauern, Jugend

Eine bedeutende Abordnung stellen auch die Frauenorganisationen: Die Bundes- und Landesfrauenvorstände der SPÖ entsenden insgesamt 39 Delegierte nach Linz. Die diversen Nachwuchsorganisationen schicken 20 Personen. Bei ihnen ist die Präferenz eindeutig pro Babler. Die Sozialistische Jugend und die sozialistischen Studierenden vom VSStÖ haben schon bei der Mitgliederbefragung für den Stadtchef von Traiskirchen mobilisiert.

Dazu kommen zahlreiche weitere rote Abordnungen: Das reicht vom Arbeiter-Sängerbund mit einer Person beim Parteitag über den Red-Biker-Motorradclub (2) und die SPÖ-Bauern (3) bis zum roten Wirtschaftsverband, der vier Vertreter entsendet. Auch ihre Stimmen könnten das Zünglein an der Waage sein, wenn es knapp hergeht.

Manche Bundesländer zählen auch jene Personen zu "ihren" Delegierten, die von den anderen Organisationen geschickt werden – aber eben aus dem Bundesland kommen. Das Burgenland spricht etwa von 47 Delegierten aus seinen Reihen.

Da es ein außerordentlicher Parteitag ist, sind übrigens dieselben Personen wie beim letzten ordentlichen Parteitag im Jahr 2021 delegiert. Nicht mehr dabei sind jedoch die Kinderfreunde, die Arbeiterfischer, die Mietervereinigung und die Arge 60 plus: Sie haben den "Status einer befreundeten Organisation" aufgegeben. (Theo Anders, David Krutzler, 24.5.2023)