Vanilleschoten und eine Vanilleblüte vor schwarzem Hintergrund.
Mit welcher Phase des Lebens verbinden Sie den Duft von Basilikum, Orangen oder Vanille? Diese Frage wurde Testpersonen in Österreich und auch weltweit gestellt.
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Das Reich von Klaus Dürrschmid wirkt steril: ein Gang, weiße Wände, acht gleiche quadratische Durchreichen. Wer dahinter, in den Prüfkabinen des Labors für Sensorik an der Universität für Bodenkultur, Platz nimmt, riecht und schmeckt dafür umso intensiver. Dabei überwachen Systeme Augenbewegungen, Hautleitfähigkeit, Größe der Pupillen und Herzschlag – und helfen, Rätsel der Lebensmittelsensorik zu entschlüsseln.

Einem davon ging der Lebensmittelwissenschafter mit internationalen Kolleginnen und Kollegen nach: Mit welchen Gerüchen verbinden Menschen welches Lebensalter? An die Riechsinneszellen der Nase docken Gerüche an hunderten Rezeptoren an. Es entstehen elektrophysiologische Signale, die an die zwei Riechkolben geschickt und dort aufbereitet werden. In den beiden Mandelkernen wird das Erregungsmuster dann daraufhin analysiert, ob es eine Angst- oder Ekelreaktion auslösen soll. So weit der universelle körperliche Prozess. Bei den weiteren Verarbeitungsschritten, etwa im orbitofrontalen Kortex, werden persönliche Prägungen wichtiger.

Individuell eingebettete Gerüche

"Wir nehmen Reize wahr und identifizieren sie. Das löst Assoziationen aus. Wir wissen, dass Schokolade aromatisch und wohlschmeckend, aber auch kalorienreich ist. Je nachdem, wie man die Wahrnehmung kontextualisiert, will man Schokolade essen oder nicht", erläutert Dürrschmid.

Menschen riechen ähnlich, betten aber Gerüche individuell ein. In einer Vorstudie im Jahr 2017 erforschten Mitglieder des Sensorik-Netzwerks Österreich (SNÖ), mit welchem Lebensalter österreichische Probandinnen und Probanden gewisse Gerüche verbinden.

Rund 400 Freiwillige schnüffelten an Teststreifen, die nach sieben verschiedenen Aromen rochen – und ordneten diese vier verschiedenen Lebensphasen zu. Die Kindheit roch für die meisten nach Bonbon und Vanille, Erdnuss und Gurke nach späteren Lebensphasen, Maiglöckchen und Nelke nach dem Erwachsenenalter. Doch sind diese Assoziationen österreichische Besonderheiten? Um dies herauszufinden, kooperierten rund zwanzig Institutionen aus Australien, Deutschland, Thailand, Vietnam, den USA und der Schweiz für eine internationale Studie.

Nahaufnahme einer Orange in ihrem Baum zwischen Blättern und Blüten.
Wie sich zeigte, wecken manche Gerüche rund um den Globus ähnliche Assoziationen, bei anderen gibt es starke Abweichungen.
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Denn "nur weil Österreicher Vanille mit der Kindheit verbinden, muss das nicht in anderen Ländern so sein. Ein Individuum lebt schließlich in einer Gesellschaft, die Gerüchen Bedeutung gibt", erklärt Dürrschmid. Rund 1200 internationale Probandinnen und Probanden ordneten die Aromen Anis, Basilikum, Heu (grüner Tee), Kokosnuss, Minze, Orange, Vanille und Zitrone vier Lebensabschnitten zu. Die Gerüche wählten die Forschenden auch nach deren wirtschaftlicher Relevanz am stark wachsenden Markt für Aromen.

"Assoziationen sind stark mit Gefühlen und dem limbischen System verknüpft", erklärt Koautorin und Ernährungswissenschafterin Marlies Wallner, die an der FH Joanneum in Graz lehrt. "Die Einsicht in das Verhalten und die Überlegungen von Konsumenten ist sehr relevant für die Produktentwicklung etwa eines neuen Parfums oder eines Lebensmittels für eine bestimmte Zielgruppe", fügt Wallner hinzu. Allein der börsennotierte Konzern Symrise, der Aromen für die Studie zur Verfügung stellte, setzte im vergangenen Jahr 4,6 Millionen Euro um.

Die Analyse der Datenmenge barg auch Überraschungen. "Normalerweise würde man sich sehr ähnliches Assoziationsverhalten in Ländern mit ähnlicher geografischer und kultureller Lage erwarten", sagt Wallner. Zwischen Österreich und Deutschland habe es allerdings nur in vier der neun Aromen Übereinstimmungen gegeben. "Wir haben gesehen, dass sich die Ergebnisse für alle neun getesteten Gerüche der USA und der Schweiz ähnlicher waren", erläutert sie.

Unerwartete Abweichungen

In Österreich wird die Kindheit mit Aromen von Vanille, Zitrone und Orange verbunden, in Vietnam riecht sie auch nach Kokosnuss. Für Australier riecht das Jugendalter eher nach Heu. Auch das Erwachsenenalter assoziieren unterschiedliche Nationalitäten unterschiedlich. Für Menschen aus den USA und Australien riecht es nach Kokosnuss, nur in Thailand wurde es auch mit Vanillearoma verbunden. Das Seniorenalter riecht für Vietnamesinnen und Vietnamesen eher nach Basilikum, für Teilnehmende aus den USA nach Minze, für Menschen aus Deutschland und der Schweiz nach Rosen.

"Es ist sehr interessant zu sehen, dass wir Menschen in Abhängigkeit davon, aus welchem soziokulturellen Kontext wir stammen, ganz offensichtlich unterschiedlich ticken in Hinblick darauf, wie wir die Wahrnehmung von Gerüchen in unserem Gehirn verarbeiten", erklärt Barbara Siegmund. Die Lebensmittelchemikerin war Koautorin beider Studien und lehrt an der Technischen Universität Graz.

Nahaufnahme Basilikum.
Assoziationen sind stark mit Gefühlen und dem limbischen System verknüpft. Auch der soziale Kontext, in dem jemand aufwächst, spielt bei der Interpretation von Gerüchen eine Rolle.
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Weitere Rätsel um die Vanille

Wieso ergeben sich diese Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchen jedoch? "Es hat sicher auch damit zu tun, mit welchen Lebensmitteln wir im Laufe unseres Lebens konfrontiert sind, und auch mit der Prägung durch Gerüche von Lebensmitteln, mit denen wir in verschiedenen Lebensphasen in Berührung kommen", sagt Siegmund. Hier sind in weiterer Folge interdisziplinäre Studien gefragt, die weitere kulturelle und soziale Komponenten miteinbeziehen.

Was die Forschenden klar sahen: Den Geruch von Vanille verbinden viele Nationen mit der Kindheit. "Es ist aus meiner Sicht interessant, dass es offenbar gewisse globale Gerüche gibt, die wir – egal woher wir kommen – mit Kindern verknüpfen, wohingegen es für andere Gerüche starke Unterschiede in den Assoziationen gibt", sagt Siegmund. Der Grund hierfür ist allerdings noch unklar.

"Wir wissen es nicht. Wir können nur Hypothesen aufstellen. Es gibt etwa viele Kinderprodukte, die mit Vanille versetzt sind. Die Muttermilch hat auch Vanillearoma", erklärt Dürrschmid. Um dieses Rätsel der Lebensmittelsensorik zu entschlüsseln, werden wohl in Folgestudien noch weitere Menschen rund um den Globus an Teststreifen riechen. (Laura Anninger, 4.6.2023)