Das iPhone wird von Daisy in Einzelteile zerlegt.
Daisy besteht aus mehreren Roboterarmen, die das iPhone zerlegen.
Apple

Sobald Daisy erkannt hat, welches iPhone vor ihr auf dem Fließband liegt, geht es Schlag auf Schlag. Innerhalb weniger Minuten löst sie mit höchster Präzision das Display heraus, dann die Batterie – um im Anschluss alle Schrauben herauszustanzen, die das Smartphone zusammen- und die einzelnen Bauteile am Gehäuse festhalten. Ehe man sichs versieht, steht man vor einem vollständig auseinandergenommenen iPhone, das bereit ist, recycelt zu werden. 

Obwohl der Name etwas anderes nahelegt, handelt es sich bei Daisy nicht um einen Menschen. Auch mit der bekannten Comicfigur aus dem Disney-Universum hat sie nichts zu tun. Stattdessen ist Daisy ein hochkomplexer Zerlegeroboter aus dem Hause Apple, mit dem der Technologiekonzern die Extraktion wertvoller Bestandteile wie Gold, Kobalt, Lithium, Aluminium und seltener Erden nicht nur erleichtern, sondern automatisieren will.

Klimaneutralität als oberstes Ziel

Das offizielle Ziel des iPhone-Herstellers ist dabei durchaus ehrenhaft: Man will immer nachhaltiger werden. Bis 2030, so die Zielsetzung, will Apple samt Lieferkette sogar klimaneutral sein. Kein einfaches Vorhaben, wenn man bedenkt, dass Apple allein im Geschäftsjahr 2022 238 Millionen iPhones verkauft hat – und in regelmäßigen Abständen neue Geräte auf den Markt geschmissen werden. Stets in der Hoffnung, dass Kundinnen und Kunden möglichst häufig zum Upgrade greifen.

Hier kommt Daisy ins Spiel. Während sich der Diskurs primär um erneuerbare Energien dreht, wird relativ wenig über das Lebensende von Elektrogeräten gesprochen. Haben diese ausgedient, landen Smartphones meistens in der Schublade. Es gibt nur wenige Menschen, die sich beim Neukauf Gedanken darüber machen, was mit ihrem alten iPhone oder Android-Handy passiert. Für Hersteller bedeutet das immer größere Probleme. Für die Produktion vieler Bauteile werden seltene Edelmetalle und seltene Erden benötigt – die bis heute größtenteils unter widrigen, umweltschädlichen Bedingungen abgebaut werden.

Recycling ohne große Nachfrage

Große Technologiekonzerne wie Google, Samsung und auch Apple bieten Kundinnen und Kunden deshalb schon seit einiger Zeit die Möglichkeit, ihr altes Smartphone zum Recycling einzuschicken. Dabei appellieren diese meistens an das Umweltbewusstsein der Menschen. Mit mäßigem Erfolg, wie eine Studie der Universität für Bodenkultur (Boku) vom Februar gezeigt hat. Im Schnitt werden in jedem österreichischen Haushalt mindestens acht ausgemusterte Elektrogeräte gehortet.

Um einen neuen Anreiz zu schaffen, bietet Apple deshalb mittlerweile einen Trade-in-Bonus an. Bringt man beim Neukauf eines Smartphones ein altes iPhone mit, kriegt man einen Rabatt gutgeschrieben. Eine Win-win-Situation für Konsumentinnen und Apple also, könnte man sagen. Immerhin wird das Altgerät bei Ausmusterung entweder in das niederländische Breda geschickt wird, wo DER STANDARD Daisy bei der Arbeit beobachten konnte, oder aber in die texanische Stadt Austin. In unscheinbaren Anlagen kann man dort eine Daisy finden, die jeweils 1,2 Millionen iPhones in Einzelteile zerlegen könnte. Zumindest dann, wenn es eine entsprechend große Nachfrage geben würde. Bis heute wurden die Kapazitäten nicht ausgelastet.

Keine große Auswirkung

Ruft man sich außerdem die oben erwähnten 238 Millionen verkauften iPhones ins Gedächtnis, sind Apples Recyclingbemühungen rund um Daisy nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Dieser Ansicht ist auch Günter Getzinger von der TU. "Da geht es nicht um relevante Mengen, sondern um eine Sache, die man im Allgemeinen Greenwashing nennt", sagt der Wissenschafter im STANDARD-Gespräch. Dabei würden Firmen versuchen grüner, also nachhaltiger, zu wirken, als sie es eigentlich sind. "Da investiert man schon ein paar Millionen in einen Roboter oder in zwei, fünf oder 20, die dann einen Bruchteil der Geräte zerlegen, einen Bruchteil der relevanten Materialien herausholen, recyceln und in einen stofflichen Kreislauf bringen", sagt Getzinger.

Apple investiert in Recycling von iPhones.
Apples Zerlegeroboter Daisy kann iPhones innerhalb weniger Minuten zerlegen.
Apple

Um tatsächlich nachhaltiger zu werden, müssten Unternehmen laut Getzinger früher ansetzen und eine möglichst lange Lebensdauer von Produkten forcieren. Eine Herangehensweise, die im Kontrast zur Profitorientierung großer Technologiekonzerne wie Apple steht. "Die geplante Lebensdauer ist eine Entscheidung des Unternehmens. Das ist geplante Obsoleszenz, die uns hier zugemutet wird, und zwar mit vielen psychologisch gut durchdachten Tricks", sagt Getzinger. Den Konsumentinnen und Konsumenten sei anerzogen worden, schon nach wenigen Jahren ein neues Smartphone zu kaufen. "Wenn sich Apple entscheiden würde und das auch kommuniziert: Unsere Produkte halten zehn Jahre, das wäre der Hammer. Das wäre eine Ansage. Da würde ich sagen: Apple ist auf dem richtigen Weg", erklärt Getzinger. Aber dabei dürfe es nicht bleiben. "Als Nächstes möchte ich hören: Unsere Produkte sind reparaturfähig. Wir geben fünf Jahre Garantie. Oder sechs Jahre."

Unter Umständen halten Smartphones mittlerweile relativ lange. Gerade Apple versorgt das iPhone. Die Geräte sind allerdings für ihre notorisch schlechte Reparierbarkeit bekannt. Display, Akku und andere Bauteile werden häufig nicht nur mit Schrauben, sondern mit Klebstoff im Gehäuse befestigt. Zwar gibt der Reparaturdienstleister iFixit dem iPhone 14 und 14 Plus mittlerweile sieben von zehn Punkten auf der Reparierbarkeitsskala. Gleichzeitig hält er aber fest, dass proprietäre Schrauben und die Teilekopplung viele Reparaturen erschweren oder unmöglich machen würden. Hinzu komme, dass sich beim Pro-Modell das rückseitige Glas weiterhin nur schwer austauschen lasse.

Self-Repair, aber nur auf teurem Weg

Apple selbst behauptet hingegen, das iPhone immer leichter reparierbar zu machen. In seinem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht schreibt der Konzern zum Beispiel, dass man neue Produkte "unter Einbeziehung der Reparierbarkeit" entwerfe. "Wir machen weiterhin Fortschritte bei der Entwicklung langlebigerer Produkte und bieten unseren Kunden mehr Reparaturmöglichkeiten." Gleichzeitig arbeite man daran, Reparaturen zugänglicher und erschwinglicher zu machen.

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Linus Tech Tips

Tatsächlich bietet Apple seinen Kundinnen und Kunden seit letztem Jahr ein sogenanntes Self-Repair-Kit an, das den eigenständigen Austausch defekter Komponenten ermöglichen soll. In Wirklichkeit können mit diesem allerdings nur fünf Komponenten ausgewechselt werden: das Display, die Kamera, der Lautsprecher, die Taptic Engine und die Batterie.

Hinzu kommt das Problem, dass man das Repair-Kit für stolze 49 Euro pro Woche anmieten und hohe Kosten für Ersatzteile zahlen muss. Nicht zuletzt bleibt das Risiko, bei der Reparatur doch etwas falsch zu machen. Das Ganze ist am Ende des Tages also gerade so umständlich, dass Normalverbraucher lieber in den nächsten Apple Store wandern dürften. Selbst unabhängige Reparaturwerkstätten haben es nicht einfach, mit dem Eigenangebot des iPhone-Herstellers mitzuhalten, wie "Golem" berichtet. Apple verlange von den Werkstätten hohe Preise für Ersatzteile, außerdem brauche die Lieferung so lange, dass das Angebot deutlich unattraktiver für Endnutzerinnen und Endnutzer wird.

iPhone-Bauteile werden für das Recycling vorbereitet.
Nach dem Zerlegen werden die einzelnen Bauteile des iPhones getrennt und an Recyclingpartner verschickt.
Apple

Verantwortung bei den Herstellern

Das Problem der mangelnden Nachhaltigkeit ist also sehr viel komplexer, als dass ein Zerlegeroboter wie Daisy es lösen könnte. Vor allem deshalb, weil Apple derzeit nur zwei von ihnen im Einsatz hat. "Das ist lächerlich, so ein kleiner Roboter, der ein paar Millionen Smartphones zerlegt. Nein. Ich rede nur noch über alle", sagt Getzinger. Ihm zufolge müssten die großen Hersteller ein Pfandsystem einführen und für jedes zurückgebrachte Smartphone 100 Euro auszahlen – und zwar nicht nur dann, wenn man ein neues Gerät kauft.

Das anschließende Recycling sollte ihm zufolge außerdem vollständig von Apple und Co übernommen werden. "Es wird wahrscheinlich notwendig sein, dass nicht einer, sondern 800 Roboter und wahrscheinlich ein paar Menschen für das Zerlegen zuständig sind", sagt der Wissenschafter. Es ergebe keinen Sinn, diesen Prozess auszulagern. Die Hersteller selbst würden ihre Geräte am besten kennen und wissen, wie sie möglichst effizient zerlegt würden.

Um die eigenen Geschäftsprozesse im Sinne einer Kreislaufwirtschaft neu zu gestalten, braucht es also deutlich mehr als nur Recyclingroboter à la Daisy. Dieser Ansicht ist auch Romana Rauter von der Universität Graz. Zwar ist ihr zufolge jede unternehmerische Tätigkeit, die gesetzt wird, begrüßenswert. Dennoch sei Recycling bloß eine nachgelagerte Aktivität. "Wirksamere oder innovativere Strategien würden aber stärker darauf abzielen, Produkte neu zu denken und Geschäftsmodelle anders zu gestalten", sagt die Wissenschafterin im STANDARD-Gespräch.

Der Zerlegeroboter von Apple kann iPhones erkennen.
Daisy erkennt automatisch, mit welchem iPhone-Modell sie es zu tun hat.
Apple

Rauter meint damit den Versuch, beispielsweise die Lebensdauer von Produkten zu steigern und die Reparierbarkeit zu erleichtern. "Recycling allein führt nicht notwendigerweise zu einer Innovation im Geschäftsmodell von Firmen", sagt die Wissenschafterin. "Die Frage ist: Inwiefern sind die Wertschöpfungsaktivitäten eines Unternehmens tatsächlich ausgerichtet auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität?" Recycling ist demnach nur ein Aspekt von vielen.

Hoffnung auf baldige Klimaneutralität

Trotz allem sieht sich Apple auf bestem Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2030. Dank Investitionen in erneuerbare Energiequellen hat es das Unternehmen schon 2020 geschafft, Klimaneutralität für die eigenen Geschäftstätigkeiten zu erreichen. Der Fokus liegt deshalb auf der Lieferkette, also den Zulieferern und Produktionsfirmen, mit denen Apple zusammenarbeitet. Immerhin ist die Produktion für stolze 65 Prozent aller Treibhausgase des Unternehmens verantwortlich. Dennoch soll bis 2030 die gesamte Produktwertschöpfungskette samt Herstellung und Produktnutzung zu 100 Prozent auf sauberem Strom laufen.

Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens kann man in etwa nachlesen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Demnach plant Apple, 75 Prozent der Emissionen zu reduzieren. Die verbliebenen 25 Prozent sollen durch Investitionen in Projekte zur CO2-Beseitigung ausgeglichen werden. Betont wird dabei auch die Relevanz von Recycling. Bis dieses relevante Ausmaße annimmt, dürfte Apple allerdings noch einen langen Weg vor sich haben. 2022 stammten gerade einmal 20 Prozent der in verkauften Geräten verbauten Materialien aus recycelten Quellen. Was fehlt, ist eine detaillierte Roadmap für die Zielerreichung – also ein Plan, mit welchen Schritten man die Klimaneutralität tatsächlich realisieren will. 

Apples Daisy-Roboter beim Zerlegen von Smartphones.
iPhones beim Auseinandergebautwerden.
Apple

"Ich will Google ordentlich bilanzieren sehen und Apple. Und dann will ich eine Roadmap sehen. Also mit welchen Innovationen, mit welchen Schritten beweisen sie mir als mäßig informiertem Menschen, dass sie ihre Ziele erfüllen", kritisiert Günter Getzinger dieses Vorgehen. Ein entsprechendes Dokument hätte mindestens 1.000 Seiten, nicht 114 wie im Fall von Apple. "Sie sollen endlich ehrlich die Daten auf den Tisch legen und ehrlich sagen, welche humanitären Probleme ihr Produkt auslöst", sagt Getzinger und meint damit zum Beispiel den Kobaltabbau in der Demokratischen Republik Kongo.

Das Problem mit der Intransparenz

Die aktuellen Probleme lassen sich ihm zufolge nur durch eine Reduktion des extraktiven Umgangs mit der Welt angehen. Für Technologiekonzerne wie Apple, Samsung, Google und Co bedeutet das eine längere Lebensdauer und einfachere Reparierbarkeit von Smartphones und Computern. Haben diese das Ende ihres Zyklus erreicht, müssten sie ausnahmslos recycelt – und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – erneut in Umlauf gebracht werden.

Apples Zerlegeroboter Daisy stellt deshalb eine durchaus positive Entwicklung dar. Vor allem deshalb, weil es der Konzern auch Konkurrenzunternehmen kostenfrei ermöglicht, seine technologische Errungenschaft zu lizenzieren. Bis das Wirkung zeigt, dürfte es allerdings ein langer Weg sein. Das zeigt sich einerseits daran, dass Daisy wegen mangelnder Nachfrage bisher noch nicht ihre Kapazitätsgrenze von 1,2 Millionen zerlegten iPhones jährlich erreicht hat. Andererseits aber auch daran, dass bisher keine Fremdfirmen Interesse daran gezeigt haben, eigene Daisys auf Basis der Apple-Technologie zu bauen.

Deshalb steht nicht ausschließlich Apple unter Zugzwang: Auch Google, Amazon, Samsung und Co müssen ihre Geschäftspraktiken überdenken – und Innovationen deutlich früher implementieren als beim Recycling der Altgeräte. Einen möglichen Hoffnungsschimmer sieht Getzinger in der aktuell in Verhandlung befindlichen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Die EU-Richtlinie würde Unternehmen innerhalb der Europäischen Union ab 2025 zur Veröffentlichung soliderer Nachhaltigkeitsberichte verpflichten – und das Vorgehen der Firmen deutlich transparenter gestalten. (Mickey Manakas, 29.5.2023)