Roboter Androide Mensch
Menschenähnliche Roboter lösen im Gehirn einen Konflikt aus.
APA/AFP/PETER PARKS

Die Faszination der Menschheit für Androiden und Automatengeschöpfe ist kein Phänomen unserer Neuzeit. Schon in der griechischen und römischen Mythologie ist von mechanischen Vögeln, aber auch künstlichen Dienerinnen und anderen Kreationen die Rede.

Die wohl bekannteste Schöpfung ist Pandora. Die von Hephaistos, dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst, aus Lehm erschaffene Frau sollte bekanntlich mit ihrer Büchse Unheil über die Welt bringen. Ein künstlich kreiertes Wesen, das die Welt aus den Fugen geraten lässt: Das Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die moderne Kulturgeschichte der Menschheit.

Mechanische Ente von de Vaucasons aus dem Jahr 1738
Künstliches Tier mit Echtdarm: de Vaucasons Ente (1738)
Archiv

Spätestens ab der Renaissance greifen Leonardo da Vinci und andere Konstruktionsmeister die Jahrhunderte zuvor geleistete Vorarbeit der alexandrinischen Gelehrten wieder auf. Die technischen Errungenschaften stehen dabei im Vordergrund. Eine Skizze eines roboterähnlichen Ritters von da Vinci ist davon ebenso Zeugnis wie die mechanische Ente von Jacques de Vaucanson aus dem Jahr 1738, die watscheln, schnattern, Wasser trinken und dieses über ihren künstlichen Darm und Ausgang wieder ausscheiden konnte.

Roboterhund als "gruselige Kreatur"

Tierroboter gibt es auch heute noch zuhauf. Flauschige Robben- und Katzenroboter sollen pflegebedürftigen Kranken Trost spenden. Täuschend echte Delfinroboter könnten schon bald die eingesperrten echten Tiere in Vergnügungsparks ersetzen. Insektenähnliche Miniaturroboter sollen bei der Bestäubung von Pflanzen helfen oder über einen imitierten Bienentanz die Arbeiterinnen in die richtige Richtung locken.

Und dann ist da noch Roboterhund Spot, der alles andere wie ein Hund aussieht, sich mit seinen vier schlaksigen Beinen teilweise aber so bewegt. Dass Spot vor zwei Jahren sogar die New Yorker Polizei auf Streife begleitete, kam bei der dortigen Bevölkerung allerdings gar nicht gut an. Nach Beschwerden über die "gruselige Kreatur" wurde der Pilotversuch wieder gestoppt.

Roboter Hund Android
Roboterexpertin Martina Mara mit Roboterhund Spot.
Robert Maybach

Dass der von Boston Dynamics entwickelte Vierbeiner Unbehagen auslöste, ist für Martina Mara keine Überraschung. Die Professorin für Roboterpsychologie am Linz Institute of Technology der Johannes-Kepler-Universität hat bei einem öffentlichen Spaziergang mit Spot und Rektor Meinhard Lukas ähnliche Reaktionen erlebt. "Es gibt bei androidenhaften Robotern das Phänomen, dass diese als besonders unheimlich empfunden werden, wenn sie hochgradig menschenähnlich aussehen oder so agieren", erklärt Mara.

Spot sehe zwar nicht aus wie ein Hund, seine Bewegungen seien aber sehr organisch, was psychologisch gesehen einen Konflikt auslöse. "Die Hinweisreize passen für unser Gehirn nicht zusammen. Wir wissen, dass das eine Maschine ist und wie eine Maschine aussieht, aber sie bewegt sich wie ein echtes Tier." Ähnliches gelte für sprechende Roboter.

Traum und Albtraum zugleich

Ob der unter dem Fachbegriff "Uncanny Valley" bekannte Gruseleffekt besonders realistischer Roboterwesen allgemein gültig ist und warum er in welchen Situationen auftritt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Paradox bleibt das Ganze in jedem Fall. Einerseits träumen wir in Büchern und Filmen von Androiden, die von Menschen kaum mehr zu unterscheiden sind und Gefühle sowie ein Bewusstsein entwickeln.

Werden wir in der Realität dann mit Robotern wie dem zweibeinigen Atlas konfrontiert, der Hindernis-Parcours wie ein Mensch bewältigen und neben Laufen und Springen auch einen Rückwärtssalto hinlegen kann, beginnt es uns schnell zu gruseln.Ein weiteres Phänomen, das zu diesem Paradox beiträgt, ist die Tendenz des Menschen, nichtmenschliche Identitäten – darunter eben auch Technologie – zu anthropomorphisieren, ihnen also menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.

Roboter Atlas bewältigt einen Parcours
Boston Dynamics hat mit Atlas nicht nur einen faszinierend-gruseligen Roboter im Programm.
Boston Dynamics

Auch die berühmte Automatin Olimpia in E. T. A. Hoffmans 1816 veröffentlichter Erzählung "Der Sandmann" ist so ein Fall. Der Student Nathanael verliebt sich in sie, weil er durch seine projizierten Eigenschaftszuschreibungen nicht erkennt, dass es sich dabei um eine mechanische Holzpuppe handelt. Ihr starrer Blick interpretiert er als uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Dass sie außer "Ach! Ach!" nicht spricht, macht sie zur besonders einfühlsamen Zuhörerin. Als Nathanael seinen fatalen Irrtum schließlich erkennt, verfällt er in den Wahnsinn.

Die Maschine als unterwürfige Dienerin

Dass das Thema aktuell so relevant wie nie zuvor ist, zeigt unser Umgang mit Sprachassistenzsoftware wie Alexa oder Siri. Die Kommunikation über natürlich formulierte Sprache, aber auch der Name suggeriert ein tatsächliches Gegenüber, das in einen mehr oder weniger intelligenten Dialog treten kann. Im Fall der anfangs ausschließlich weiblich konzipierten Assistentinnen, die auch auf sexistische Beschimpfungen stets freundlich und devot reagierten, erscheint das in mehrfacher Hinsicht problematisch, wie auch Roboterexpertin Mara bestätigt.

"Generell ist es kein Problem, wenn wir ein hierarchisches Verhältnis zu Maschinen haben und diesen sagen, was sie zu tun haben. Im Gegenteil würde ich sogar dafür plädieren, Technologie nicht moralisch aufzuladen und ihr so eine gewisse Kontrolle über uns und unser Verhalten zu geben", sagt Mara. Eine Maschine solle durch entsprechende Rückmeldungen kein schlechtes Gewissen erzeugen können, wenn man sie abschalten möchte.

Sprachsteuerung Siri und Roboterfrau
Stereotype werden auch bei Robotern und Sprachassistentinnen übernommen.
IMAGO/Xinhua

Problematisch werde dieser Umgang mit Technologie aber dann, wenn Maschinen vermenschlicht und dabei alte Geschlechterstereotypen reproduziert werden. "Es ist wissenschaftlich erforscht, dass derartige Klischees wie jenes der unterwürfigen, dienenden Assistentin, die alle Wünsche erfüllt, dann wieder zurück in die Realität übertragen werden", kritisiert Mara.

Sie plädiert nicht zuletzt deswegen dafür, Maschinen mit synthetischen Stimmen auszustatten und sie ohne Gender zu konzipieren. "Wie wir diese ganzen schlauen Maschinen einfach nutzbar und kommunikativ gut verständlich hinbekommen, ohne unsere Tendenz zur Vermenschlichung zu befeuern, ist allerdings alles andere als trivial", gibt Mara zu bedenken.

Der Trick von ChatGPT

Der Anthropomorphisierung Einhalt zu gebieten, dürfte künftig jedoch nicht leichter werden, wie der aktuelle Hype um das Sprachmodell ChatGPT und andere Chatbots mit künstlicher Intelligenz wie Googles Bard zeigen. Angesichts überbordender Reaktionen und Erwartungshaltungen warnt auch Sam Altman, der Chef der ChatGPT-Firma OpenAI, davor, das Sprachmodell als selbstständig denkendes, fühlendes Wesen zu begreifen, das einen eigenen Willen habe. In Wahrheit handle es sich um ein Sprachmodell, das einfach die Aneinanderreihung von Worten versuche vorherzusagen, sagte er in einem Interview mit dem US-Sender ABC.

Martin Mara Roboterexpertin
Martina Mara forscht seit vielen Jahren an unserer Beziehung zu Maschinen.
Paul Kranzler

"Im Grunde fallen wir bei ChatGPT auf unsere eigenen Tricks rein. Alles, was es macht, ist die menschliche Sprache nachzuahmen – auf Basis der Daten, die alle von uns stammen. Dass wir das faszinierend und angsteinflößend zugleich empfinden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie", kommentiert Mara die aktuelle Entwicklung.

Was die Interaktion mit Maschinen und Robotern und deren Bedienung betrifft, werde dies aber natürlich Auswirkungen haben. Wenn natürliche Sprachinteraktion zum Interface werde, falle eine große Hürde bei der Bedienung weg – gerade auch für Personen, die etwa aufgrund ihres Alters nicht über entsprechende Fähigkeiten wie die Bedienung von Bildschirmen oder anderen Eingabewerkzeugen verfügen.

Industrieroboter relevanter

Ungeachtet der neuen künstlichen Sprachfähigkeiten erwartet Mara die größten Durchbrüche in der Robotik aber dennoch nicht bei androiden Systemen, wie den seit Jahrzehnten prognostizierten Haushalts- und Pflegerobotern. Schon jetzt sei der mit Abstand größte Bereich der Robotik die Industrie. Sogenannte Cobots, also kollaborative Roboter, können aufgrund ihrer stark verbesserten Sensorik, neuer Materialien und künstlicher Intelligenz mittlerweile mit Menschen auf engem physischem Raum zusammenarbeiten, ohne diese zu gefährden.

Im Pflege- und Gesundheitsbereich wiederum rechnet die Roboterexpertin damit, dass unterstützende aktive Exoskelette, also Roboter zum Anziehen, eine größere Rolle spielen werden. "Ich denke, es ist langsam an der Zeit, dass wir uns von diesen jahrzehntelang kultivierten androiden Robotervisionen lösen und Roboter als das begreifen, was sie eigentlich sind: komplementäre Werkzeuge, die uns Menschen in verschiedenen Lebenssituationen unterstützen können", sagt Mara.

In anderen Worten: Die Büchse der Pandora bleibt geöffnet. Aber es ist alles nicht so schlimm. (Martin Stepanek, 28.05.2022)