Bei Belästigungen im öffentlichen Raum einschreitet, solle man umstehende Personen einbinden.
APA/ROLAND SCHLAGER

Eine Frau wird in einer Wiener U-Bahn-Station vergewaltigt, ein Zeuge bekommt das mit und verfolgt den Mann, während er die Polizei ruft und diese den Verdächtigen schließlich festnimmt. "Ein 28-jähriger Wiener hat Zivilcourage bewiesen", ist über den Vorfall später zu lesen.

Mutig war das Vorgehen zweifelsohne. Heidemarie Kargl, Leiterin des 24-Stunden-Frauennotrufs in Wien, hält aber fest, dass dieses Verhalten nicht als Maßstab dienen könne. "Niemand muss sich in Gefahr bringen. Selbstschutz muss immer an erster Stelle stehen." Einzuschreiten, wenn Gewalt beobachtet wird, sei schwierig, könne aber lebensrettend sein. Die Polizei zu verständigen sei bereits eine wichtige Handlung.

Auf Bauchgefühl hören

Außerdem: Zunächst sei es wichtig, achtsam zu sein – ob in öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Nachbarschaft oder auf der Straße. Wirkt jemand von einer anderen Person bedroht oder eingeschüchtert? Wird geschubst, geschrien, weint jemand? Zieht sich die Nachbarin zurück? Eine genaue Handlungsanleitung à la "Wenn dies oder das passiert, dann muss ich einschreiten" gibt es laut Kargl nicht. "Wenn man ein schlechtes Bauchgefühl hat, sollte man dem immer nachgehen."

Was also tun? In öffentlichen Verkehrsmitteln sei es jedenfalls ratsam, sich mit den jeweiligen Sicherheitsvorkehrungen vertraut zu machen, also ob beziehungsweise wie ein Notruf betätigt werden kann. Entscheidet man sich dann dazu einzuschreiten, sei es wichtig, selbst so wenig wie möglich zur Eskalation beizutragen. Laut Kargl gelinge das, indem man sich ganz auf die Betroffene beziehungsweise das Opfer konzentriere. "Mit dem Täter am besten keinen Blickkontakt aufnehmen, ihn keinesfalls anfassen und nicht duzen." Stattdessen solle man den oder die Betroffene in ein Gespräch verwickeln, Bekanntschaft vortäuschen oder nach dem Weg fragen. "Wichtig ist es auch, sich Verbündete zu suchen und einzubinden. Also beispielsweise die Person, die neben dem Notruf steht, laut bitten, diesen zu betätigen", sagt Kargl.

Mehrere Anrufe während Pandemie

Das gelte auch für Betroffene. Bei Belästigungen solle man umstehende Personen einbinden und den oder die Täterin niemals duzen. "So entsteht nicht der Eindruck, dass man sich kennt und es untereinander regeln kann." Während der Pandemie habe man beim Frauennotruf eine Zunahme an Kontaktaufnahmen festgestellt. Viele hätten angerufen, um sich zu erkundigen, wie sie bei vermuteter Gewalt bei Nachbarn vorgehen sollen, sagt Kargl. Wenn man Schreie, vielleicht sogar zu Bruch gehende Gläser oder Möbel fallen höre, solle jedenfalls die Polizei gerufen werden, rät sie. Wenn Verhaltensänderungen beobachtet werden, solle man auf die Betroffenen zugehen. Man müsse aber davon ausgehen, dass das zunächst auf Ablehnung stoßen werde.

In Wien gibt es seit 2022 kostenlose Workshops, in denen Einschreiten gelernt werden kann. Bisher wurden laut der Frauenstadträtin, Kathrin Gaál (SPÖ), 17 Kurse mit etwa 200 Teilnehmern durchgeführt. Heuer sollen noch zwei Workshops stattfinden. Trainiert werde unter anderem körperliche und die verbale Selbstbehauptung. Gemeinsam sollen Antworten und kreative Gegenstrategien auf sexuelle Belästigung gefunden werden. Gaál: "Jeder und jede Einzelne kann etwas tun." (Lara Hagen, 25.5.2023)