Wiener Festwochen
Apokalyptische Wucht bei den Wiener Festwochen.
Nurith Wagner Strauss

"O liebster Herr Jesus, befreie mich", wollte man mit Maria Stuart beten. Gefangen in einer Inszenierung der Wiener Festwochen, und die Befreiung durch den Schlussapplaus sollte noch eineinhalb Stunden auf sich warten lassen ... Zu Luigi Dallapiccolas Canti di Prigionia hatte das Festival ins Jugendstiltheater geladen. Genauer: zu einem "performativen Event" von Matija Ferlin (Regie, Choreografie, Kostüme, Konzept) und Goran Ferč ec (Text und Konzept). In diesem Event wurden die 25-minütigen Gesänge aus der Gefangenschaft von einem gut einstündigen szenischen Geschehen ummantelt.

Maria Stuart war nicht persönlich anwesend, genauso wie ihre beiden Leidensgenossen aus anderen Todeszellen, Boethius und Savonarola. Dem Kanzler des Ostgotenkönigs Theoderich und dem katholischen Reformator hatte Dallapiccola neben der schottischen Königin in seinem zwischen 1938 und 1941 entstandenen Werk eine Stimme gegeben – genauer gesagt: mehrere Stimmen. Einem Frauenchor und einem gemischten Chor vertraute der italienische Komponist den lateinischen Text an, den die Verurteilten in der Stunde ihres Todes zum Ausdruck bringen.

Momente der Verzweiflung

Dallapiccolas gemäßigt moderne, kirchenmusikalisch grundierte Anrufungen des Herrn, die Momente der Verzweiflung, aber auch der Zuversicht durch Glaubensstärke transportierten die Damen und Herren von Cantando Admont auf berührende, eindringliche Art und Weise.

Mit alttestamentarischer Härte und apokalyptischer Wucht beeindruckten die sechs Schlagwerker des Ensembles Phace, die beiden Pianisten bezauberten mit dem zarten Wellengang der Zwölftonreihen zu Beginn des Boethius-Gesangs. Die von Cordula Bürgi geleitete Aufführung wurde auf musikalischer Seite zum intensiven, packenden, zum erschütternden Ereignis.

Wie schade, dass Ferlin dazu und darumherum kaum mehr einfiel, als eine kunstfertige Etüde inszenatorischer Virtuosität abzuspulen, gespeist aus persönlichen Inspirationsquellen wie der Malerei (Caravaggio), der Botanik (Parks) und dem offenen Mund (der stumme Schrei der Helene Weigel). Die Inszenierung erinnerte in ihrer gut geölten Geschmeidigkeit und Glattheit an das Öffnen und Schließen von Lifttüren in einem Luxushotel.

Zartrosa Kostüme

Absurdität und Ästhetizismus mischten sich wie Essig und Öl, die zartrosa Kostüme des Chors boten Anklänge an die Farbenwelten von Jessica Hausners Filmen. Aber warum musste beim langen Appell zu Beginn ein Terrorist wie Andreas Baader in eine Reihe mit Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King gestellt werden?

Zur Erinnerung: Die Canti di Prigionia waren Dallapiccolas Reaktion auf Mussolinis antisemitische Maßnahmen, durch die er seine jüdische Frau und sich selbst bedroht sah. Die harte Hand staatlicher Gewalt hatte Dallapiccola schon 1917 erfahren, als er als Dreizehnjähriger mit seiner Familie von Istrien nach Graz zwangsumgesiedelt wurde. Davon zu erzählen wäre möglicherweise sinnvoller gewesen, als selbstverliebte szenische Assoziationsketten feilzubieten. (Stefan Ender, 25.5.2023)