Der heutige Sternenhimmel ist nicht derselbe wie vor 2500 Jahren. Die Astrologie beeinflusst diese Erkenntnis jedoch nur teilweise.
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Die Nasa äußert sich selten zu astrologischen Belangen. Als Weltraumorganisation ist sie mit der Astronomie beschäftigt, der wissenschaftlichen Kunde der Himmelskörper ohne Persönlichkeitsdeutung. Doch auch auf dem Social-Media-Auftritt der Nasa fand sich in der Vergangenheit der Hinweis auf die dreizehnte Konstellation im Reigen der Sternzeichen. Der Schlangenträger oder Ophiuchus sei etwa zwischen dem 30. November und dem 18. Dezember anzusiedeln. Manchen Medien zufolge übernehme er damit quasi einige Geburtstage von Schützen. Mehr noch: Gleicht man die Sternzeichen mit dem Verlauf der Sonne in einem Jahr ab, wird klar, dass das passende Sternbild oft gar nicht zum Geburtstag sichtbar ist. Eine Identitätskrise für Horoskopfans, unter denen Waagen plötzlich zu Jungfrauen werden und es Skorpione nur mehr für eine knappe Woche Ende November gibt?

Was steckt hinter dem Astrologie-Hype?
DER STANDARD

Die Astrologie dürfte von solchen Meldungen, die in den vergangenen Jahren immer wieder auftauchten, unbeeindruckt bleiben, sagt der deutsche Religionswissenschafter Kocku von Stuckrad. Er forscht an der Universität Groningen in den Niederlanden und hat ein Buch zur Geschichte der Astrologie veröffentlicht. Das westliche Horoskop geht auf die babylonische Tradition vor rund 2500 Jahren zurück, die in Griechenland weiterentwickelt wurde. Dreizehn Sternbilder befinden sich auf der Ekliptik, also dem Bereich des Himmels, den die Sonne von der Erde aus gesehen im Laufe eines Jahres scheinbar "durchwandert". Allerdings ist die Zahl Dreizehn nicht gerade praktisch, wenn es um eine gleichmäßige mathematische Einteilung geht – im Gegensatz zur Zwölf.

Willkür der Sternengucker

"Pragmatisch wurde der Himmel in zwölf gleich große Tortenstücke eingeteilt", sagt von Stuckrad, obgleich die Sternbilder unterschiedlich groß sind. Warum wurde gerade der Schlangenträger ausgeschlossen wie die dreizehnte Fee von Dornröschens Geburtstagsfest? "Ich nehme an, man hat sich auch für den Skorpion entschieden, weil er mit bloßem Auge besser sichtbar ist." Je nach Kulturkreis (und Fantasie) lassen sich freilich unterschiedliche Bilder auf die Sterne projizieren. Dass sich in Europa ein Skorpion und ein Schlangenträger am Firmament wiederfanden und sich nur eines der beiden Sternbilder in den Tierkreiszeichen durchgesetzt hat, ist "eine ziemlich willkürliche Geschichte", sagt der Religionswissenschafter.

Doch der Himmel vor 2500 Jahren sieht nicht mehr genauso aus wie heute. Abgesehen von hinzugekommenen Satelliten hat sich die Erdachse ein wenig verschoben, sodass auch die Sternbilder nicht mehr zur rechten Zeit am rechten Fleck standen. Diese sogenannte Präzession beschrieb erstmals der Astronom Hipparchos im zweiten Jahrhundert vor Christus. Die Richtungsänderung der Erdachse ergibt sich daraus, dass die Erde rotiert, nicht strikt kugelförmig ist und unter dem Einfluss von Mond und Sonne durch die Gezeiten ein wenig umgeformt wird.

Unterschied zwischen Sternzeichen und Sternbildern

Für die heutige westliche Astrologie ist das kein Problem. "In Europa hat sich in der Antike die Sichtweise durchgesetzt, dass es hier nicht um die Sternbilder geht, sondern um die Tierkreiszeichen und ihre symbolische Bedeutung", sagt von Stuckrad. Wichtiger sind die Tag-und-Nacht-Gleichen und Sonnenwenden im Jahr. Zum astronomischen Frühjahrsbeginn um den 21. März stehe im Horoskop daher der Widder symbolisch für die Durchsetzungskraft des Frühlings. "Man kann viel an der Astrologie kritisieren", sagt der Religionswissenschafter, aber im Kontext des Schlangenträgers und der verschobenen Sternzeichen werde "ihr etwas unterstellt, was sie gar nicht behauptet".

In anderen astrologischen Systemen werde die Präzession durchaus berücksichtigt. In Indien ist etwa nicht der in Europa übliche tropische Tierkreis üblich, sondern der sogenannte siderische Tierkreis. Hier spielt die Änderung des Frühlingspunkts eine Rolle, an dem die Sonne zur Tag-und-Nacht-Gleiche im März den Himmelsäquator schneidet. Dieser Punkt bewegt sich von einem Sternbild zum anderen, derzeit aus dem Sternbild Fisch zum Wassermann. In diesem Zusammenhang ist von einem "Neuen Zeitalter" nach 2000 Jahren die Rede, das namensgebend ist für die New-Age-Bewegung ab den 1960er-Jahren.

Neben den Sternbildern, die auch in Horoskopen als Sternzeichen Erwähnung finden, zählt auch das Sternbild Schlangenträger zu jenen, die sich auf der Ekliptik befinden. Das bedeutet, die Sonne läuft innerhalb eines Jahres auch an ihnen scheinbar vorbei.
Fatih Aydogdu

Wann diese "Zeitenwende" beginnt, ist rechnerisch jedoch nicht ganz klar: "Da gibt es Hunderte verschiedene Daten, die vom 18. Jahrhundert bis in die Zukunft in 200 Jahren reichen", sagt von Stuckrad. Hier werde in der astrologischen Zunft auch einiges durcheinandergeworfen und nicht konsequent verfolgt.

Einfluss auf die Politik

So strikt die Trennung zwischen Astronomie und Astrologie heute ist, so eng hingen die beiden für die längste Zeit zusammen. "Bis ungefähr zum 17. Jahrhundert stand außer Frage, dass Astrologie Wissenschaft ist", schrieb der Historiker Michael Gordin von der US-amerikanischen Universität Princeton 2022 im Sachbuch "Am Rande: Wo Wissenschaft auf Pseudowissenschaft trifft". Mit hohem Aufwand sammelten Himmelsgelehrte wie Johannes Kepler im Auftrag von Herrschenden Daten zur Position von Sternen und Planeten am Himmel. Aus "günstigen" oder "ungünstigen" Ergebnissen leiteten sie Prognosen ab, die auch die Politik beeinflussten. Gordin vergleicht das Verfahren in dieser Hinsicht gar mit den heutigen Wirtschaftswissenschaften.

Kritikerinnen und Kritiker gab es zu jeder Zeit, doch ab dem 17. Jahrhundert neigte sich der Mainstream zuungunsten der deutenden Sternenschau. Der nunmehrige Aberglaube verschwand allmählich von den Universitäten. Gordin sieht die Astrologie wie die Alchemie als ein Phänomen, das auf legitimer Wissenschaft beruht, aber überholt wurde. Komplett ausgegrenzt wurde sie nicht, sondern hielt sich zumindest als Mittel zur Sinndeutung oder Allegorie auf Kosmos und Leben, sagt von Stuckrad: "Goethe beginnt seine Autobiografie mit seinem Horoskop."

Psychoanalyse mit Tieren

Hier hat die Astrologie etwas mit der Psychoanalyse gemeinsam. Sigmund Freuds Auffassungen werden in der Psychologie heute selten ernsthaft behandelt oder umgesetzt. Dafür bieten sie etwa in den Literaturwissenschaften eine Möglichkeit der Interpretation. Ähnliches gilt für Motive aus der Astrologie, die von Henry Millers "Wendekreis des Krebses" bis zum Hippie-Musical "Hair" direkt zitiert wird. Interessant ist im Vergleich mit der Psychoanalyse auch der Aspekt der Falsifizierbarkeit, den der Wiener Karl Popper als Kriterium für Wissenschaftlichkeit vorschlug. Dazu sah sich Popper veranlasst, weil er bereits 1919 die Psychoanalyse sowie den Marxismus als pseudowissenschaftlich ansah, schreibt Historiker Gordin. Seine Wissenschaftstheorie und das Argument, wissenschaftliche Thesen müssen widerlegbar sein, seien daher auch dezidiert auf den Ausschluss dieser beiden Bereiche angelegt.

Auch die Astrologie lässt sich nach Poppers Konzept nicht falsifizieren. Wenn Studien zeigen, dass etwa Persönlichkeit und Geburtszeitpunkt nicht zusammenhängen, wird entgegnet, dass Horoskope eine komplexere Angelegenheit seien. Dass es zwischen Sturheit, Selbstbewusstsein oder Sensibilität und den Bewegungen von Himmelskörpern zur Geburtszeit keinen kausalen Zusammenhang gibt, ist selbst den meisten Menschen, die Horoskope lesen oder erstellen, klar. Dennoch werden unter anderem Vergleiche zu gewissen Archetypen gezogen: Ab dem 20. Jahrhundert gehe es in der "psychologisierten" Astrologie um eine andere Art der Selbsterkenntnis und Weiterentwicklung, sagt von Stuckrad.

Populär, aber harmlos?

Mindestens 20 Prozent der Bevölkerung seien heute dafür offen. Das Interesse steige in säkularen Gesellschaften sogar tendenziell, während etwa das Christentum an Anhängerschaft einbüße. "Das betrifft nicht nur Millennials, sondern auch ältere Semester." Womöglich hängt dies mit diversen aktuellen Krisen zusammen. Zum Erfolgskonzept der Astrologie zähle aber auch ihre zumindest auf den zweiten Blick komplexe Struktur: "Je länger man sich mit ihr beschäftigt, desto mehr ist man 'hooked'."

Aus der wissenschaftlichen Forschung ist das Fach weitestgehend verschwunden – bis auf die kulturhistorische Behandlung des Themas und Kuriositäten wie den Studiengang "Kulturelle Astronomie und Astrologie" an der Universität Wales Trinity Saint David. Der Religionswissenschafter sieht einen Antagonismus, der auch zeige, wie populär Astrologie heute sei: "Es ist erstaunlich, wie stark und polemisch sich die Astronomie bemüßigt sieht, die Astrologie zu bekämpfen." Wobei zumindest die Klarstellung der Nasa, dass sie nicht die Sternzeichen geändert habe, nicht gerade polemisch ausfiel. Gordin zufolge gilt Astrologie allerdings selbst für viele, die sie als unwissenschaftlich ablehnen, als harmlos, weil kein nennenswerter Schaden entstehe – im Gegensatz zu anderen Pseudowissenschaften. 

Wenn damit jedoch eine Entwertung und Abwendung von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen einhergeht oder Anhängerinnen und Anhänger etwa finanziell ausgebeutet werden, wird die Sache problematisch. Wenn nicht, kann man sich ohne Bedenken auch einem dreizehnten Sternzeichen zuordnen, auch wenn das viele westliche Astrologinnen und Astrologen irritieren würde. Ein eigenes Emoji für den Schlangenträger gibt es in den üblichen Smartphone-Betriebssystemen jedenfalls schon im Sortiment. (Julia Sica, 8.6.2023)