Redakteur Bezirksblätter Innsbrucker Gemeinderat Alkohol
Michael Steger berichtete über einen Eklat im Innsbrucker Gemeinderat in flapsigem Tonfall. Das kostete ihn seinen Job. Im Bild: ein Screenshot des mittlerweile offline genommenen Berichts.
Screenshot Meinbezirk.at

Die Sitzung des Gemeinderats vom 25. April dürfte in die Innsbrucker Stadtgeschichte eingehen: Weil die Grüne Mandatarin Janine Bex mit ihrem Kind an der Sitzung teilnahm und dabei aus einer Flasche mit (alkoholfreiem) Bier trank, erntete sie mahnende Worte ihrer in erster Linie männlichen Gemeinderatskollegen. Die Szenen im Gemeinderat entfachten eine landesweite Debatte über die Stellung von Frauen in der Politik. Einer, der diese hitzigen Auseinandersetzungen live im Rathaus mitverfolgte, ist der Journalist Michael Steger. Eigentlich wollte Steger seinen Live-Ticker schon beenden, bevor es zum Eklat kam, nämlich mit den Worten: "GR Kaufmann bezeichnet KO Lukovic als Vollkoffer, wir beenden den Ticker, besser wirds nicht mehr."

So weit, so normal – zumindest für den äußerst zerstrittenen Innsbrucker Gemeinderat. Steger konnte damals noch nicht ahnen, dass dies sein letzter journalistischer Auftrag für die Bezirksblätter gewesen sein dürfte. Er setzt seine Berichterstattung fort: "Mit Ausnahme der Grünen und GR Onay (Mesut, Mandatar der Alternativen Liste Innsbruck ALI, Anm.)" fühle sich niemand bereit, die Angriffe zu unterbinden, schreibt Steger. Und endet seinen Liveticker mit den Worten: "Als Beobachter fragt man sich in welchem Zeitalter der Großteil der Gemeinderäte festhängen? Fassungslosigkeit herrscht bei den Besuchern, ein Schulterschluss der Frauen bleibt aus. Die meisten Gemeinderäte sind zumindest nicht mehr nüchtern."

Anrufe bei Geschäftsführung

Am darauffolgenden Tag dürften die Telefone heiß gelaufen sein. Steger jedenfalls soll einen Anruf seines Vorgesetzten erhalten haben, der ihn kündigte. Kurz danach trudelte eine Mail ein: Die Geschäftsführung. Mehrere Gemeinderäte, sie waren in der Mail namentlich genannt, hätten sich über seine "Pauschalisierung" beschwert und mit Konsequenzen gedroht. Um "uns weitere negative PR und auch dir und uns ein juristisches Nachspiel zu ersparen, erhielten die Personen die offene und ehrliche Antwort, dass wir uns von dir trennen", heißt es in der Mail. Stegers journalistische Karriere war somit beendet und der Live-Ticker wurde offline genommen.

Sieghard Krabichler, Chefredakteur der Regionalmedien Tirol, zu der auch die Innsbrucker Bezirksblätter gehören, antwortete dem STANDARD auf einen Fragenkatalog in Vertretung für die Geschäftsführung. Die Kündigung Stegers sei auf Basis der Arbeitsweise und Arbeitsleistung Stegers in den vergangenen zwölf Monaten erfolgt. Er sei bereits vor dem Vorfall mehrfach ermahnt worden. Die Anrufe der Gemeinderäte dementierte Krabichler in dem Statement nicht, gab aber an, dass "in diesem Fall keinerlei Druck" ausgeübt worden sei.

ZIB 2: Innsbruck: Mütterprotest nach "Bier-Eklat?
Zu einem ungewöhnlichen Protest ist es am Donnerstagvormittag bei der Sitzung des Innsbrucker Gemeinderates gekommen. Mehr als zwei Dutzend Mütter besetzten mit ihren Babys das Plenum. Sie bekundeten ihre Solidarität mit Gemeinderätin Janine Bex (Grüne), die in der vorangegangenen Sitzung angefeindet worden war.
ORF

Für Steger ist klar: Die politischen Interventionen hätten zu seiner Kündigung geführt. Er sei "schockiert". Dass man mit seiner Leistung nicht zufrieden gewesen sei, sei ihm nie kommuniziert worden. Die Bezirksblätter hingegen halten fest: "Politische Interventionen sind gegenüber unseren Mitarbeitern äußerst selten bis gar nicht vorhanden, weil wir uns um große journalistische Sorgfalt bemühen."

Gemeinderat sieht sich "pauschal verunglimpft"

Der letzte Satz Stegers für die Bezirksblätter, dass die meisten Gemeinderäte "nicht mehr nüchtern" seien, dürfte für alle Beteiligten der Tropfen in das für sie bereits übergelaufene Fass gewesen sein. So sehen es auch jene Gemeinderäte, die in der Mail erwähnt wurden: Vertreterinnen und Vertreter von fünf politischen Fraktionen beschweren sich bei Thomas Zerlauth aus der Geschäftsführung am Tag nach der Sitzung. Als "einer der ersten", wie er dem STANDARD bestätigte, dürfte Gemeinderat Gerald Depaoli (Gerechtes Innsbruck) angerufen haben. "Für mich war das nicht tragbar, dass die Mitglieder des Gemeinderats pauschal verunglimpft werden". Konsequenzen habe er nicht gefordert, aber die Geschäftsführung gefragt, ob es unter eine neutrale Berichterstattung falle, wenn die Mehrheit des Gemeinderats als alkoholisiert beschrieben wird. Ähnlich Christoph Appler: Als ÖVP-Klubobmann könne er es nicht tolerieren, dass falsche Behauptungen über seine Mandatare geschrieben werden. Vizebürgermeister Markus Lassenberger (FPÖ) sagt: "Pauschalbeschuldigungen haben nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun."

Als Tom Mayer, Gemeinderat auf dem Ticket der Liste Fritz, am Nachmittag bei der Geschäftsführung anruft, um mitzuteilen, dass er "die Behauptung des Redakteurs nicht nachvollziehen" könne und er selbst "keinen Tropfen getrunken" habe, sei ihm gesagt worden, dass er an diesem Tag bereits der siebte Anrufer sei. Und das Thema sei "eh schon erledigt". Auch in der Mail der Geschäftsführung waren Abgeordnete der SPÖ und FPÖ erwähnt, die sich angeblich beschwert hätten. Zerlauth beantwortete eine Anfrage zu Mayers Darstellung des Gesprächs und zur Mail nicht.

Steger selbst sieht die Sache gelassener: Er wollte die "Doppelmoral" hervorheben, dass die Gemeinderätin Bex wegen des alkoholfreien Biers kritisiert, gleichzeitig aber von anderen Alkohol konsumiert wird. Ein Liveticker sei legerer im Ton, sagt Steger, lasse möglicherweise "mehr Interpretationsspielraum". "Faktisch ist alles korrekt, dazu stehe ich", sagt Steger heute.

Es wird getrunken

Dass im Innsbrucker Gemeinderat Alkohol getrunken wird, bestreitet niemand; auch nicht Depaoli oder der ÖVP-Klubobmann Christoph Appler. "Alkohol wird in den Pausen konsumiert, teils auch mitgebracht", sagt Gemeinderat Onay (ALI). Lassenberger (FPÖ) hält nichts von einem Alkoholverbot. Dass "an einem langen Tag" in einem "gesellschaftlichen Setting" einmal etwas getrunken werde, sei nicht verwerflich.

Gemeinsam mit den Grünen brachte ALI nach dem Vorfall einen Antrag auf Alkoholverbot im Gemeinderat ein. Ein solches gab es einst. Christine Oppitz-Plörer (Für Innsbruck), Vorgängerin des amtierenden Bürgermeisters Georg Willi (Grüne), hob das Verbot in einer ihrer ersten Amtshandlungen auf. Man habe in den letzten Jahren "leider feststellen müssen", dass "mit fortschreitender Stunde der Ton in den Gemeinderatssitzungen immer rauer wurde", argumentiert der grüne Klubobmann Dejan Lukovic in einer Aussendung.

Abstimmung über Alkoholverbot

Von Beginn an stand die Sitzung am Donnerstag im Zeichen des Bier-Eklats rund um Bex. Etwa 30 Frauen und Männer kamen zu Beginn mit Babys, Kleinkindern und (alkoholfreiem) Bier  im Arm zur Sitzung und solidarisierten sich mit der Grünen Mandatarin.

Kurz nach Veröffentlichung des Artikels wurde bekannt, dass Bürgermeister Willi als "Hausherr" den Ausschank von Alkohol in der Bar vor dem Sitzungssaal künftig unterbinden werde. Gemeinderat Onay zog seinen Antrag daraufhin zurück. Es kam zu keiner Abstimmung. Live mitverfolgen konnte man die Sitzung über die Seite der Bezirksblätter jedenfalls nicht mehr. (Laurin Lorenz, Maria Retter, 25.5.2023)