Brüssel - Gut ein Jahr vor der Europawahl kommen die Europäischen Grünen kommenden Freitag und Samstag (2. - 3. 6.) zu einem Kongress in Wien zusammen, um ihre Positionen abzustecken. Erwartet wird ein klares Bekenntnis zum Spitzenkandidaten-Prozess, der eine demokratische Mitbestimmung des nächsten EU-Kommissionspräsidenten vorsieht, die Verteidigung des EU-Klimaschutzpakets "Green Deal" und die Aufnahme vier neuer Grün-Parteien, sagte der Ko-Vorsitzende Thomas Waitz der APA.

Grüne sehen "Revanchefoul"

Nach dem Spitzenkandidaten-Prinzip soll der Kandidat jener Partei für die Europawahl EU-Kommissionspräsident werden, die aus der EU-Wahl als stärkste hervorgeht. Während dies 2014 im Fall des EVP-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker der Fall war, sei das Prinzip 2019 "beschädigt" worden, als die deutsche Konservative Ursula von der Leyen, und nicht der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber, Kommissionspräsident wurde, so Waitz.

EU-Flaggen vor der EU-Kommission in Brüssel.
EU-Flaggen vor der EU-Kommission in Brüssel.
REUTERS/Yves Herman

Die Grünen hätten sich für 2024 als erste für ein Festhalten am Spitzenkandidaten-System ausgesprochen, mittlerweile auch Sozialdemokraten und EVP, sagt Waitz. Doch die Liberalen würden mit der Unterstützung noch zaudern. Dass Weber zwischendurch die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola als mögliche EVP-Kandidatin ins Spiel gebracht habe, sei "als Revanchefoul angekommen", nachdem er selbst nicht Kommissionschef wurde. Die Leitung der EU-Kommission sollte auch nicht eine Frage parteipolitischer Taktik sein, sagte Waitz.

Einen eigenen Spitzenkandidaten wollen die erwarteten 300 Grün-Delegierten aus ganz Europa aber in Wien noch nicht küren, so Waitz. Dies sei erst für Februar kommenden Jahres für einen erweiterten Parteitag vorgesehen, der wahrscheinlich im französischen Lyon stattfinde, sagte der Ko-Vorsitzende. Rund tausend Grün-Delegierte sollen dann voraussichtlich wieder ein grünes Spitzen-Duo für die Europawahl wählen. Selbst will Waitz nicht antreten. Der grüne Europaabgeordnete ist seit 2019 Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen, seit 2022 teilt er diese Funktion mit der Französin Melanie Vogel.

"Angriff der europäischen Konservativen auf den Green Deal"

Ein zentrales Thema des Kongresses der Europäischen Grünen in Wien werde "der Angriff der europäischen Konservativen auf den Green Deal" sein, so Waitz. Das Klimaschutzpaket der von der Leyen-Kommission würden mittlerweile ein Teil der EVP sowie andere konservativen Parteien und Rechte "kaputtschießen", beklagte Waitz. Von der Leyen sei eine "Vertreterin des pro-europäischen Mitte-Flügels" in der EVP und genieße auch den Respekt anderer Parteien. Ihre EU-Kommission habe wissenschaftliche Realitäten anerkannt und wolle Europa auf eine klimafreundliche Lebensweise umstellen, dies werde nun aber aus ihrer eigenen EVP-Fraktion torpediert.

Von der Leyen hat sich bisher noch nicht öffentlich deklariert, ob sie eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin anstrebt. Dies gilt vielen aber in der Europäischen Volkspartei (EVP) als wahrscheinlichste Option. Die Grünen unterstützten das Prinzip, dass die stärkste Fraktion nach der Europawahl Anspruch auf den EU-Kommissionspräsidenten habe, so Waitz, "wenn die politischen Positionen mehrheitsfähig sind". Das Europaparlament muss die nächste EU-Kommission und ihre Präsidentin oder ihren Präsidenten bestätigen.

Klimaschutz als "Herkulesaufgabe"

Als "Herkulesaufgabe" bezeichnet Waitz die Herausforderung, den klima- und umweltgerechten Umbau der Gesellschaft zu schaffen, nicht nur vonseiten der Wirtschaft und des Staates, "sondern dass wir auch die Leute mit auf die Reise nehmen". Insbesondere für die südeuropäischen Länder sei die soziale Frage in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Um künftig Geld für Bildung, Soziales und Klimaschutz zu lukrieren, würden die Grünen eine "faire Steuerleistung" fordern, sagte Waitz. Sie verlangten ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips in der EU bei der Mindestbesteuerung von großen Vermögen und von Unternehmensgewinnen. An einem Wahlprogramm und einem Manifest für Juni 2024 werde noch gearbeitet.

Neu zu den bisher 44 europäischen Grün-Parteien dazustoßen sollen laut Waitz in Wien die grüne "Párbeszéd Magyarországért" aus Ungarn, die slowenische Grün-Partei "Vesna", die portugiesische "Livre"-Partei und "Progresivie" aus Lettland, wie Waitz sagte. Außerdem werde die portugiesische "PAN" (People Animals Nature) assoziiert. Gespräche gebe es aktuell auch mit Grünen in Kroatien und Litauen, sagte Waitz.

Von den österreichischen Grünen werden laut Waitz Eröffnungsreden von Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadic sowie eine Teilnahme von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am Freitag erwartet, Gesundheitsminister Johannes Rauch soll am Samstag an einem Panel am Grünen-Kongress teilnehmen. Die österreichischen Grünen würden sich klar gegen die Blockade der Schengen-Erweiterung durch die ÖVP stellen, betonte Waitz im Vorfeld. Diese Blockade sei nicht mit den Grünen akkordiert gewesen und habe "europapolitischen Schaden" angerichtet. (APA, 26.5.2023)