Schwindel, die Umwelt verschwimmt
Wenn sich auf einmal alles dreht beim Aufstehen, kann das wirklich beängstigend sein.Oft ist die Ursache harmlos. Trotzdem sollte man das akut auftretende Symptom ärztlich abklären lassen.
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Man steht in der Früh aus dem Bett auf, will noch halb verschlafen aus dem Schlafzimmer rausgehen – und muss sich am Türstock festhalten, weil einem auf einmal schwindlig wird. Oder man bückt sich nach unten und kommt fast nicht mehr hoch, weil sich die Umgebung oder auch der eigene Körper dreht oder schwankt. In schweren Fällen kann es sogar zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Eine Krankheit ist dieser Schwindel nicht, aber ein Symptom. Und das kann verschiedene Ursachen haben. 

Eine sehr typische ist niedriger Blutdruck. Gerald Wiest, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Leiter der Schwindelambulanz an der Klinik für Neurologie am AKH in Wien, erklärt: "Patientinnen und Patienten mit niedrigem Blutdruck neigen dazu, dass sie beim Aufstehen kurz ein Augenflimmern wahrnehmen oder ihnen schwarz vor Augen wird. Wenn sich diese Symptome schnell wieder legen, dann spricht das für eine kreislaufbedingte Ursache."

Gelöste Kristalle im Innenohr

Es gibt aber auch andere Formen von Schwindel. Etwa den gutartigen Lagerungsschwindel. Er taucht auf, wenn man sich schnell nach vorne beugt, um die Schuhe zu binden oder um etwas aufzuheben. Aber auch am Morgen beim raschen Aufstehen aus dem Bett kann es passieren, dass die Umgebung sich um einen herumdreht oder schwankt. "Das sind typische Anzeichen für einen sogenannten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel", weiß der Experte. Dieser gilt auch als häufigste Ursache für Schwindel. Die gute Nachricht: In den meisten Fällen ist er harmlos. Er kann bis zu 60 Sekunden andauern und tritt plötzlich auf, wenn der Kopf bewegt wird. 

Den Auslöser für diesen typischen Lagerungsschwindel findet man im Innenohr. Dort befinden sich frei bewegliche Kalziumkarbonatkristalle, die normalerweise im Gleichgewichtsorgan fixiert sind. Werden diese durch eine schnelle Bewegung des Kopfes bewegt, etwa beim Hinlegen, Bücken oder Umdrehen im Bett, können sie in einen der drei Bogengänge des Innenohrs hineinrutschen. "Man kann sich diese fixierten Kristalle wie Zuckerstreusel auf einer Torte vorstellen. Manchmal kann es vorkommen, dass diese sich lösen", sagt Wiest. Die gelösten Kristalle reizen durch die Bewegung die Sinnesnerven im Bogengang, und man empfindet einen Drehschwindel.

Warum sich die Kristalle lösen, ist bisher nicht geklärt, vermutlich handelt es sich um eine Alterserscheinung. Aber auch traumatische Ereignisse, etwa eine Kopfprellung, können dazu führen. Vermutet wird auch ein Zusammenhang zwischen Migräne und Lagerungsschwindel. "Wir sehen vor allem bei jüngeren Personen, die mit einem Lagerungsschwindel zu uns kommen, oft, dass diese auch unter Migräne leiden. Ob hier ein Zusammenhang besteht, konnte jedoch noch nicht wissenschaftlich geklärt werden", sagt der Experte. In vielen Fällen bildet sich ein Lagerungsschwindel von allein wieder zurück. Wenn nicht, können verschiedene Lagerungsmanöver angewandt werden, sodass die Kristalle aus den Bogengängen wieder herausfallen. "Derzeit gibt es für jeden betroffenen Bogengang ein geeignetes Manöver, sodass die Betroffenen in ungefähr 80 Prozent der Fälle nach erstmaliger Behandlung beschwerdefrei sind." 

Unfreiwillige Karussellfahrt

Während der klassische Lagerungsschwindel gesundheitlich unbedenklich ist, sieht es bei Drehschwindel-Attacken anders aus. Diese werden durch ernstzunehmende Erkrankungen ausgelöst. Gerald Wiest weiß: "Für viele Menschen ist eine massive Drehschwindelattacke auch immer ein traumatisches Erlebnis. Die Umgebung beginnt sich zu drehen, als würde man in einem Karussell sitzen. Häufig muss man sich auch übergeben." Wenn der Drehschwindel akut beginnt und andauert, kann es sein, dass der Gleichgewichtsnerv entzündet ist, meistens ausgelöst durch Viren. Bei älteren Menschen können dieselben Symptome aber auch durch Gefäßerkrankungen bedingt sein, die etwa zu einem Schlaganfall führen können. "Um die genaue Ursache herauszufinden, sollte darum jeder erstmalig akut auftretende Schwindel ärztlich abgeklärt werden."

Und auch die Psyche kann die Welt plötzlich um einen herum zum Drehen bringen. Nach dem Lagerungsschwindel ist das die zweithäufigste Ursache für Schwindelattacken. Dahinter stecken meist Angsterkrankungen. Die Symptome treten nur in speziellen Settings auf, etwa beim Aufenthalt in großen Menschenmengen oder in anderen psychischen Belastungssituationen. Körperliche Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche oder Übelkeit begleiten diese Schwindelanfälle häufig. "Die Abklärung von Schwindelsymptomen erfordert einen multidisziplinären Zugang. Die Ursachen können im Herz-Kreislauf-System liegen, sich im Innenohr oder im Gehirn befinden, aber auch psychische Gründe sind möglich. Das Gute ist, dass man mittlerweile fast jedes Schwindelsymptom mit therapeutischen Maßnahmen in den Griff bekommen kann. Man muss also mit diesem Symptom nicht leben", ergänzt der Experte. Für innenohrbedingte Schwindelerkrankungen gibt es medikamentöse Therapien, genauso wie für bestimmte zentrale Störungen. Und bei Angststörungen können Psychotherapie oder Medikamente helfen. (Jasmin Altrock, 30.5.2023)