Søren Kierkegaard fordetMut, das Leben als Wiederholung zu begreifen.
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Es gibt Menschen, die sind ein Problem für sich selbst. Die Tatsache, dass sie existieren, der Fakt, dass sie einen Ort in der Welt einnehmen, dass sie soziale Rollen erfüllen, all das macht sie unruhig. Sie können nicht aufhören, müssen ständig ihren Zustand ändern, in der blinden Hoffnung, irgendwie ein Verständnis eines Sinnhorizonts zu finden, der sie dazu zwingt, nur in Relation zu etwas zu existieren, nur durch eine Form der Verbindung, nur als eine Referenz.

Solche Menschen existieren in zwei Dimensionen: Die erste ist die Existenz "dazwischen" – zwischen Arbeit und Langeweile, Träumen und Zimmeraufräumen, Frühstück und Sonne. Die zweite Dimension, dieses unbeständige, fremdbestimmte Dasein, bei dem einem Themen und Rollen aufgedrängt werden, von denen man sich nur befreien kann, indem man seine Schwachstellen immer wieder aufdeckt.

Natürlich sind das "dialektische Menschen", Menschen, die gezwungen sind, sich ständig selbst zu verleugnen, die gezwungen sind, sich selbst zu töten, die traurig auf eine neue Auferstehung warten, auf neue rostige Ketten ... Diese Menschen sind besorgt, aber ihre Besorgnis wird nicht durch zufällige Misserfolge oder versteckte Sünden verursacht, ihre Besorgnis wird aus der Spannung zwischen Sein und Nichts geboren, die diese Menschen immer wieder erleben, und wenn sie den Mut haben, diese Spannung auszudrücken, werden sie zu Dichterinnen oder Philosophen. Søren Kierkegaard ist ein solcher Fall.

Es fällt uns nicht schwer, uns vorzustellen, was Kierkegaard über unsere Zeit sagen würde, wenn wir uns unsere Zeit als den Triumph der Demokratie vorstellen: "Von allen Arten der Tyrannei ist die Volksherrschaft die schmerzlichste, die geistloseste Tyrannei, die den unmittelbaren Verfall all des Großen und Erhabenen zeigt." Das ist genug. Für Kierkegaard ist das Wichtigste nicht das Soziale, nicht das "Objektive", sondern das Subjektive, das Existenzielle, das, was vor der Menge verborgen ist und in der stillen Einsamkeit einer Seele erlebt wird, die verzweifelt nach der Quelle des ewigen Sinns sucht.

1. Zukunft

Was aber ist das innere Leben dieser Seele? Woraus besteht es? Aus Hoffnungen und Erinnerungen, aus Bildern des Wünschens und den Gesichtern der Vergangenheit. Aber wo ist die Gegenwart, wo sollen wir nach dem Sinn des Lebens suchen? Kierkegaard schreibt: "Die Hoffnung ist ein neues Stück Kleidung, steif und glatt und glänzend, man hat es jedoch nie angehabt und weiß daher nicht, wie es einen kleiden wird und wie es sitzt. Die Erinnerung ist ein abgelegtes Kleidungsstück, das, so schön es auch ist, doch nicht passt, da man aus ihm herausgewachsen ist." Das Erste muss "noch" kommen, das Zweite ist "schon" weg.

Aber welche Hoffnungen haben wir für die Zukunft? Könnte es sein, dass in der Zukunft die künstliche Intelligenz, dieser selbstbewusste Rechner, das Leben der Menschheit zum Besseren verändern wird? Könnte sie alle unsere Probleme lösen? Das Problem des Umweltschutzes, das Problem des Hungers, das Problem des Krieges? Könnte es sein, dass in nicht allzu ferner Zukunft alles anders sein wird und Krebs schnell und einfach geheilt werden kann wie eine Erkältung, und dass wir nicht mehr die meiste Zeit aufbrauchen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen?

Aber können wir mit Sicherheit sagen, was morgen überhaupt sein wird? Schon hier sehen wir, dass diese Frage mit Erwartungen gefüllt ist, die auf Wünschen beruhen, aber auch mit Erwartungen, die auf einer Einschätzung dessen beruhen, was geschehen wird. Je näher die kommende Zeit ist, desto stärker ist die Verankerung in der ursprünglichen Wirklichkeit und desto geringer ist der Anteil des Erwünschten am Erwarteten. Umgekehrt gilt: Je weiter der Zeitpunkt entfernt ist, desto mehr nehmen die Rolle und die Bedeutung der Fakten ab und desto mehr beginnen die Wünsche zu erwachen, sodass in der Vorstellung "wünschenswerte" Szenarien der Ereignisse entstehen.

Letztendlich offenbart die Ungewissheit der Zukunft die Gewissheit unserer Wünsche und Ängste. Doch je ungewisser das Geschehen ist, desto mehr kommt unsere Subjektivität (Wille und Vernunft ist gleich Verantwortung) zum Vorschein; umgekehrt veranlasst uns eine größere Vorhersehbarkeit dazu, uns stärker in unserer Umwelt zu verankern und sozialer zu werden. Kurz gesagt, wenn wir uns nicht der Zukunft hingeben, werden unsere Hoffnungen uns zeigen, wer wir jetzt und hier sind.

2. Vergangenheit

Ja, die Vergangenheit! Wer vermisst sie nicht, die Jahre der Kindheit? Oder jene "ruhigen Zeiten", als alles klar war, als das Gute das Gute und das Böse das Böse war. Als die Menschen noch den Unterschied zwischen Schönheit und Hässlichkeit, zwischen Wahrheit und Lüge kannten. Oder ist es nur so, wie es uns scheint? Vielleicht täuschen wir uns selbst durch Nostalgie?

Das Geheimnis der Anziehungskraft der Vergangenheit ist, dass sie unveränderlich ist. Nichts kann in der Vergangenheit geschehen, nichts kann ihre ewige Ruhe stören. Aber wenn wir diesen Ruhezustand suchen, tappen wir in die Falle der Zeit. Indem wir diesen Ruhezustand anstreben, ersetzen wir die Gegenwart durch die Vergangenheit, das Reale durch das Imaginäre.

Und wir wissen auch, zu welchen politischen Mythen eine solche Sehnsucht nach der Vergangenheit führt. Die einen wollten das Römische Reich wiederauferstehen lassen und hätten dabei fast die Welt zerstört, die anderen wollen das Moskauer Fürstentum wiederauferstehen lassen und zerstören dabei die Welt in diesem Moment.

Nur haben weder die einen noch die anderen verstanden, dass die Hypertrophie der Vergangenheit und der Versuch, sie in die Gegenwart einzubringen, ein destruktiver Schritt zurück in den Abgrund der morbiden Fantasie ist.

Søren Kierkegaard
Søren Kierkegaard ca. anno 1840.
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3. Wiederholung

Aber wenn nicht Hoffnungen und Erinnerungen, was ist es dann? Wo ist nach Ansicht des Philosophen der Ausweg aus der Zeitfalle? Könnte der Ausweg zur Wirklichkeit in der Praxis des paradoxen Denkens liegen? Oder könnte es sein, dass man seine Ruhe durch die innersten Geheimnisse des Christentums findet, die man in den Tiefen seiner Subjektivität erfährt? Wie dem auch sei, die Quintessenz von Kierkegaards philosophischer Suche ist ein uralter, fast mythologischer Gedanke, und er klingt so: Wiederholung.

In Fortsetzung der Kleidermetapher schreibt der Philosoph (unter dem Pseudonym Constantin Constantius): "Die Wiederholung ist ein unzerschleißbares Kleid, das fest und doch zart anschließt, weder drückt noch schlottert."

Wiederholung? Was soll wiederholt werden? Kierkegaard schreibt: "Wiederholung, das ist die Wirklichkeit und der Ernst des Daseins. Wer die Wiederholung will, der ist im Ernst gereift." Und an anderer Stelle: "Hat man die Daseinsumsegelung vollendet, dann wird es sich zeigen, ob man den Mut hat zu verstehen, dass das Leben eine Wiederholung ist, und Lust, sich daran zu freuen." Es ist klar, dass die Bedeutung, die der Philosoph diesem Begriff beimisst, die höchste ist. Aber was bedeutet er?

Geboren werden und sterben

Zunächst einmal wird uns die Wiederholung durch die Freude der aufgehenden Sonne und durch die Traurigkeit der untergehenden Meereswelle vermittelt. Die Wahrheit ist einfach: Das Vergehen kehrt durch Wiederholung zurück. Vielleicht ist in dieser einfachen Wahrheit auch etwas über die Wirklichkeit selbst verborgen? Nämlich dass die Gegenwart die Vergangenheit ist, die aus der Zukunft zurückgekommen (wiederholt) ist.

In der Zeit sind wir immer noch dieselben, aber auch immer anders. Wir sind immer noch dieselben, denn wir selbst zu sein bedeutet, zu uns selbst zurückzukehren. Ein Mensch zu sein bedeutet, man selbst zu sein, aber es bedeutet auch, dass es im Wesen eines Menschen verborgene Verbindungen gibt. Aber was für eine Art von Verbindung? Eine Verbindung, die von der Zeit ausgeübt wird, und gerade deshalb stoßen Hoffnungen und Erinnerungen an ihre Grenzen, verwirren uns, verbergen die Wahrheit des Lebens, die darin besteht, dass wir das immer Gleiche wiederholen. 

Aber können wir etwas wiederholen, das wir in der Vergangenheit getan haben? Können wir immer wieder geboren werden und sterben? Ist das Leben ein Kreislauf, aus dem wir nicht entkommen können? Und alles, was wir tun müssen, ist, ihn immer und immer wieder zu wiederholen? (Serhii Forkosh, 29.5.2023)