"Das Santo Spirito liegt in der Wiener Kumpfgasse Nummer 7. Der Begriff 'Kumpf' stand unter anderem für einen speziellen Trog, den die hier ansässigen Tuchmacher und Wollweber bei ihrer Arbeit verwendeten. Vor 1827 hieß die Gasse 'Kumpfgässl'. Das Lokal existiert seit 1980 und wurde schon bald nach seiner Eröffnung zu einer ganz eigenen Institution. Obwohl auch mein Vorgänger und Gründer des Santo Spirito lediglich klassische Musik spielte, war unter seiner Führung doch einiges anders.

Sagen wir, die Atmosphäre war mehr 68er-like. Nach zehn Uhr abends durfte niemand mehr auf den Stühlen im Gastraum sitzen. Man musste sich an der Bar um den Chef versammeln, der dann, sagen wir, als eine Art Philosoph seine Jünger um sich haben wollte. Da standen dann 30 oder 40 Leute dicht an dicht, und man hatte das Gefühl, es war gesteckt voll. Im restlichen Lokal war es stockfinster. Diese Gelage endeten mitunter erst um acht Uhr in der Früh. Es kam auch nicht selten vor, dass der damalige Wirt Gäste hinauskomplimentierte, wenn ihm ihre Nase nicht passte. Da konnte er schon rigid sein. Auch die Polizei hatte hier so manchen Auftritt. Heute ist alles viel gesetzter. Wie soll man sagen? Auch das Publikum wird älter.

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Seit 1995 führt Christian Hamernik das Santo Spirito, das auch als Hotspot für klassische Musik gilt.
Michael Hausenblas

Ich habe das Santo Spirito 1995 übernommen, zuvor war ich im Restaurant Wiener im siebenten Bezirk. Und außerdem Langzeit-Wirtschaftsstudent. Ich bin hier Geschäftsführer, die 'Mutter Oberin' und die Seele des Lokals. Die Gäste kommen mit der Erwartung, dass ich zugegen bin. Immer. Zu uns kommen sehr viele Stammgäste, auch aus dem Ausland. Unterm Strich ist das Publikum ein sehr gemischtes. Meine Frau Christine ist die Inhaberin und unterstützt mich in erster Linie im Wareneinkauf. Ferner sind bei uns zwei sich abwechselnde Köchinnen und ein Mitarbeiter im Service beschäftigt. Wir haben jeden Tag geöffnet. Zwei Tage pro Woche nehme ich mir frei.

Das Lokal misst insgesamt 110 Quadratmeter, verfügt über 50 Sitzplätze, und im Schanigarten, draußen auf dem Gässlein, baue ich bei gutem Wetter zwanzig kleine Tische auf. Unser Logo basiert auf der Taube aus dem Taufbild des italienischen Renaissancemalers Piero della Francesca. Es gibt auch eine goldene Taube, die über der Bar schwebt.

Verlust von Leichtigkeit

Es hat sich mit den Jahren schon einiges verändert. Der Lebensstil ist heute ein ganz anderer. Es wird unter anderem nicht mehr derart viel getrunken wie früher. In den 80er-, 90er-Jahren kam es vor, dass ein Pärchen ein Zehnertablett Tequila bestellt hat. Und das nicht nur einmal.

Ein erster Einbruch kam nach 2000, mit der ersten Schwarz-Blau-Koalition. Ich denke, es ist mit der Zeit ein Gefühl von Leichtigkeit verloren gegangen. Die Corona-Krise hat dazu natürlich auch ihren Teil beigetragen. Hinzu kommt der erhöhte Leistungsdruck in der Gesellschaft. Und das Internet. Heute kannst du dir, egal wo du dich aufhältst, jede Musik aufs Handy holen.

Man muss schon sagen, dass die Leute immer auch der Musik wegen zu uns gekommen sind. Diese spielt auch heute noch eine sehr wichtige Rolle. Alte Musik hat sehr viel mit Gefühl zu tun. Zu hören gibt es in erster Linie Kompositionen aus der Barock- und Renaissancezeit, manchmal auch eine Prise Mittelalter. Unterm Strich haben wir die Musikepochen sukzessive erweitert. Wem die Musik hier im Santo Spirito nicht gefällt, der kommt gar nicht erst herein. Die Musik ist unser Türsteher. Ach ja, die klassische Lokalhymne war und ist das Gloria der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Klar gibt es auch Hörerwünsche, seitens der Gäste. Wenn's in den Reigen passt, versuche ich sie zu erfüllen. Trifft dies nicht zu, sage ich: 'Der Wurlitzer ist gerade kaputt.'

Was natürlich auch vieles geändert hat, war das Rauchverbot. Rauchen und Trinken haben sich auf gewisse Weise immer gegenseitig bedingt. Früher konnte man die Luft hier schneiden. Ich erinnere mich, dass wir jedes Jahr ausmalen mussten. Aber nicht nur das. Auch der CD-Player hat jährlich seinen Geist aufgegeben, weil der Rauch die Linse des Geräts unbrauchbar machte.

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Der Wirt am Eingang zu seinem Reich, in dem ein besonderes Flair auf Gäste aus aller Welt wartet.
Michael Hausenblas

Ich muss sagen, dass mir der Job noch immer so viel Spaß macht wie am ersten Tag. Es ist, als würde man mit einem Auto zur Tankstelle fahren, um aufzutanken. Ich tanke hier mit der Musik auf. Was ich nicht so toll finde, sind Gäste, die sich nicht benehmen können. In so einem Fall kann ich durchaus einen strengen Ton an den Tag legen.

Ob früher alles besser war? Ich sage 'Jein'. Ich bin froh, dass nicht mehr geraucht wird und ich nicht mehr so oft bis tief in der Nacht hier sein muss. Und noch ganz etwas anderes: Früher ging man auch aus, um Menschen kennenzulernen, Auge in Auge. Heute verabreden sich sehr viele im Internet.

Der aktuellen Debatte um Trinkgeld und Servicepauschale kann ich nicht viel abgewinnen. Gewisse Landsleute, zum Beispiel Franzosen, geben kein Trinkgeld, weil sie es halt nicht gewöhnt sind. Ich könnte aber nicht sagen, dass sich das Verhalten bezüglich Trinkgeld merklich verändert hätte. Eigentlich gar nicht." (Michael Hausenblas, 27.5.2023)