Klimaaktivisten blockieren Straße in Wien
Reine Sitzblockaden des Autoverkehrs fallen in Österreich nicht unter das Strafgesetzbuch. Daraus folgt aber nicht, dass keine Haft verhängt werden kann. Unter engen Kriterien geht das auch bei Verwaltungsdelikten.
APA/EVA MANHART

Die schwarzen Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts für Klimakleber scheinen versandet. Anfang des Jahres hatte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in der heißen Phase des Stimmenfangs ihre autoaffine Klientel noch mit der Idee umworben, dass Straßenblockaden künftig vom Strafgesetzbuch erfasst werden sollten. Aus dem Wahlkampfgetöse wurde bis heute nichts, die Rechtslage ist immer noch dieselbe: Im Unterschied zu Deutschland, wo die Blockaden unter den Tatbestand der Nötigung fallen, wird diese Aktionsform an sich nicht mit gerichtlichen Strafen sanktioniert.

Ins Strafgesetz würden sich Aktivistinnen und Aktivisten nur etwa dann begeben, wenn sie ein Rettungsauto an der Durchfahrt hindern würden und damit die Versorgung eines Patienten unterbinden. Dann käme theoretisch etwa ein Gerichtsprozess wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit in Betracht – wobei die Letzte Generation angibt, stets eine Spur für Einsatzfahrzeuge freizuhalten. Im typischen Szenario der vergangenen Monate, bei dem durch das Festkleben bloß ein Stau des normalen Autoverkehrs entsteht, verhalten sich die Aktivistinnen und Aktivisten zwar auch rechtswidrig, doch handelt es sich dabei um Verwaltungsdelikte. Meist sind es Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder die Straßenverkehrsordnung. Die allgemeine Erfahrung sagt einem: Verwaltungsstrafen sind Geldstrafen. Bloß dann, wenn man nicht genügend Vermögen besitzt, um die Strafsumme zu bezahlen, kann und muss man deswegen ins Gefängnis – man nennt das "Ersatzfreiheitsstrafe". 

Geld vorhanden, trotzdem Gefängnis

Das gilt genauso für die Verwaltungsdelikte der Klimakleber. Die Protagonistin der Letzten Generation, Martha Krumpeck, musste jüngst für zwei Wochen in Wien einsitzen, weil sie ihre Geldbuße nicht begleichen konnte. Hätte sie zahlen können, wäre ihr der Freiheitsentzug erspart geblieben, bestätigt ein Sprecher der Letzten Generation dem STANDARD. 

Für Verwunderung sorgte jedoch eine Aussage von Karl Nehammer (ÖVP) beim "Kanzlergespräch" mit Journalistinnen und Journalisten am Donnerstag. Dabei wurde der Regierungschef gefragt, ob er sich nun für eine strafrechtliche Handhabe gegen Klimakleber einsetze, damit auch weitergehende Haftstrafen möglich sind. Nehammer umschiffte eine direkte Antwort, indem er sagte: "Die Haftstrafen gibt es schon. Es wird schon jetzt die Arreststrafe vorgezogen, bevor Bußgeld verhängt wird." DER STANDARD hat am Freitag versucht, bei Nehammer zu erfragen, was genau er damit gemeint hatte, erhielt aber keine Auskunft. Doch kann es rechtlich überhaupt möglich sein, dass die Behörden den Klimaaktivisten eine Freiheitsstrafe aufzwingen, selbst wenn diese die üblichen Bußgelder von mehreren Hundert Euros stemmen können? 

Peter Bußjäger, Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Innsbruck, bejaht: Es gebe im Verwaltungsstrafrecht einige wenige Delikte, bei denen in den entsprechenden Gesetzen die Option einer "primären Freiheitsstrafe" festgeschrieben sei. Dazu gehören sowohl das Versammlungsgesetz als auch die Straßenverkehrsordnung, gegen die die Klimakleber in der Regel verstoßen. Die Behörden dürfen den Delinquenten in diesen Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Wochen aufbrummen, wobei Bußjäger betont, dass die Behörde dabei an Einschränkungen gebunden ist: "Die Freiheitsstrafe darf explizit nicht aus Gründen der Generalprävention vorgezogen werden." Eine zahlungsfähige Aktivistin darf also nicht zur Haft verdonnert werden, um damit andere Personen von ähnlichen Klimaprotesten abzuschrecken. Zur Spezialprävention wäre der Arrest hingegen möglich – sprich: um jemanden davon abzuhalten, sofort wieder durch Klebeaktionen gegen dieselben Vorschriften zu verstoßen. 

Sechs Wochen nur in schweren Fällen

Bußjäger fügt an, dass die maximale Haftlänge von sechs Wochen nur ausgeschöpft werden dürfe, wenn "besondere Erschwerungsgründe" vorliegen. Das könnte sein, wenn jemand ankündigt, sofort wieder nach demselben Muster das Gesetz zu brechen oder wenn die Tat gravierende Folgen hatte. Andernfalls kann die Behörde höchstens zwei Wochen Freiheitsstrafe anordnen, sie müsse jedenfalls immer im Einzelfall abwägen. 

Nehammer hat mit seiner Aussage also einen rechtlich wahren Punkt angesprochen. Allerdings dürften die "primären Freiheitsstrafen" für Klimakleber bisher ein Szenario im Reich der Theorie geblieben sein. "Uns sind solche Fälle nicht bekannt", sagt David Sonnenbaum von der Letzten Generation dem STANDARD. Gelebte Praxis sei es hingegen, dass die Polizei die Aktivistinnen und Aktivisten nach jeder Sitzblockade stundenlang im Polizeianhaltezentrum festhalte. Nehammer solle sich "endlich um seine Verantwortung für das Klima kümmern", anstatt Gedankenspiele über Haftstrafen zu ventilieren, ergänzt Sonnenbaum. (Theo Anders, 26.5.2023)