Bisher ist nur die Spitze des Eisbergs zu sehen, wenn es um die Auswirkungen der raschen Zinsanhebungen westlicher Notenbanken geht. Sprich die US-Bankenkrise, Turbulenzen bei Gewerbeimmobilien oder die Probleme im Kryptosektor sind nur Vorboten noch größeren Ungemachs. Diese Ansicht vertritt Ronald Stöferle vom Investmenthaus Incrementum, der eine baldige Rezession in den USA für "sehr wahrscheinlich" hält. "Der geldpolitische Showdown naht", ergänzt er.

Gold Barren Inflation
Begehrtes Edelmetall: Gold
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Denn selbst wenn die derzeitige Inflationswelle wieder abebbt, baut sich Stöferle zufolge im Hintergrund bereits die nächste auf. Denn die US-Notenbank stehe vor einem "Trilemma" aus drei Problemen, nämlich einer strauchelnden Realwirtschaft, abnehmender Finanzmarktstabilität und zu hoher Inflation. Sobald, wie von ihm erwartet, die Konjunktur einbricht oder taumelnde US-Banken die Finanzmarktstabilität ins Wanken bringen, werde die US-Notenbank Fed ihren geldpolitischen Straffungskurs rasch wieder umkehren.

Inflation unterschätzt

"Die Notenbanken waren sehr, sehr aktiv. Wir haben nicht erwartet, dass die Zinsen so stark steigen", sagt Stöferle – allerdings nicht ohne einen Seitenhieb, wonach die Währungshüter die Inflation lange unterschätzt und daher zu spät zu bekämpfen begonnen hätten. Umso stärker werden ihm zufolge die negativen Folgen des Zinsanstiegs ausfallen – worin er eine günstige Ausgangslage für Veranlagungen in das Edelmetall Gold sieht.

Konjunktur Warum für den Incrementum-Experten eine US-Rezession "so sicher wie das Amen im Gebet" ist? Er verweist auf mehrere Anzeichen, die dafür sprechen: Ein zuverlässiger Indikator einer abnehmenden Wirtschaftsleistung ist die inverse Zinskurve – davon spricht man, wenn die Rendite bei zweijährigen US-Staatsanleihen höher ist als bei zehnjährigen. Dazu komme eine erstmals seit Jahrzehnten auf Jahressicht sinkende Geldmenge, also weniger Liquidität. Auch sonst seien die Vorlaufindikatoren im Sinkflug. "Es ist relativ offensichtlich, dass wir uns in Richtung einer Rezession bewegen", sagt Stöferle.

Inflation Obwohl die Teuerungsraten kurzfristig sinken werden, für Stöferle ist das Thema damit aber noch nicht vom Tisch. Zu stark seien die zugrunde liegenden inflationären Kräfte, die den Preisdruck aufrechterhalten werden. Dazu zählt er etwa die Demografie, also die zunehmende Überalterung im Westen, oder die sukzessive Abkehr von der Globalisierung. Auch werde der klimabedingte Umbau der Wirtschaft die Teuerung hochhalten – ebenso eine erwartet expansive Fiskalpolitik, da sich die Regierungen in der Rolle als "gönnerhafte Politiker" gefallen würden.

Notenbanken Die kurzfristig sinkende Teuerung erlaube es der US-Notenbank, ihren restriktiven geldpolitischen Kurs wegen der erwarteten Probleme mit der Konjunktur und im Bankensektor aufzugeben. Das werde allerdings der nächsten Inflationswelle den Weg bereiten, warnt Stöferle.

"Geopolitischer Showdown"

Sein Incrementum-Partner Mark Valek sieht zudem auch einen "geopolitischen Showdown". Das Einfrieren der russischen Währungsreserven nach Beginn des Ukrainekriegs werde als "historischer Moment" in die Währungsgeschichte eingehen. Die Brics-Staaten, wie die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika genannt werden, versuchten nun, ihre Währungsreserven von US-Dollar oder Euro auf andere Vermögenswerte umzuschichten. "Eine der wenigen neutralen und liquiden Reservewährungen in diesem politischen Umfeld ist Gold", sagt Valek. Die Folge: Die Käufe von Notenbanken waren 2022 so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Goldpreis Stöferle zufolge hat sich der Preis für das unverzinste Gold angesichts der starken Zinssteigerungen bei anderen Veranlagungen gut gehalten. Heuer hat der Preis bereits mit seinem Rekordhoch bei knapp 2070 Dollar "geflirtet", bevor er wieder etwas zurückgefallen ist. Aber auch in US-Dollar sollten demnächst neue Höchststände folgen – was in den meisten anderen Währungen bereits erfolgt ist. Bis Jahresende erwarten die Incrementum-Experten einen Anstieg auf mehr als 2400 US-Dollar.

Bis Ende des wahrscheinlich von hohem Inflationsdruck geprägten Jahrzehnts liegt das Kursziel sogar bei 4800 US-Dollar. Dies entspreche einem jährlichen Kurszuwachs von 12,5 Prozent. Zum Vergleich: Seit dem Jahr 2000 hat der Goldpreis gegenüber dem US-Dollar im Schnitt um 9,3 Prozent pro Jahr zugelegt. "Gold ist aber keine eierlegende Wollmilchsau", schränkt Stöferle ein, "aber ein sehr wertvoller Baustein eines Portfolios."

Nachfrage beruhigt

In Österreich hat sich die Nachfrage nach physischem Gold zuletzt etwas beruhigt. "Wir sind auf hohem Niveau, aber nicht dort, wo wir 2022 waren", berichtet Andrea Lang, Sprecherin der Münze Österreich. Derzeit laufe aber das Geschäft in den USA sehr gut, wahrscheinlich aus Furcht vor einer neuerlichen Bankenkrise: "Das ist scheinbar eine große Sorge", sagt Lang. (Alexander Hahn, 28.5.2023)